Konzert

Nuscheln gegen den Mythos

Bob Dylan Foto: dpa

So ein richtiges Bob-Dylan-Erlebnis hatte im Wiener Konzerthaus wahrscheinlich nur der Straßenzeitungsverkäufer. Er hatte sich pünktlich vor Konzertbeginn vor den Eingang gesetzt, in grünen Lettern »Bitte Spende für ein Ticket, für gute Musik und gute Zeit« auf seinen kleinen Handwagen geschrieben und eine Box darauf gestellt, aus der unablässig alte Dylan-Songs plärrten.

Damit traf er die 68er-Stimmung beim Publikum, das im Durchschnitt wahrscheinlich älter war als das Klassikpublikum, das normalerweise ins mit Stuck und Blattgold dekorierte Konzerthaus pilgert. Jeden, der dem Straßenzeitungsverkäufer einen »Augustin« abnahm, ließ er mit strahlender Zahnlücke wissen, dass ihm jemand tatsächlich ein 200-Euro-Ticket geschenkt habe. Und er brachte das morbide Credo vieler auf den Punkt: »Vielleicht ist’s ja das letzte Mal.«

WAHRHEIT Im nicht ganz ausverkauften Auditorium erlebte er ein Konzert, bei dem zu verfolgen war, was passiert, wenn ein Mensch zum überlebensgroßen Mythos geworden ist und in Wahrheit doch einfach nur Musik machen will.

Nein, dieser Bob Dylan, der da über die Bühne torkelte, hat nichts mehr nötig.

Was bedeutet Bob Dylan, dem Sohn ukrainisch-jüdischer Immigranten aus Odessa, der Legende von Woodstock, einer Identitätsfigur des Civil Rights March nach Washington, der mit Klampfe und Mundharmonika bereits mit 25 Jahren zur Ikone der größten amerikanischen Politbewegung geworden ist, heute, mit 78 Jahren, ein ganz normales Konzert? Kaum ein Musiker hat die Zeiten so sehr verändert wie er. Und nun? »The Times They Are a-Changin’« – auch ohne ihn.

Das wirklich Große an Bob Dylan ist, dass er offenbar keine Lust hat, irgendwo anzukommen. Vor allen Dingen nicht in der Vergangenheit. Während andere Pop- und Rockstars am Ende ihrer Tourneekonzerte gern ein Best-of spielen, um die guten alten Zeiten noch einmal heraufzubeschwören, scheint Dylan – symbolisch von hinten und nicht von vorne angestrahlt – allen zeigen zu wollen, dass er die eigene Vita lediglich als Steinbruch für Neues nutzt, dass das eigene Repertoire so flexibel ist, dass es sich in jede denkbare Richtung drehen und wenden lässt, auch eine sperrige, fast unkonsumierbare, intellektuell überfordernde Richtung.

»Love Sick« endete in einem melancholischen Gejaule.

Meist versteckte er sich hinter dem Klavier, zuweilen griff er zur Mundharmonika, mit der er noch immer Gänsehaut erzeugen kann. Dylans Stimme ist inzwischen die eines alten Patriarchen, der keinen Wert mehr auf irgendeine Form der Verständlichkeit legt, weil er weiß, dass ihm eh alle an den Lippen hängen: »Like A Rolling Stone« als hingenuschelte Country-Schnulze, »Don’t Think Twice, It’s Alright« hingelallt, harte Rhythmen zu »Gotta Serve Somebody« und eine tiefschwarze Interpretation von »Scarlet Town«. »Love Sick« endete in einem melancholischen Gejaule. Alles klang irgendwie gleich, irgendwie teilnahmslos, irgendwie, als würden Dylan und seine Band unter den gigantischen, aber nur halb aufgedrehten Scheinwerfern für sich alleine spielen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Nein, dieser Bob Dylan, der da über die Bühne torkelte, hat nichts mehr nötig. Nicht, seinen Literaturnobelpreis persönlich abzuholen, und erst recht nicht, seinen Fans, die so gern in der Vergangenheit schwelgen wollen, auch nur einen Zentimeter entgegenzukommen. Als einige Zuschauer am Ende der Show ihre Handys zückten, trotz persönlichem Verbot des Künstlers, das an jeder Wand aufgehängt war, unterbrach er das Geigensolo zu »Blowin’ in the Wind« und wendete sich zum ersten und einzigen Mal persönlich an das Publikum: »We can either play or pose«, grummelte er ins Mikrofon, »it’s your decision!« (»Wir können entweder spielen oder posieren, es ist eure Entscheidung!«)

Auf dem Rückweg stolperte er über eine Monitor-Box, fing sich und sang, provokant lustlos, zu Ende. Nach anderthalb Stunden hatte er sich dann von der Bühne geschlichen, der Mythos Bob Dylan, gegen den sich der Sänger Bob Dylan auf seiner aktuellen Tournee 90 Minuten lang gestemmt hat.

Medien

»Besonders perfide«

Israels Botschafter wirft ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann Aktivismus vor. Die Hintergründe

 18.07.2025

London

Kneecap und Massive Attack wollen andere israelfeindliche Bands unterstützen

Einige der Initiatoren einer neuen Initiative verherrlichten den palästinensischen und libanesischen Terror auf der Bühne. Andere verglichen das Vorgehen Israels gegen die Hamas mit dem Holocaust

von Imanuel Marcus  18.07.2025

Darmstadt

Literaturpreise für Dan Diner und Ilma Rakusa

Diner habe die Geschichte des Judentums immer wieder als »Seismograph der Moderne« verstanden, begründete die Jury die Wahl

 18.07.2025

Nachruf

Nie erschöpfter, unerschöpflicher Herrscher des Theaters

Claus Peymann prägte das Theater im deutschen Sprachraum wie nur wenige andere. Nun ist er in Berlin gestorben. Erinnerungen an einen Giganten der Kulturszene

von Christian Rakow  18.07.2025

Kulturpolitik

Weimer sieht autoritäre Tendenzen im Kulturbetrieb

Attacken auf das weltberühmte Bauhaus und steigende Judenfeindlichkeit: Nach Einschätzung von Kulturstaatsminister Weimer steht der Kulturbetrieb zunehmend unter Druck

von Katrin Gänsler  18.07.2025

Tournee

Bob Dylan auf drei deutschen Bühnen

Das Publikum muss sich bei den Vorstellungen der lebenden Legende auf ein Handyverbot einstellen

 18.07.2025

Marbach

Israelische Soziologin Eva Illouz hält Schillerrede

Illouz widme sich dem Einfluss wirtschaftlichen Denkens und Handelns und greife damit Widersprüche kulturgeschichtlich auf, hieß es

 17.07.2025

Musik

1975: Das Jahr großer Alben jüdischer Musiker

Vor 50 Jahren erschienen zahlreiche tolle Schallplatten. Viele der Interpreten waren Juden. Um welche Aufnahmen geht es?

von Imanuel Marcus  17.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  17.07.2025 Aktualisiert