Dresden

Poet mit Leica

Eine Leica-Kamera, die Fred Stein zu seinem Hochzeitstag geschenkt bekommen hatte, sollte sein Leben auf ungeahnte Art und Weise für immer verändern. Denn es war ebendiese Leica, die dem Dresdner, Juden und Sozialisten Fred Stein nach seiner Flucht 1933 aus dem nationalsozialistischen Deutschland den Einstieg in eine neue Profession als Fotograf ermöglichte.

Stein floh zuerst von Dresden nach Paris und hoffte, dort in seinem Beruf als Jurist arbeiten zu können. Doch vergeblich. Aus der Not heraus erfand er sich neu, eröffnete zusammen mit seiner Frau Liselotte und mithilfe der besagten 35mm-Leica ein Fotostudio. Die Zeiten waren schlecht, das Geld äußerst knapp, das Fotostudio klein, und so musste das Badezimmer der Steins als Dunkelkammer herhalten.

exil Paris war damals voll von geflüchteten Künstlern, verfolgten Juden und politischen Aktivisten. Diese Gestrandeten verbrachten ihre Zeit in Cafés und auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten. Die Wohnung der Steins wurde zu einem Treffpunkt, zu ihren Freunden zählte auch der spätere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, der im Widerstand aktiv war und von seinem Exil in Norwegen aus oft Paris besuchte.

Steins Fotostudio etablierte sich schnell, und schon 1935 stellte er seine Fotos zusammen mit Künstlern wie Man Ray, Dora Maar und André Kertész aus. Stein kniete sich in seine neue Arbeit, fotografierte tagsüber Pariser Straßenszenen, analysierte seine Fotos am Abend und las nachts alles, was er über das noch relativ junge Medium Fotografie in die Finger bekommen konnte.

1939 wurde Stein, wie viele der aus Deutschland Geflüchteten, als »feindlicher Ausländer« eingestuft und interniert. Doch ihm gelang es, im Chaos der Besatzung aus Paris zu fliehen. Das International Rescue Committee, eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge, verschaffte ihm und Liselotte Visa; mit einem der letzten Schiffe verließen sie 1941 Marseille Richtung New York. Außer ein paar Negativen und ihrer Leica konnten sie fast nichts mitnehmen.

Energie In New York sah er sich auch als Fotograf angekommen. Die Energie der Stadt spornte ihn an. Die kulturelle Vielfalt begeisterte ihn, und als Außenseiter, als der er sich zeitlebens begriff, fotografierte er anfangs, frei von Vorurteilen und Stereotypen, besonders gern Menschen am Rande der Gesellschaft.

Nach einigen Monaten in New York ging Stein dazu über, mit einer Rolleiflex-Mittelformatkamera zu arbeiten. Der leicht bedienbare Fotoapparat erlaubte es ihm, schnell auf Ereignisse und Situationen auf New Yorks Straßen zu reagieren.

Stein erforschte seine neue Metropole durch den Kamerasucher – den Stadtteil Little Italy, Chinatown, das schwarze Harlem oder den jüdischen Teil Brooklyns. Immer auf der Jagd nach neuen Motiven, angetrieben von Neugierde und dem Wunsch nach Veränderung. Er sah Hoffnung und Schönheit da, wo andere Verzweiflung und Not sahen.

Prominente Ende der 40er-Jahre zwang ihn ein Hüftleiden, den Arbeitsplatz Straße mit einem Porträtstudio zu tauschen. New York war damals noch mehr als heute ein vibrierendes Epizentrum von Kunst und Kultur, und Stein sah darin seine Chance als Porträtfotograf: Er fotografierte von nun an berühmte Schriftsteller, Maler, Politiker, Wissenschaftler – etwa Bertolt Brecht, Norman Mailer, Thomas Mann, Hannah Arendt, Marlene Dietrich, Marc Chagall und später John F. Kennedy und Salvador Dalí.

Immer benutzte er dafür natürliches Licht, und nie machte er nachträgliche Retuschen. Stein schuf so insgesamt etwa 1200 Porträts, und immer versuchte er, sich vor der Aufnahme mit den Porträtierten auseinanderzusetzen, um sie in ihrem Wesen, in ihrem Kern zu erfassen.

