»Maskenball unter den Linden«

Moritz im Moffenland

Berlin, Unter den Linden 1935 Foto: ullstein

Es ist so leicht zu sagen: Damals hätte ich mich nicht so verhalten. Ich hätte Widerstand geleistet. Ich hätte mich nicht korrumpieren lassen. Nur ein kleiner Vorteil, und wir hätten vielleicht auch angebissen. Ein kleines bisschen Schweigen, ein kleines bisschen Ducken. Unauffällig sein und hoffen, dass nichts passiert. Dass man nicht entdeckt wird. Wie Moritz Akkerman.

Akkerman ist Schauspieler in Holland und bekommt 1935 die Gelegenheit, viel Geld zu verdienen: In einem Film, der in Deutschland herauskommen soll, soll er sich selbst synchronisieren. Und will die Gelegenheit gleich nutzen, einen Kinderwagen und einen Staubsauger zu kaufen, denn der 24-Jährige ist verheiratet und seit wenigen Tagen stolzer und glücklicher Vater.

gründgens Aber dann lässt er sich auf eine Affäre mit einer berühmten deutschen Schauspielerin ein, die Kontakte in die höchsten politischen Kreise hat und mit dem Generalintendanten des Preußischen Staatstheaters befreundet ist. Der Intendant, der gerade Goethes Faust inszeniert und selbst den Mephisto spielt, will Luzifer von Joost van den Vondel aufführen, einen niederländischen Klassiker aus dem 17. Jahrhundert, und engagiert Moritz als Berater.

Der Intendant ist Gustaf Gründgens, seine Geliebte Ilyane trifft sich mit Göring und Hitler, während sie ihren jüdischen Ex-Geliebten Werner Morgenstern versteckt. Auch Moritz Akkerman ist Jude, allerdings assimiliert, nicht einmal beschnitten: »Es ist schon lästig genug, unauffällig Jude zu sein, dazu gehört nicht auch noch ein Glaube.« Anders als sein Cousin Ari sieht Moritz auch nicht jüdisch aus, im Gegenteil: In einer grotesken Szene bewundern zwei Deutsche ihn als »hervorragendes Beispiel eines Vollblutariers«.

Croisets Roman spielt mit dieser Unsicherheit des Protagonisten, der zwischen Anpassung, Liebesfreud und -leid und seltenen Ausbrüchen von Mut schwankt. Als er einmal sieht, wie eine Gruppe SA-Leute einen älteren Mann schikaniert, geht er dazwischen und schreit sie an, »in seinem schärfsten Deutsch«: »Sofort aufhören. Wir sind Nationalsozialisten und kein kommunistischer Pöbel! Wer ist der Anführer? Den Namen, aber schnell.«

In den Diskussionen über die Aufführung des Luzifer versucht Moritz, die Inszenierung zu verschärfen, die Auflehnung Luzifers gegen Gott als Widerstand gegen einen Diktator zu interpretieren – dabei waren schon Gründgens’ Inszenierungen nicht ungefährlich für ihn, der während der Nazizeit seine Schauspieler, auch Juden und Kommunisten, beschützte. Im Roman führt das dazu, dass der oberste Zensor des Regimes die Aufführung während der Generalprobe mit scharfen Worten verbietet.

grotesk
Allerdings zerfällt der Roman etwas: thematisch durch die viel zu ausführlichen theoretischen Diskussionen über Theater und Widerstand, Inszenierungen, Politik und Macht, was auf Dauer doch langatmig und unlebendig wird; zum anderen durch einige etwas zu vordergründig präsentierte stilistische Tricks des Autors, der mit einem inneren Monolog von Moritz und seinem gerade erst geborenen Kind herumspielt, ohne dass das dem Roman wirklich etwas hinzufügen würde. Dabei gibt es auch gelungene Stellen, viele Dialoge sowie die Liebesszenen, die oft mit einer überzeugenden, sinnlichen Leichtigkeit beschrieben werden. Schön auch, wenn es grotesk wird, etwa als der holländische Zoll Moritz für einen Nazispion hält und den Generalintendanten, der sein Flugticket bezahlt hat, für einen Militär.

Was noch viel mehr hätte herausgearbeitet werden können, sind Beobachtungen, die Moritz Akkerman als unvoreingenommener Besucher im Berlin der Nazis 1935 wirklich hätte machen können: die allgemeine Angst, der wachsende Druck, die Unsicherheit – das alles wird nicht mehr als angedeutet. Man lese dazu besser Heinz Liepmans Roman Das Vaterland, erschienen Ende 1933. Croiset bleibt im Vergleich leider etwas zu flach und starr.

Hans Croiset: »Maskenball unter den Linden«. Roman. Übersetzt von Mirjam Pressler. Schöffling, Frankfurt/M. 2014, 360 S., 22,95 €

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