Theater

Nora als Geschäftemacherin

Eine der berühmtesten Frauenfiguren der Theatergeschichte trifft auf eine der angesagtesten Dramatikerinnen der Gegenwart: Mit Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert – eine Überschreibung von Henrik Ibsens Nora oder Ein Puppenheim (1879) – wirft Sivan Ben Yishai einen kritischen Blick auf den bürgerlichen Feminismus und bringt die Klassenfrage auf die Bühne. Nur zwei Wochen nach der Uraufführung in Hannover feierte das neueste Stück der 1978 in Tel Aviv geborenen Autorin am vergangenen Wochenende Premiere am Deutschen Theater Berlin.

Ibsens Nora gehört seit fast 150 Jahren zum Kanon der Bühnenliteratur, doch Sivan Ben Yishai verfällt deswegen nicht in Ehrfurcht. Sie formuliert ein paar Fragen aus dem 21. Jahrhundert an den Klassiker: Warum tauchen die Bediensteten kaum auf oder nur als Nebenrollen? Was ist mit der Geschichte hinter dem Drama auf der Vorderbühne, in dem sich die Protagonistin – die Frau von Torvald Helmar – aus der Enge der Ehe und der Konventionen des 19. Jahrhunderts zu befreien versucht?

Wer steht im Licht? Und wer nicht?

Wie Sophie Linnenbaum in ihrem wunderbaren Film The Ordinaries schaut Ben Yishai genauer auf das Rollenverzeichnis: Wer steht im Licht? Und wer nicht? Nun bekommen der Paketbote, das Haus- sowie das Kindermädchen ihren Auftritt und beschweren sich – aus guten Gründen – über mangelnde Anerkennung im Leben und Theater. Weil Nora bei Ben Yishai zu einer Unternehmerin wird, die mit ihrer Geschichte durch die Welt tourt, landen die Nebenfiguren aus Kostengründen in den Fußnoten. Die rächen sich mit einem Aufstand.

Mit Ibsens Nora hat Ben Yishais Überschreibung nur entfernt etwas zu tun, es geht weder um Schulden noch um Ehre. Stattdessen ist die Heldin eine gerissene Geschäftemacherin, die nicht davor zurückschreckt, den Paketboten mit einem vorgetäuschten MeToo-Vorwurf einzuschüchtern. So hat sich die bürgerliche Frau zwar von ihrem Mann emanzipiert, doch schuften müssen dafür andere, auch Frauen. Bei Ben Yishai geht durch das Haus der Helmars der Riss der Klassen­gesellschaft, es gibt jetzt ganz unterschiedliche Frauengeschichten.

Ben Yishai verbindet politische Theorien mit einer Selbstbefragung des Theaters.

Bereits in Nora & Die Freiheit einer Frau (2022) an den Münchner Kammerspielen hat Ben Yishai zu einer Nora-Überschreibung beigetragen, nun wird das gesamte Herrenhaus den Maden übergeben. Ab auf den Komposthaufen. So herrschaftlich sieht das Häuschen auf der Bühne des Deutschen Theaters gar nicht aus, eher die Kostüme, die das 19. Jahrhundert mit der aktuellen Trendfarbe Beige verbinden. Die Schauspieler parodieren den klassischen Ton oder wenden sich mit Kommentaren ans Publikum.

Es ist ein Abend, der viel will, sich aber auf dem Weg verliert. Die Regisseurin Anica Tomic, mit der neuen Intendantin Iris Laufenberg vom Schauspielhaus Graz nach Berlin gekommen, nutzt in knapp eineinhalb Stunden eine Unmenge an Theatermitteln, nur leider keine interessanten. Das ist für den Text, der nicht immer völlig ausgereift wirkt, wenig förderlich. Trotzdem merkt man, warum Ben Yishai mit ihren Stücken zurzeit einen Nerv trifft: Sie verbindet politische Theorien mit einer Selbstbefragung des Theaters.

