Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Israelis sind »weiße Kolonialherren, die eine nicht-weiße indigene Bevölkerung unterdrücken«: Seit dem Terrorangriff der Hamas auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Gaza-Krieg verfestigt sich im Westen ein Stereotyp, das selbstgefällig antirassistisch daherkommt, im Kern jedoch rassistisch ist. Vor allem aber blendet es aus, dass Juden selbst diskriminiert wurden und als Folge von Pogromen, Vertreibung und Schoa heute auf allen Erdteilen leben.

Sind Juden weiß, nicht-weiß, schwarz oder gar rot? Welche Hautfarben schreibt man ihnen zu, und wie verorten sie sich selbst? Diesen Fragen widmet sich derzeit eine Ausstellung im Jüdischen Museum Wien. Ihr Titel: Schwarze Juden, Weiße Juden. Über Hautfarben und Vorurteile.
In sieben Räumen führt die Schau an ein Thema heran, das Bibliotheken füllen könnte. Gerade die begrenzte Fläche in der oberen Etage des Palais Eskeles zwang die Kuratorinnen und Kuratoren zur Konzentration – und dieser Fokus erweist sich als bemerkenswert gelungene Entscheidung.

Im Entrée wird der Besucher zuerst mit der »Ordnung der Welt« nach Hautfarben konfrontiert, einer sozialen Ordnung, die auf rassistischen und klassistischen Hierarchien beruht. Sofort steht die zentrale Frage im Raum: Wo lassen sich Juden in diesem System verorten? Welchen Platz haben sie in einer Welt, in der Hautfarbe stets auch Zuschreibung bedeutet?

Viele denken an aschkenasische Juden, wenn sie an Juden denken.

An einer Videostation sprechen sechs junge Menschen verschiedener Herkunft über ihr Jüdischsein, über gängige Vorstellungen – und über Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung, sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch innerhalb der jüdischen Community. Eine jüdisch-indische Israelin, die seit Jahren in Österreich lebt, berichtet, wie manche Menschen fast schockiert reagieren, wenn sie von ihrer Herkunft erfahren: »Aber du kannst doch nicht aus Israel kommen, wenn du nicht weiß bist«, höre sie häufig.

»Viele Menschen denken an aschkenasische Juden, wenn sie an Juden denken«, sagt in einem weiteren Interview eine bucharische Jüdin. Vielen sei nicht bewusst, dass es auch orientalische Juden gibt.

Auch sie hat erlebt, innerhalb der eigenen Community als minderwertig angesehen zu werden. »Das wird zwar abgestritten, aber ich habe es erfahren.« Sie betont, dass sie sich selbst nicht als weiß sieht – wohl aber als privilegiert. Sie habe Medizin studiert, lebe »in einem wunderschönen Land, in einer schönen Stadt«. Am Ende stellt sie das gesamte Konzept infrage: »Ich verstehe mich nicht als weiß. Doch was ist schon ›weiß‹?«

Viele Besucher verweilen lange bei den Interviews

Viele Besucher der Ausstellung verweilen lange bei den Interviews. Die persönlichen Erzählungen verdichten das Thema, machen es konkret und zeigen, wie vielfältig jüdisches Leben ist.

Exemplarisch dafür steht Philipp Egbune. Der heute 46-Jährige wurde als Sohn einer russisch-jüdischen Mutter und eines nigerianischen Vaters geboren, wuchs in Nigeria und in Russland auf und kam 1996 als Kontingentflüchtling nach Thüringen.

»Die Rassismuserfahrungen, die ich in Deutschland gemacht habe, haben mich geprägt«, sagt er. Auch in der jüdischen Community habe er Ausgrenzung erlebt – aber »nicht böse gemeint«, wie er betont, etwa wenn jemand fragte, ob man einmal seine Haare anfassen dürfe.

Die folgenden Räume stellen jeweils eine Frage: Was macht Juden weiß? Was macht Juden nicht-weiß? Was macht Juden schwarz? Besucher erfahren, dass Juden im Mittelalter oft als schwarz oder dunkelbraun dargestellt wurden – um sie von der weißen christlichen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen. Man assoziierte sie mit dem Orient. Im weißen christlichen Europa waren sie »die anderen«, oft die Einzigen.

Es geht um Ausgrenzung, Diskriminierung und Intersektionalität.

Zur Illustration zeigt die Ausstellung in einem Leuchtkasten ein gotisches Buntglasfenster aus der Marienkirche in Frankfurt an der Oder. Man sieht Männer mit dunkelroten Gesichtern und Judenhüten, der christlichen Überlieferung zufolge Anhänger des Antichristen. Juden hätten dunkle Haut und sogar schwarzes Blut, glaubte man damals.

Wie subtil manches davon bis heute fortlebt, zeigt in einer Vitrine die Figur einer kleinen schwarzen Madonna, im vergangenen Jahr in einem Souvenirshop im Vatikan gekauft. Zu Füßen der dunklen jüdischen Maria: ihr weißes Baby Jesus, das dank des Christentums bereits hell ist.

Verlorene Stämme

Die Ausstellung widmet sich auch schwarzen Juden – in Äthiopien ebenso wie in Israel. Sie stellt die sogenannten verlorenen Stämme vor: von den Abayudaya in Uganda über die Igbo Jews in Nigeria bis zu den Lemba in Südafrika und Simbabwe. Darüber hinaus geht es um Ausgrenzung, Diskriminierung und um Intersektionalität.

Ein Beispiel dafür, wie einzelne Persönlichkeiten im Spannungsfeld von Herkunft, Identität und politischem Mut neue Perspektiven eröffneten, ist Helen Suzman (1917–2009), eine der bekanntesten Anti-Apartheid-Aktivistinnen Südafrikas. Die jüdische Parlamentsabgeordnete kämpfte gegen das rassistische Regime, dokumentierte Menschenrechtsverletzungen und brachte sie unter Gefährdung der eigenen Sicherheit zur Sprache. Ihr Engagement zeigt, wie jüdische Identität, Erfahrung von Diskriminierung und das Eintreten für universelle Menschenrechte eng inein­andergreifen können.

Von solchen Beispielen führt der Weg hin zu einem letzten, leider etwas abseits liegenden Raum der Ausstellung, der die Besucher dazu einlädt, eigene Vorurteile zu reflektieren.

Die Wiener Schau ist nicht groß, doch angesichts ihrer thematischen Fülle und ihres Tiefgangs lässt sich mühelos ein halber Tag darin verbringen. Es ist ihr zu wünschen, dass viele Menschen sie sehen: Denn sie räumt mit einem hartnäckigen Irrtum auf: mit der Vorstellung, Juden seien generell weiß – ein Stereotyp, das seit mehr als zwei Jahren zunehmend politisch instrumentalisiert wird.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. April 2026 zu sehen. Begleitend dazu ist ein umfangreicher, wissenschaftlich fundierter Ausstellungskatalog erschienen.

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