Neurologie

Musik für die Augen

Keine Esoterik: das geistige Auge Foto: Thinkstock, (M) Frank Albinus

Wer gerne vom »geistigen« oder »dritten Auge« spricht, ist häufig auch Stammkunde im Esoterikladen um die Ecke. Genau dort wird man aber Professor Amir Amedi und sein Team wohl garantiert nicht finden – und das, obwohl in ihren Studien viel davon die Rede ist. Denn die Forscher vom »Edmond and Lily Safra Center for Brain Sciences« an der Hebräischen Universität in Jerusalem arbeiten seit Jahren an einer Technik, die es ermöglicht, Bilder in akustische Signale zu konvertieren. Diese Geräusche oder gar Melodien sollen von Geburt an blinden Menschen helfen, erstmals Dinge oder auch Personen visuell zu erfassen.

»EyeMusic« heißt das Konzept und funktioniert folgendermaßen: Ein Objekt wird eingescannt und umgewandelt, wobei die Pixel in den oberen vertikalen Positionen als relativ schrille musikalische Töne dargestellt werden und die unteren als recht tief klingende. Der Scanprozess erfolgt langsam und kontinuierlich von links nach rechts, ein weiteres akustisches Signal markiert den Anfang des Aufnahmeprozesses. Die horizontalen Positionen der Pixel werden durch den zeitlichen Abstand zwischen den einzelnen Klängen angedeutet. Je weiter rechts sich beispielsweise ein Gegenstand befindet, desto später erklingt es nach einem Eingangston. Last, but not least wird die Helligkeit durch die Lautstärke der Soundbilder ausgedrückt.

Zum Einsatz kommen dabei eine winzige Kamera, die am Rahmen einer Sonnenbrille befestigt wird und die ihre visuellen Signale auf Basis eines Algorithmus in Klangbilder umwandelt, sowie ein Smartphone samt Kopfhörer, das diese dann an ihren Träger weitergibt.

Kompensieren »Es ist schon erstaunlich, wie schnell unsere Testpersonen ›EyeMusic‹ benutzen konnten«, freut sich Amedi. »In einigen Fällen reichten bereits 30 Minuten Training, um die Abläufe zu beherrschen.« Das waren natürlich die Ausnahmen. Nach rund 70 Stunden Übung erkannten die Probanden mit dem Sinnesorganersatz Körperkonturen, Gesichtszüge und Alltagsgegenstände. »Sogar Farben lassen sich mit unserer Methode ausdrücken«, berichtet der Forscher nicht ohne Stolz. »Lebhafter Gesang verweist auf weiß, Trompetenklänge auf blau.«

Die Grundidee von »EyeMusic« ist nicht wirklich neu: Seit vielen Jahren bereits benutzen blinde Menschen andere Sinnesorgane, um ihr Handicap in Sachen Sehen in irgendeiner Form zu kompensieren. So können sie mit ihren Fingern Texte in der nach ihrem Erfinder Louis Braille benannten Schrift lesen, und auch der Stock in der Hand funktioniert wie eine Art rudimentären Navigationssystems.

Lange Zeit glaubte die Wissenschaft, dass die Anpassungsfähigkeit des Gehirns sehr begrenzt ist. Wenn zum Beispiel ein Mensch blind geboren wurde, sei die Gehirnrinde nicht in der Lage, die Fähigkeit zur Verarbeitung visueller Eindrücke zu entwickeln, lautete gemeinhin die Annahme. Die Forschungsergebnisse aus Jerusalem haben das nun eindeutig widerlegt. »Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Gehirne blinder Menschen selbst nach sehr langer Zeit noch visuelle Prozesse erlernen können«, erklärt Amedi.

flexibel Um die Funktionalität von »EyeMusic« auf Herz und Nieren zu prüfen, trainierten Amedi und seine Mitarbeiter 18 Freiwillige, die nicht blind waren, das Headset zu benutzen. Man verband den Testpersonen die Augen, setzte ihnen das Headset auf und bat sie dann, blaue und weiße Quadrate auf einem Tablet-Rechner mithilfe der akustischen Signale zu markieren. Anschließend sollten sie die Versuchsreihe noch einmal durchlaufen, diesmal aber ohne den Sichtschutz und das elektronische Hilfsgerät auf der Nase. Sehr zur Überraschung der Wissenschaftler erledigten die sehenden Personen in beiden Fällen die Aufgabe fast genauso schnell und korrekt.

»Das Gehirn eines Erwachsenen ist offensichtlich deutlich flexibler, als wir ursprünglich dachten«, bringt Amedi das Resultat seiner Forschungen auf den Punkt. »Einige Abschnitte sind in ihrer Leistungsfähigkeit wohl weniger abhängig vom Input visueller, akustischer oder haptischer Eindrücke als vielmehr von der Art der an sie gestellten Aufgaben.«

Rund 75 Millionen Menschen auf der Welt sind laut Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO blind. Der Forschungsansatz aus Israel könnte in Zukunft für nicht wenige von ihnen eine Möglichkeit bieten, ihre Situation zu verbessern. »Unsere Studie hat gezeigt, dass das Gerät im Alltag durchaus funktioniert und die Lebensqualität dadurch zu steigern vermag«, erklärt Amedis Kollegin Shelly Levy-Tzedek. »Mit dem richtigen Training kann ›EyeMusic‹ die für die visuellen Prozesse zuständigen Partien des Gehirns von Personen, die von Geburt an nie sehen konnten, quasi zum Leben erwecken.«

Das bewiesen unter anderem die magnetischen Resonanzbilder, die die neuralen Aktivitäten der blinden Testpersonen aufzeichneten, die ›EyeMusic‹ benutzten. Damit scheint das geistige Auge nicht länger eine Domäne der Esoterik zu sein, sondern der seriösen Wissenschaft.

Dortmund

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