So auch bei seiner vielleicht berühmtesten Porträtarbeit, einem Foto von Albert Einstein. Mithilfe eines alten Klassenkameraden aus Deutschland, der Assistent von Einstein war, verschaffte sich Stein einen Fototermin bei dem Nobelpreisträger für Physik. Aus den vereinbarten zehn Minuten wurden zwei Stunden; Stein und Einstein unterhielten sich intensiv über Politik und das Weltgeschehen – zudem sollen der Überlieferung nach auch einige schmutzige Witze auf Deutsch die Runde gemacht haben. Ein Foto, das – quasi nebenbei – ikonografisch werden sollte, machte Stein übrigens dann auch noch.

rückkehr Stein gilt heute als Pionier der Straßenfotografie, in der er das Lebensgefühl gleich zweier Weltmetropolen seiner Zeit für die Nachwelt verewigt hat. Gleichzeitig sind auch viele seiner Porträts weltbekannt. Seine Straßenfotos von anonymen Passanten auf der Brooklyn Bridge, Schuhputzern, Blumenverkäuferinnen, Bauarbeitern haben mit seinen Porträts gemeinsam, dass er es schaffte, den Menschen auf der Straße die gleiche Erhabenheit und Würde zu geben wie den Konterfeis der Mächtigen und Berühmten.

Nach Steins Tod 1967 mit nur 58 Jahren verschwanden seine Negative lange in Schuhkartons, bis sein Sohn, Peter Stein, 1997 seine ganzen Ersparnisse zusammenkratzte, um die Fotos seines Vaters systematisch aufzubereiten und an die Öffentlichkeit zu bringen. 1995 wurden viele von ihnen im International Center of Photography in New York ausgestellt, eine größere Werkschau gab es dann 2013 im Jüdischen Museum Berlin und nun erfreulicherweise eine große Retrospektive Fred Stein. Dresden, Paris, New York mit über 70 Fotos im Stadtmuseum Dresden, in der die auch oben genannten Fotos zu sehen sind.

Fred Steins vielschichtiges und umfangreiches Werk ist reich an Facetten, und diese künstlerische sowie auch politische Würdigung durch seine Heimatstadt Dresden ist längst überfällig. Stein war Fotograf in einer Epoche, in der Fotografen eher als Techniker galten denn als Künstler. Seine Arbeit ist von Humanität durchdrungen, aber es sind sein unverstellter Blick und ausgeprägter Sinn für besondere Momente, die seine Fotos zur Kunst erheben.

»Fred Stein. Dresden, Paris, New York«. Stadtmuseum Dresden, bis 7. Oktober

Berlinale

Voneinander getrennt

Die Doku »A Letter to David« erzählt von David Cunio, der seit dem 7. Oktober Geisel der Hamas ist – und von dessen Bruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Katrin Richter  14.02.2025

Meinung

Kann die Berlinale diesmal Israel-Bashing verhindern? Bleiben wir skeptisch

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  14.02.2025

Berlinale

Warten auf die Entschuldigung

Die 75. Berlinale sollte besser werden. Doch Ehrenbär-Gewinnerin Tilda Swinton und das Gala-Publikum haben da weitergemacht, wo das Filmfestival im vergangenen Jahr aufgehört hat

von Sophie Albers Ben Chamo  14.02.2025

Potsdam

Filmmuseum Potsdam zeigt Ausstellung über NS-Verbrecher Eichmann

Gezeigt werden Kurzfilme, 70 Fotografien und 60 Exponate

 13.02.2025

Berlinale

Solidarität mit David Cunio

Promis und Demonstranten erinnern an den israelischen Schauspieler, der seit dem 7. Oktober Geisel der Hamas in Gaza ist

von Ayala Goldmann  14.02.2025 Aktualisiert

Potsdam

Rausch der Formen und Farben - Barberini zeigt Ausstellung »Kosmos Kandinsky«

Das Potsdamer Barberini-Museum zeigt ab Freitag eine neue Ausstellung zu abstrakter Kunst. Unter dem Titel »Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert« werden 125 Werke gezeigt

von Sigrid Hoff  13.02.2025

TV-Tipp

Sky zeigt Doku über die Familie von Auschwitz-Kommandant Höß

Die Dokumentation »Der Schatten des Kommandanten« porträtiert Hans-Jürgen Höss. Er ist der Sohn jenes Mannes, der in Auschwitz die Tötungsmaschinerie am Laufen hielt

von Manfred Riepe  13.02.2025

Film

Das Erbe des Rudolf Höß

Die Doku »Der Schatten des Kommandanten« ist eine wichtige Ergänzung zu Jonathan Glazers Spielfilm »The Zone Of Interest«

von Ayala Goldmann  13.02.2025 Aktualisiert

Markus Lanz

»Sonst ist nie wieder nie wieder«

Die Holocaust-Überlebende Éva Szepesi und der TV-Journalist Marcel Reif sprachen über die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Kampf gegen Antisemitismus

von Michael Thaidigsmann  13.02.2025