Thriller

Paris kann sehr kalt sein

Wo ist er nur geblieben, dieser Yaniv Meidan, lebenslustig, charmant und verspielt bis zur völlig unbeschwerten Kindsköpfigkeit, wie seine Kollegen manchmal gespielt amüsiert klagen, nachdem Meidan am Pariser Flughafen Charles de Gaulle mit dieser atemberaubenden Blondine, gekleidet in eine rote Hoteluniform, in einen Lift gestiegen war? Denn als sich die Türen des Aufzugs auf der Parkebene öffneten, war der Lift leer. Niemand stieg aus.

Marketingabteilung Kommissar Jules Léger, der eigentlich nur für eine Woche aushilfsweise den Chef der Flughafenpolizei vertreten soll, steht vor einem Rätsel. Wieso nur sollte jemand den jungen Leiter der kleinen Marketingabteilung eines noch kleineren israelischen Start-ups, das für die CEBit Europe Paris gemeldet war, entführen wollen? Und beseitigen? Und gibt es überhaupt eine Leiche? Oder ist das alles – ja was eigentlich?

Und dann mischt sich in Légers Arbeit auch noch ein mehr als gut aussehender scharfsinniger israelischer Ermittler ein, Zeev Abadi, in Paris aufgewachsen und soeben nach einem Jahr der Kaltstellung völlig überraschend zum Chef der Unit 8200 berufen. Letzteres noch überraschender für Leutnant Oriana Talmor, die seine Stellvertreterin wird und zwischen Tel Aviv und der Negevwüste gegen einflussreiche Gegner in den eigenen Reihen zu kämpfen hat.

Mörderbrigade Am Ende des Thrillers, nach 480 Seiten, sind zwölf Menschen tot. Es gibt eine chinesische Mörderbrigade, die raffiniert tötet. Es gibt Kasinomogule, die mit allen Mitteln um Einflusssphären kämpfen. Es gibt Erpressungen, Entführungen, Schein-Entführungen, Verfolgungen, Action- und Kampfszenen.

Und jede Menge Rätsel, die Dov Alfon in seinem Thriller Unit 8200, in Israel ein Megabestseller, elegant, ironisch und dramaturgisch bis zum klugen Finale mit ausgesuchter Raffinesse auflöst.

Militärdienst Unit 8200 ist in Israel ein Geheimdienst innerhalb des Geheimdienstes – und wohl die ausgereifteste technologisch-elektronische Abhör- und Überwachungseinrichtung der Welt. In ebendieser Unit 8200 leistete Dov Alfon, Jahrgang 1961, seinen Militärdienst ab. Später machte er Karriere bei der »Haaretz«, wurde Chefredakteur und leitete einen der wichtigsten israelischen Buchverlage. Heute lebt er wieder in Paris, wo er seine ersten elf Lebensjahre verbrachte.

So gekonnt und zugleich ironisch, ohne das Genre des Agenten- und Verschwörungsthrillers böswillig zu denunzieren, hat schon länger kein Autor auf der Thriller-Klischeeklaviatur gespielt (»Superbody«, »Adonis«, eine goldene Pistole wie in Matrix, und dazu trägt der Pariser Kriminalrat auch noch alles andere als zufällig den selben Vornamen wie Georges Simenons Kommissar Maigret).

Anspielung Dov Alfon hat dabei noch jede Menge Anspielungen untergebracht, auf politische Akteure, private Friseurrechnungen, die aus dem Staatssäckel bezahlt werden, über zynische »Berater« bis zu ausgelebter Korruption und Vorteilsnahme im Amt und haarsträubender Manipulation der Presse. Natürlich dürfte Alfon Daniel Silvas Serie um den Superagenten Gabriel Allon kennen. Nur vermeidet er deren leicht romantisch-märchenhafte Anflüge. Gabriel, rück rüber – hier kommt Zeev!

Kein Wunder, dass die englische Ausgabe des Romans – kurioserweise ließ der Rowohlt-Verlag das fulminante Buch nach der Anfang dieses Jahres in London veröffentlichten Ausgabe aus dem Englischen übersetzen, sehr gut übrigens – auf der Longlist des renommierten International Dagger Award steht – und gute Chancen auf das Siegerpodest hat.

Dov Alfon: »Unit 8200«. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2019, 480 S., 16 €

Zürich

Goldmünze von 1629 versteigert

Weltweit existieren nur vier Exemplare dieser »goldenen Giganten«. Ein Millionär versteckte den Schatz jahrzehntelang in seinem Garten.

von Christiane Oelrich  11.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  11.11.2025

Sehen!

»Pee-Wee privat«

Der Schauspieler Paul Reubens ist weniger bekannt als seine Kunstfigur »Pee-wee Herman« – eine zweiteilige Doku erinnert nun an beide

von Patrick Heidmann  11.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  11.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025

Berlin

Ein streitbarer Intellektueller

Der Erziehungswissenschaftler, Philosoph und Publizist Micha Brumlik ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein persönlicher Nachruf

von Julius H. Schoeps  11.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  10.11.2025

Raubkunst

Zukunft der Bührle-Sammlung ungewiss

Die Stiftung Sammlung E. G. Bührle hat ihren Stiftungszweck angepasst und streicht die Stadt Zürich daraus

von Nicole Dreyfus  10.11.2025

Marbach am Neckar

Schillerrede: Soziologin Illouz vergleicht Trump mit »König Lear«

Statt Selbstbeweihräucherung empfiehlt die Soziologin Eva Illouz in der Schillerrede 2025 den Zweifel und das Zuhören - nur das helfe aus der eigenen Echokammer heraus

 10.11.2025