»Das Mädchen von Oslo«

Pias Geheimnis

Nadav (Daniel Litman), Noa (Shira Yosef) und Pia (Andrea Berntzen, v.l.) freuen sich auf eine Auszeit im Sinai. Doch die Geschichte nimmt eine dramatische Wendung. Foto: © 2021 Netflix, Inc.

Manche Überraschung verläuft anders als geplant. Als die Eltern der norwegischen Studentin Pia Bakke unangemeldet mit Kuchen, Kerzen und Geschenk vor ihrer Haustür stehen, um zum Geburtstag zu gratulieren, erfahren sie, dass die Tochter gar nicht in Oslo weilt, sondern sich nach Israel verabschiedet hat.

Der Grund, warum Pia überstürzt und ohne sie zu informieren einfach abgehauen ist, war ein handfester Streit mit Mutter Alex, weshalb diese nun ebenfalls Richtung Israel aufbricht, um dort nach ihrer Tochter zu suchen. Dabei setzt sie voll und ganz auf die Hilfe eines früheren Freundes, des ambitionierten israelischen Sicherheitspolitikers Arik Shor.

Doch dann die Schreckensnachricht: Auf dem Sinai ist Pia zusammen mit zwei israelischen Freunden, dem Geschwisterpaar Noa und Nadav, von IS-Terroristen gekidnappt worden.

GEISELNEHMER Die Geiselnehmer fordern die Freilassung von zwölf ihrer Gesinnungsgenossen, die sowohl in Israel als auch in Norwegen in Gefängnissen sitzen. Und statt Strandurlaub am Roten Meer beginnt für die drei jungen Menschen nun ein Albtraum – nicht zuletzt auch deshalb, weil eine erste von Arik Shor nicht ganz koscher eingefädelte Befreiungsaktion gründlich danebengeht.

In ihrer Verzweiflung aktiviert die Mutter eine weitere Bekanntschaft aus alten Zeiten, diesmal die im Gazastreifen lebende Ärztin Layla. Mit ihrer Unterstützung nimmt sie Kontakt zur Hamas auf. Jetzt sind es die Palästinenser, die Pia retten sollen, weshalb Alex versucht, deren Anführer Bashir davon zu überzeugen, dass dies für alle Beteiligten eine Win-win-Situation werden könnte. Doch auch dieser Plan will nicht so richtig aufgehen, jedenfalls beim ersten Versuch.

TOP FÜNF Damit ist man auch schon mittendrin im Plot der ersten Staffel von Das Mädchen aus Oslo, die es Ende Dezember in die Top Fünf der meistgesehenen Net­flix-Serien schaffte – reichlich ungewöhnlich für eine zehnteilige israelisch-norwegische Koproduktion.

Doch der Politthriller, dessen Skript von Kyrre Holm Johannessen und Ronit Weiss-Berkowitz stammt und bei dem Stian Kristiansen und Uri Barbash die Regie führten, hat es in sich. Zum einen werden die Zuschauer auf eine temporeiche Reise durch den Nahostkonflikt mitgenommen, bei der garantiert keine Langeweile aufkommt.

Statt Strandurlaub am Roten Meer beginnt für Pia und ihre israelischen Freunde ein Albtraum.

Zum anderen schaffen es die Macher, sattsam bekannte Klischees zu vermeiden oder einfach nur platte Action zu präsentieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Aspekte zur Sprache kommen, die auch außerhalb der Region von Bedeutung sind, beispielsweise die Frage, ob eine Regierung mit Terroristen verhandeln sollte oder besser nicht.

Aber es geht in der Serie um viel mehr, und darauf verweist bereits das Dreiergespann Alex, Arik und Layla, das die Freilassung von Pia verhandelt. Sie alle müssen irgendwie miteinander interagieren, um dieses Ziel zu erreichen – ähnlich wie Anfang der 90er-Jahre, als sich Israelis und Palästinenser in der norwegischen Hauptstadt zu ersten geheimen Verhandlungen trafen.

