Klassik

Musik voller Judentum

»Die Tagesschau war so etwas wie meine Deutschschule«: Elisaveta Blumina Foto: Stephan Pramme

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Musik voller Judentum

Die Pianistin Elisaveta Blumina versteht sich als Vermittlerin zwischen den Welten – und geht im März auf Tournee

von Ralf Balke  15.02.2016 19:04 Uhr

Dass Musiker mit einer besonderen Leidenschaft und viel Temperament über ihre Arbeit berichten, ist eigentlich nichts Neues. Wenn Elisaveta Blumina aber über den polnisch-jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg und sein Schicksal spricht, dann wird noch eine Schippe draufgelegt.

»Ich verstehe mich als Missionarin vergessener jüdischer Künstler wie ihm«, betont die in Leningrad geborene Pianistin. Und das ist durchaus ernst zu nehmen: Schließlich war es auch ihr Verdienst, dass der 1919 in Warschau geborene und 1996 in Moskau verstorbene Wegbegleiter von Dmitri Schostakowitsch endlich die Aufmerksamkeit erfährt, die er verdient.

Weinberg-Fieber Offensichtlich mit Erfolg. »Der bekannte Violinist Gidon Kremer hat sich bei mir einmal in einem Brief persönlich dafür bedankt, dass ich ihn mit dem Weinberg-Fieber angesteckt hatte«, sagt sie lachend. Und seit einigen Jahren entsteht unter ihrer Ägide beim Label »cpo« eine Serie von CDs mit Klavier- und Kammermusikwerken Weinbergs. »Seine Musik ist voller Judentum. Sie ist durchdrungen von jüdischen Melodien und jüdischem Schmerz. Einen jüdischeren Komponisten kann ich mir einfach nicht vorstellen.«

Musikalisch ist Elisaveta Blumina in vielen Welten zu Hause. Für ihre Einspielung von Werken französischer Komponisten erhielt sie 2014 einen Echo in der Kategorie Kammermusik des 20. und 21. Jahrhunderts. »In meiner Familie wurden aber gerade die deutschen Komponisten wie Johannes Brahms immer sehr verehrt«, erinnert sie sich. Und als ihr eigenes Talent sich zu entwickeln begann, hieß es sofort: »Lerne Deutsch! Das ist die Sprache der Komponisten.«

Die Tatsache, dass die Familie ihres Großvaters mütterlicherseits von den Deutschen während der Schoa ermordet wurde, sollte nichts daran ändern. »Deutschland ist nach wie vor die wichtigste Adresse für Musik in Russland. Jede musikalische Ausbildung, also auch meine, beginnt nicht mit den russischen, sondern mit den deutschen Komponisten.« Mit 19 kam sie dann alleine nach Hamburg, um in der Hansestadt weiter zu studieren. Deutsch hat die Pianistin, die auch fließend Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch spricht, innerhalb von zwei Monaten gelernt. »Die Tagesschau war so etwas wie meine Deutschschule.«

Sehnsucht Ihrer Geburtsstadt blieb sie emotional weiterhin eng verbunden. Dennoch sollten 20 Jahre vergehen, bis sie erstmals wieder dorthin reiste. »Zu groß war einfach die Angst vor einer Rückkehr und vor der Sehnsucht, die mich dann hätte vielleicht überwältigen können.«

Dafür drängten die russischen Komponisten stärker in den Mittelpunkt ihrer musikalischen Arbeit. Elisaveta Blumina wurde 2013 künstlerische Leiterin des 4. Hamburger Kammermusikfestes. Auch hier ging es ihr vor allem darum, auf die Vielfalt der russischen Musik hinzuweisen und den vielleicht nicht ganz so bekannten Vertretern zu mehr Öffentlichkeit zu verhelfen. »2015 war das der Komponist Grigori Samuilowitsch Frid, der im vergangenen Jahr 100 geworden wäre.«

Auch das von Elisaveta Blumina geleitete Giluim-Festival in Schönebeck geht auf ihre Initiative zurück. »Das hebräische Wort bedeutet so viel wie Entdeckungen oder Offenbarungen«, so die Musikerin. Gespielt werden die Werke bekannter jüdischer Komponisten wie Kurt Weill, Nikolai Kapustin oder George Gershwin sowie weniger bekannter wie Alexandre Tansman oder George Dreyfus.

Mendelssohn Die Tatsache, dass es auch viele Frauen unter den Komponisten gab, die es noch zu entdecken gilt, ist Elisaveta Blumina ein weiteres wichtiges Anliegen. »Clara Schumann und Fanny Mendelssohn dürften die meisten zwar kennen. Aber kaum jemand weiß, wer Galina Ustvolskaya oder Nadia Boulanger ist.« Eine in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Kammerorchester produzierte CD soll dies nun ändern. Auch das Hamburger Kammermusikfest 2016 plant, sich den Komponistinnen zu widmen.

Im vergangenen Jahr ist Blumina auf Einladung des Zentralrats in mehreren jüdischen Gemeinden aufgetreten. Die Resonanz beschreibt sie als positiv. »Dabei wurde nicht einfach nur Musik gespielt und gehört«, betont die Pianistin. »Die Biografie all derer, die sie geschrieben haben, sollte ebenfalls erzählt werden. Das berührte viele der Zuhörer und knüpfte manchmal an ihre eigenen Erfahrungen an.«

Nun rückt auch Israel verstärkt in den Mittelpunkt ihrer Musik. So reist sie inzwischen jedes Jahr zum Klezmer-Festival in Safed. Durch ihre vielen Aufenthalte im jüdischen Staat betrachtet sie auch die oft sehr einseitigen Debatten in Deutschland über den Nahostkonflikt mit anderen Augen. Aber es hat auch etwas Gutes: »Ich habe nun angefangen, Hebräisch zu lernen.« Das wäre dann wohl Sprache Nummer sieben.

www.blumina.com

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