Interview

Mit Kippa und Kopftuch für ein friedliches Zusammenleben

Foto: picture alliance / Godong

Seit Anfang Juni gibt es an der Universität Tübingen eine Jüdisch-Islamische Forschungsstelle, die nach eigenen Angaben die deutschlandweit erste ihrer Art ist. Im Gespräch erzählen die beiden Gründer, der Dozent für Jüdische Theologie, Asher Mattern, und die Professorin für Islamische Religionspädagogik, Fahimah Ulfat, warum es ihnen wichtig ist, Probleme wie Antisemitismus nicht auszuklammern.

Frau Ulfat, Herr Mattern, vor Kurzem haben Sie die Jüdisch-Islamische Forschungsstelle gegründet. Wie erklären Sie es sich, dass bisher nichts Vergleichbares existiert?
Mattern: Natürlich existieren bereits einige jüdisch-islamische Initiativen und Projekte, aber im universitären Bereich sieht es anders aus: Hier gibt es noch keine Stelle, wo jüdische und muslimische Theologinnen und Theologen miteinander forschen und den Anspruch haben, auch in die Gesellschaft hineinzuwirken. Dies liegt auch daran, dass zwar mittlerweile eine Reihe von Instituten für Islamische Theologie entstanden sind, es aber auf jüdischer Seite im Bereich der Theologie nur sehr wenige Ansprechpartner gibt. Selbst hier in Tübingen, wo ein »Campus der Theologien« entsteht, gibt es keine eigene Professur für jüdische Theologie. Ich selbst arbeite als Dozent für Jüdische Theologie am Institut für Ökumenische und Interreligiöse Forschung der katholischen Fakultät, das gemeinsam mit dem Institut für islamisch-religionspädagogische Forschung der Hauptträger unserer Forschungsstelle ist.

Was hat Sie motiviert, die Stelle zu gründen, und was wollen Sie damit genau erreichen?
Ulfat: Die jüdische und muslimische Tradition sind eng miteinander verwandt. Und gleichzeitig ist das Wissen um Gemeinsamkeiten vor allem bei Musliminnen und Muslimen wegen politischer Ereignisse wie dem Nahostkonflikt in den Hintergrund gerückt. Deshalb ist es wichtig, dass durch gemeinsame Forschung eine Grundlage entwickelt wird, damit wir wieder besser im Gespräch sein können.

Mattern: Außerdem gibt es einen weiteren Aspekt, der verbindet:
Jüdische und muslimische Menschen begegnen in der Gesellschaft oft sehr ähnlichen Problemen und Vorurteilen - Juden normalerweise etwas weniger, wenn sie nicht religiös sind. Aber sobald man Kippa trägt und koscher isst, Schabbat hält und von daher sich nicht ganz so in die Gesellschaft integrieren kann, wie das erwartet wird, erfährt man eine ähnliche Zurückweisung wie zum Beispiel kopftuchtragende Musliminnen. Das habe ich selbst sehr oft erlebt. Und von daher ist es sehr wichtig, dass wir auch gemeinsam agieren und darauf hinweisen können, welche Probleme wir in der Gesellschaft haben. Für meine Kollegin und mich ist klar: Auch wenn wir Menschen sind, die Kopftuch und Kippa tragen und ganz bewusst in unseren jeweiligen Traditionen verankert sind, heißt das nicht, dass wir nicht auch Teil der deutschen Gesellschaft sein wollen - im Gegenteil: Wir wollen aktiv an gesellschaftlichen Debatten teilnehmen und konstruktiv etwas zu einem gelingenden und friedlichen Zusammenleben beitragen.

Es gibt Studien, die zeigen, dass es antisemitische Einstellungen unter Muslimen und muslimischen Jugendlichen gibt. Was kann man dagegen tun?
Ulfat: Auch hier wollen wir in die Gesellschaft hineinwirken, indem wir Bildungsmaterial für Schulen erstellen und Fortbildungen anbieten für Lehrkräfte. Das ist für mich als Professorin für Islamische Religionspädagogik ein besonderes Anliegen.

Mattern: Außerdem ist in Schulen Begegnung mit Juden das A und O, um Antisemitismus vorzubeugen. Seit einigen Jahren arbeite ich ehrenamtlich bei »meet2respect«, ein Projekt, bei dem Imame und Rabbiner gemeinsam Schulklassen besuchen - vor allem in sogenannten »Brennpunktschulen« oder wo es bereits antisemitische Vorfälle gab.
Ich finde es immer sehr interessant, wie man anfänglich meist erst starke Skepsis erlebt, die dann aber sofort in Sympathie umkippt, wenn die Jugendlichen merken, dass ein Rabbi auch ein ganz normaler, ja vielleicht sogar netter Mensch ist.

Blickt man in die Vergangenheit, so gab es einerseits Zeiten eines guten Zusammenlebens zwischen Juden und Muslimen, aber auch schon zur Entstehungszeit des Islams kam es zu Konflikten. Braucht es da vielleicht auch mit Blick auf einige Verse im Koran und der islamischen Überlieferung eine theologische Aufarbeitung und Neuinterpretation?
Ulfat: Gerade beim Koran ist es grundlegend, die Verse in ihrem historischen Kontext zu lesen und sie nicht unhinterfragt ins Hier und Jetzt zu projizieren. Aussagen des Korans über Juden kann man nie pauschalisieren, sondern muss schauen, von welchen jüdischen Gruppierungen damals die Rede war, und dies dementsprechend einordnen. Wichtig finde ich, Prinzipien des Korans hervorzuheben, die das friedliche Zusammenleben heutzutage unterstützen, wie beispielsweise der Respekt und die gegenseitige Wertschätzung gegenüber Menschen mit anderer religiöser, aber natürlich auch nichtreligiöser Orientierung. Mit Blick auf die islamische Überlieferung gilt, dass relativ viele Aussprüche des Propheten erst zwei Jahrhunderte nach dessen Ableben verschriftlicht wurden und man deshalb nicht immer davon ausgehen kann, dass sie tatsächlich O-Ton des Propheten sind. Sie muss man nüchtern und historisch-kritisch analysieren und darf sie nicht auf dieselbe Ebene stellen mit den Worten des Korans.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft als Forschungsstelle?
Mattern: Wir hoffen, dass wir nach den ersten Stellenmitteln, die ich durch die Universität erhalten habe, langfristig durch Drittmittel finanziell solide aufgestellt sein werden, und sind schon jetzt dankbar für viele Kooperationspartner, die uns ideell unterstützen. Sofern es finanziell möglich ist, würden wir gerne ein Doktorandenprogramm aufbauen, in dem jüdische und muslimische Doktoranden gemeinsam an einem Oberthema forschen, und haben da auch schon internationale Kooperationen zum Beispiel mit der Bar-Ilan-Universität in Israel in Aussicht. Wichtig ist auch, dass wir mit allen Kollegen, die in diesem Bereich Expertise aufweisen, zusammenarbeiten und uns vernetzen.

Cuxhaven

Deichbrand-Festival hält an Macklemore-Auftritt fest

Der Rapper Macklemore soll am Sonntag ein Konzert geben, obwohl er antisemitische Propaganda und Verschwörungstheorien über Israel verbreitet

 16.07.2025

Los Angeles

Ben Stillers »Severance« punktet bei Emmy-Nominierungen

Gleich zwei Satiren über die moderne Arbeitswelt räumen bei den Nominierungen für den wichtigsten Fernsehpreis der Welt ab. Auch für »The White Lotus« und einen Batman-Ableger sieht es gut aus

 16.07.2025

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025