Eine der wichtigsten Figuren der Gegenwartsdramatik

Innerhalb nur weniger Jahre ist es Sivan Ben Yishai gelungen, eine der wichtigsten Figuren der Gegenwartsdramatik zu werden. Als sie im vergangenen Jahr den Theaterpreis Berlin erhält, heißt es in der Begründung der Jury, sie sei »am Firmament des deutschsprachigen Theaters erschienen wie ein Komet«.

Nach einem Studium in Tel Aviv – Szenisches Schreiben und Theaterregie – zieht Ben Yishai 2012 nach Berlin. Es folgen ein paar kleinere Theaterarbeiten, sie inszeniert auch eigene Stücke.

2017 feiert Ben Yishai einen ersten großen Erfolg als Autorin. Mit Your Very Own Double Crisis Club wird sie zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin eingeladen, dort findet die Uraufführung statt. Drei Jahre später wird Ben Yishai am Nationaltheater Mannheim als Hausauto­rin engagiert. Ihr Stück Liebe / Eine argu­mentative Übung (2020) wird in München und Bochum aufgeführt. Ben Yishai schreibt auf Englisch, Übersetzungen kommen von bekannten Schriftstellerinnen wie Maren Kames oder Gerhild Steinbuch.

Die Erfolge häufen sich: Für Wounds Are Forever (Selbstportrait als Nationaldichterin) (2021) erhält Ben Yishai im folgenden Jahr den Mülheimer Dramatikpreis, außerdem wird sie in der Fachzeitschrift »Theater heute« als »Dramatikerin des Jahres« ausgezeichnet. Ihr Stück Like Lovers Do (Memoiren der Medusa) (2021) wird in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele zum renommierten Berliner Theatertreffen eingeladen, auch das im Jahr 2022. Sehr viel mehr Auszeichnungen kann man kaum abräumen.

Die Berliner Inszenierung ist ein Abend, der viel will, sich aber auf dem Weg verliert.

Am Maxim Gorki Theater, an dem auch Yael Ronen lange gearbeitet hat, bevor sie kürzlich mit Bucket List an die Berliner Schaubühne zurückkehrte, wird 2022 Ben Yishais Bühnenbeschimpfung uraufgeführt, eines ihrer interessantesten Stücke.

Auch hier gibt es wie bei Nora mit Peter Handkes berühmter Publikumsbeschimpfung (1966) ein Vorbild, doch Ben Yishai geht es wieder um eine radikale Selbstkritik des politischen Theaters. Das ist ihr Thema, dem sie auch mit ihrer neuesten Ibsen-Destruktion Nora treu geblieben ist.

Das Stück ist am Deutschen Theater erneut am 4., 10. und 23. Februar sowie am 12. und 26. März zu sehen.

Fernsehen

»Scrubs«-Neuauflage hat ersten Teaser

Die Krankenhaus-Comedy kommt in den Vereinigten Staaten Ende Februar zurück. Nun gibt es einen ersten kleinen Vorgeschmack

 28.11.2025

Eurovision Song Contest

Spanien bekräftigt seine Boykottdrohung für ESC

Der Chef des öffentlich-rechtlichen Senders RTVE gibt sich kompromisslos: José Pablo López wirft Israel einen »Genozid« in Gaza und Manipulationen beim Public Voting vor und droht erneut mit dem Austritt

 28.11.2025

Imanuels Interpreten (15)

Elvis Presley: Unser »King«

Fast ein halbes Jahrhundert nach Elvis’ Tod deutet viel darauf hin, dass er Jude war. Unabhängig von diesem Aspekt war er zugleich ein bewunderns- und bemitleidenswerter Künstler

von Imanuel Marcus  28.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025

Fernsehen

Zieht Gil Ofarim ins Dschungelcamp? 

RTL kommentiert noch keine Namen - doch die Kandidaten-Gerüchte um Gil Ofarim und Simone Ballack sorgen schon jetzt für reichlich Gesprächsstoff

von Jonas-Erik Schmidt  27.11.2025

Rezension

Ein Feel-Good-Film voller kleiner Wunder

Ein Junge, der nicht laufen kann, Ärzte, die aufgeben, eine Mutter, die unbeirrt kämpft. »Mit Liebe und Chansons« erzählt mit Herz und Humor, wie Liebe jede Prognose überwindet

 27.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  27.11.2025