Comics

Neues vom Husten-Institut

Hand-Drying in America heißt Ben Katchors neueste, 2013 im New Yorker Verlag Pantheon erschienene Publikation. 14 Jahre lang hat er daran gearbeitet. Seit 1998 bestückt der 63-Jährige Monat für Monat die letzte Seite des Architektur-
magazins »Metropolis« mit einem Comic. »Die ersten fünf Jahre war es ganz einfach, Themen zu finden«, sagt er. »Aber dann ist es immer schwieriger geworden, sich etwas Neues auszudenken, wenn die monatliche Deadline näher rückte.« Dennoch hält Katchor bis heute durch. 150 Comicstrips sind so in anderthalb Jahrzehnten zusammengekommen.

surreal Die kleinen, gezeichneten Geschichten haben – passend zu der Publikation, in der sie ursprünglich erschienen sind – mit urbanem Leben und Architektur zu tun. Die ungenannte Stadt, in der sie spielen, ähnelt Katchors Wohnort New York City in den 70er-Jahren. Auch der Held des Comics ähnelt seinem Erschaffer. Er ist eine Art Jedermann, ein Held ohne Eigenschaften und besondere Physiognomie, etwas hölzern mit schwarzem Stift gezeichnet, sparsam koloriert und aufs Wesentliche reduziert.

Die Figuren, die die wenigen Panels einer Seite bevölkern, bewegen sich wie Marionetten durch ein Kuriositätenkabinett großstädtischer Absurditäten. Da gibt es ein »Husten-Institut«, ein »Souvenir-Museum« oder einen »Absperrketten-Parcours für Warteschlangen«. Hand-Drying in America wurde vom Magazine »Time« und dem öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender National Public Radio 2013 in ihre Listen der besten Bücher des Jahres aufgenommen.

Ben Katchors Sinn fürs Absurde war schon in seinen Büchern The Cardboard Valise und Julius Knipl – Real Estate Photographer, seinem bislang bekanntesten Werk, zu bewundern, die beide leider hierzulande (noch?) nicht erschienen sind. Auf Deutsch liegt immerhin beim Berliner Avant-Verlag Der Jude von New York vor (112 S., 19,95€), ein Band in Schwarz-Weiß, der in New York Anfang des 19. Jahrhunderts spielt und von der fiktionalen Verwandtschaft zwischen den zehn verlorenen Stämmen Israels und den amerikanischen Ureinwohnern fabuliert.

Es treten unter anderem auf der Bühnenbildner Samson Gergel, ein Rückkehrer aus der Wildnis mit Namen Nathan Kishon und ein jüdischer Möchtegern-Unternehmer, der mit der Geschäftsidee gescheitert ist, Mineralwasser vom Eriesee nach New York zu pumpen. Dass Katchor authentische Plakate, Zeitungsannoncen und Werbebanner aus der Ära einbaut, verstärkt den Surrealismus der Story nur noch.

Dass er seine Geschichten so gern in der Vergangenheit ansiedelt, habe einen Grund darin, sagt Katchor, dass er sein Leben lang immer in Altbauten gewohnt habe. Deshalb »habe ich mir über die Leute Gedanken gemacht, die früher hier lebten«.

theater Ben Katchor kam 1951 in Brooklyn zur Welt. Zu Hause wurde Jiddisch gesprochen, man las die sozialistische Zeitung »Morgen Freiheit«. Religion spielte keine Rolle. Der Vater, ein aus Warschau stammender Geiger, der seinen Lebensunterhalt als Schneider verdienen musste, war, erinnert sich der Sohn, »Kommunist, den weder die Idee, Felder in Palästina zu bewachen noch in Brasilien die Pampa zu beackern, nachhaltig fesselte. So landete er schließlich in New York, wo er meine Mutter kennenlernte«.

Die Mutter, eine gebürtige Amerikanerin, liebte Comics wie Dick Tracy oder Little Orphan Annie und gab diese Liebe an den Sohn weiter. »Das war meine Einführung in die westliche Kultur«, sagt Katchor. Später, in den 60er- und 70er-Jahren, prägten ihn die Underground-Comics der Hippies.

Inzwischen zählt Katchor selbst zu den Großen des Genres. Er wird in einem Atemzug mit Art Spiegelman genannt, dem Schöpfer der Maus-Comics, in dessen Magazin RAW seine frühen Comics veröffentlicht wurden. Andere vergleichen ihn mit George Herriman, dem legendären Zeichner von Krazy Kat Anfang des 20. Jahrhunderts. Als erster Comicautor überhaupt wurde er mit dem »Genius-Award« der MacArthur Foundation Fellowship ausgezeichnet.

Katchor versteht sich mittlerweile allerdings nicht mehr primär als Comiczeichner oder Geschichtenerzähler, obwohl er zweifellos beides ist, und nicht von geringen Graden. Wichtiger sind ihm seine kleinen Theaterstücke. In Zusammenarbeit mit dem Singer-Songwriter Mark Mulcahy hat er ein halbes Dutzend Produktionen auf New Yorker Bühnen gebracht, zuletzt 2011 Up From the Stacks im renommierten Lincoln Center. »Ich gebe Mark immer ein Stück Prosa-Text, und er wählt dann aus, woraus er seine Songs macht. Wenn diese Songs dann fertig sind, mache ich Bilder dazu, die während des Konzerts an die Wand projiziert werden.«

Kino

Düstere Dinosaurier, frisches Starfutter

Neuer »Jurassic World«-Film mit Scarlett Johansson läuft in Deutschland an

von Ronny Thorau  01.07.2025

Berlin

Ausstellung »Die Nazis waren ja nicht einfach weg« startet

Die Aufarbeitung der NS-Zeit hat in den vergangenen Jahrzehnten viele Wendungen genommen. Eine neue Ausstellung in Berlin schaut mit dem Blick junger Menschen darauf zurück

von Lukas Philippi  01.07.2025

München

Fritz-Neuland-Gedächtnispreis gegen Antisemitismus erstmals verliehen

Als Anwalt stand Fritz Neuland in der NS-Zeit anderen Juden bei. In München wird ein nach ihm benannter Preis erstmals verliehen: an Polizisten und Juristen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen

von Barbara Just  30.06.2025

Forschung

Digitales Archiv zu jüdischen Autoren in der NS-Zeit

Das Portal umfasst den Angaben zufolge derzeit rund eine Million gespeicherte Informationen

 30.06.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  30.06.2025

Berlin

Mehr Bundesmittel für Jüdisches Museum

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer betonte, sichtbares jüdisches Leben gehöre zur Mitte der Gesellschaft

 30.06.2025

Großbritannien

Nach Anti-Israel-Eklat bei Glastonbury: BBC gibt Fehler zu

Ein Musiker wünscht während einer BBC-Übertragung dem israelischen Militär von der Festival-Bühne aus den Tod. Die Sendung läuft weiter. Erst auf wachsenden Druck hin entschuldigt sich die BBC

 30.06.2025

Glastonbury-Festival

Anti-Israel-Parolen: Britischer Premier fordert Erklärung

Ein Musiker beim Glastonbury-Festival in England fordert die Menge dazu auf, Israels Militär den Tod zu wünschen. Der Vorfall zieht weite Kreise

 30.06.2025

Essay

Die nützlichen Idioten der Hamas

Maxim Biller und der Eklat um seinen gelöschten Text bei der »ZEIT«: Ein Gast-Kommentar von »WELT«-Herausgeber Ulf Poschardt

von Ulf Poschardt  29.06.2025