Im Nachlass des Anfang Januar 2025 verstorbenen Kölner Geschichtsprofessors Hans Singer finden sich zwei Tonband-Kassetten, die nach Ansicht seines Mitarbeiters nichts mit dessen wissenschaftlichem Werk zu tun haben. »Was sich anließ wie eine Zeitzeugenbefragung zur Polizeiarbeit in Berlin von den Weimarer Jahren über die NS-Zeit bis in die Nachkriegszeit, entwickelte sich mehr und mehr zu einem Gespräch privater Natur, was wohl auch die offensichtlich nicht erfolgte Veröffentlichung und Nutzbarmachung der Bänder zur Forschungsarbeit von Professor Singer erklärt«, sagt der Mitarbeiter Kayser.
Mit diesem vielversprechenden Teaser beginnt das Abschiedsgeschenk von Volker Kutscher an seine Fans. In Zusammenarbeit mit der Illustratorin Kat Menschik - wie schon zuvor bei zwei früheren Werken aus dem Gereon Rath-Universum - präsentiert er jetzt das Buch »Westend«. Darin zeigt er, wie es nach dem offenen Ende des zehnten und letzten Krimis mit dem Titel »Rath« mit den Hauptfiguren weiterging. Haben sie den Zweiten Weltkrieg überlebt und wenn ja, wo?
West-Berlin, 1973
Kriminalkommissar im Ruhestand Gereon Rath erhält Besuch in seinem Berliner Seniorenheim Westend. Mittlerweile 74 Jahre alt, ist er grantelig und einsam. Daher hat er nichts dagegen, als der Historiker Hans Singer auftaucht, um ihn für seine Forschungen zur Polizeiarbeit in drei politischen Systemen zu befragen. Bei den Gesprächen mit dem Historiker zeigt er ein Kalter-Krieg-Mindset und gelegentlich die Tendenz, über bestimmte Ereignisse in seinem Leben diskret hinwegzugehen oder eine beschönigte Version anzubieten.
Aber warum lässt Singer nicht nach und interessiert sich für Raths Privatleben, seine Ehe mit Charlotte Ritter und was er von einem schicksalshaften Treffen in einem Ostberliner Café im Oktober 1953 weiß? Was ihn besonders interessiert, sind die Polizistenmorde am Bülowplatz 1931 und zwei damals steckbrieflich gesuchte Männer. Sie haben später im Staatsapparat der DDR eine steile Karriere gemacht.
Wie in seinen früheren Büchern bindet Kutscher wahre Ereignisse ein, eben diesen Mord an zwei Polizisten. Am Beispiel eines besonders unsympathischen und bösen Menschen, der immer wieder in den vorangegangenen Büchern eine herausragende Rolle spielte, zeigt Kutscher, wie die Entnazifizierung in Deutschland zum Teil klar versagte.
Das war’s mit Gereon Rath
Das also ist der Abschied von Gereon Rath, so wie Volker Kutscher es sich vorgestellt hatte. Bereits im letzten Jahr vor dem Erscheinen des zehnten und letzten Krimis aus dem Gereon-Rath-Universums hatte er diesen Band »Westend« angekündigt. »Das bedeutet für mich eine Art Ausschleichen aus dem Projekt, mit dem ich mich seit rund 20 Jahren beschäftige«, sagte Kutscher damals.
Seine Krimireihe, die im Berlin der untergehenden Weimarer Republik und den ersten Jahren der NS-Zeit spielt, war und ist sehr erfolgreich. Im Mittelpunkt der Kriminalromane stehen der aus Köln stammende Kommissar Gereon Rath und seine Frau Charlotte. Kutschers Krimis sind nach Angaben seines Verlags in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden. Sie dienen als Vorlage für die international erfolgreiche und vielfach ausgezeichnete Fernsehserie »Babylon Berlin«.
Für die Fans gibt es jedoch neben diesem Buch einen weiteren kleinen Lichtblick. Von »Babylon Berlin« ist aktuell eine fünfte und letzte Staffel in Arbeit. Wann sie allerdings ins Free-TV kommt, ist noch unbekannt.
Volker Kutscher, Westend, illustriert von Kat Menschik, Galiani Verlag, Berlin 2025, 104 Seiten, 23 Euro