Und nun versteht man auch, woher sich alle kennen. Vor über 25 Jahren war genau dieses Trio als Diplomaten an den Gesprächen beteiligt, kennt also alle Fallstricke und Momente, in denen man sich in einer Sackgasse wähnt. »Wie damals dürfen wir nicht aufgeben«, lautet denn auch ein Schlüsselsatz in den Dialogen.

TWIST Aber die Storyline hat noch einen ganz besonderen Twist. Pias leiblicher Vater ist Arik Shor. Alex und er hatten damals eine Affäre. Nur wusste der Israeli bis dahin nichts von seinem Glück, was für ihn die Sache nicht unbedingt einfacher macht.

Somit ist auch Pia ein Resultat dieser Verhandlungen, was wiederum erklärt, warum die Serie nicht einfach Das Mädchen aus Norwegen heißt, sondern sich der Titel ganz konkret auf Oslo bezieht.

Letztendlich geht es also auch um die Rettung des Friedensprozesses. Die Figur von Laylas Sohn Jussuf, der eine zentrale Rolle in der Handlung spielt, steckt ebenfalls voller Symbolik. Denn der junge Palästinenser hat sich – bewusst in Abgrenzung zu seiner säkularen Mutter – ganz dem radikalen Islam verschrieben und sich dem IS angeschlossen, merkt aber irgendwann, dass diese Entscheidung nicht ganz so clever war.

Manchmal jedoch entsteht der Eindruck, dass die Macher des Politthrillers ein wenig zu viel des Guten wollten. So entwickelt sich in Oslo eine Art Nebenstrang der Geschichte mit Pias nicht-leiblichem Vater als Protagonisten, der etwas abgekoppelt wirkt.

FAUDA Was aber das Ganze so überzeugend macht, sind die Leistungen der Schauspieler, von denen manche aus Fauda bekannt sind. Doch Spoiler-Alarm! Das Mädchen aus Oslo ist alles andere als ein Nachahmer-Produkt der gleichfalls populären Agentenserie.

Der Titel der Serie bezieht sich ganz konkret auf die Friedensgespräche in den 90er-Jahren in Oslo.

Vor allem die weiblichen Rollen sind dominant und mit Anneke von der Lippe, die als Mutter von Pia immer wieder mit Geheimnissen aus ihrer Vergangenheit konfrontiert wird, oder Raida Adon, die als Layla an den Verhältnissen im Gaza­streifen leidet und deren Widerwillen gegen die Zwangsverschleierung man förmlich spüren kann, bestens besetzt. Kein Wunder, dass die Serie zum Überraschungshit auf Netflix wurde.

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Wieder hat sich Regisseur Philipp Stölzl kräftig vom Bestseller-Autor Noah Gordon anregen lassen

von Peter Claus  19.12.2025

Musik

Louis-Lewandowski-Festival hat begonnen

Der Komponist Louis Lewandowski hat im 19. Jahrhundert die jüdische Synagogenmusik reformiert. Daran erinnert bis Sonntag auch dieses Jahr ein kleines Festival

 18.12.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  18.12.2025

Ausstellung

Pigmente und Weltbilder

Mit »Schwarze Juden, Weiße Juden« stellt das Jüdische Museum Wien rassistische und antirassistische Stereotype gleichermaßen infrage

von Tobias Kühn  18.12.2025

Kulturkolumne

Vom Nova-Festival zum Bondi Beach

Warum ich keine Gewaltszenen auf Instagram teile, sondern Posts von israelischen Künstlern oder Illustratorinnen

von Laura Cazés  18.12.2025

Neuerscheinung

Mit Emre und Marie Chanukka feiern

Ein Pixi-Buch erzählt von einem jüdischen Jungen, der durch religiöse Feiertage Verständnis und Offenheit lernt

von Nicole Dreyfus  18.12.2025

Zahl der Woche

1437

Funfacts & Wissenswertes

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  18.12.2025