Corona-Proteste

Mit »Judenstern« und Häftlingsanzug

Corona-Protest-Kundgebung auf dem Cannstatter Wasen Foto: imago

Ein gelber »Judenstern« auf dem Ärmel, mit dem Wort »Ungeimpft«. Ein Mann in gestreifter Kleidung, die der Uniform eines KZ-Häftlings nachempfunden ist. In der Hand ein Schild mit der Aufschrift »Maske macht frei« - eine Anspielung auf den Spruch im Torbogen des Vernichtungslagers Auschwitz, »Arbeit macht frei«. Bei den sogenannten Hygiene-Demonstrationen in Deutschland sind auch Menschen unterwegs, die vor dem Vergleich der Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust nicht zurückschrecken. Die Sicherheitsbehörden warnen vor einer Unterwanderung der Proteste durch Rechtsextremisten.

Die Sorge um die eigene Existenz, die Angst vor Freiheitsverlusten dürfte viele Teilnehmer zu den Demonstrationen treiben. Doch in der Krise haben auch Verschwörungstheorien Hochkonjunktur, die versuchen, die diffuse, nur teilweise erforschte neue Bedrohung mit einem Komplott zu erklären. Auch judenfeindliche Theorien kursieren. »Die Corona-Krise wirkt sich dabei leider verstärkend aus, so dass wir auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind«, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.

»Die Corona-Krise wirkt sich dabei leider verstärkend aus, so dass wir auch in diesem Jahr massiv mit Antisemitismus konfrontiert sind«, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster.

»Nicht jeder, der einem Verschwörungsglauben anhängt, muss überzeugter Antisemit sein. Es gibt vielleicht auch Verschwörungsmythen ohne explizit antisemitische Elemente«, meint der Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn. »Aber bei den großen Verschwörungserzählungen gibt es immer auch Vorwürfe gegen Jüdinnen und Juden.« Spätestens bei der zweiten Teilnahme an einer Hygiene-Demo wisse jeder, mit wem er da protestiere.

Ob die Anhänger solcher Theorien Juden persönlich kennen, sei irrelevant. »Es gibt markante Unterschiede zwischen Antisemitismus und Rassismus«, sagt Salzborn. »Antisemitismus hat nichts mit Judentum oder Jüdinnen und Juden zu tun, sondern vielmehr mit dem Antisemiten.«

Die neue, alte Judenfeindlichkeit treibt nicht nur jüdische Organisationen hierzulande um, sie beschäftigt auch die israelische Regierung. »Leider ist es nicht neu, Juden für etwas verantwortlich zu machen«, sagt die Ministerin für strategische Angelegenheiten, Orit Farkasch-Hacohen. Tatsächlich tauchen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen Verschwörungstheorien auf, die sich seit Jahrhunderten halten.

Eine Umfrage der Universität Oxford ergab kürzlich, dass vier Fünftel der befragten Briten der These »Juden haben das Virus erschaffen, um die Wirtschaft lahmzulegen und finanziellen Profit daraus zu ziehen« nicht zustimmen. Ein Fünftel aber äußert zumindest ein wenig Zustimmung. Die Verschwörungstheorie, die Juden oder Israel würden das Virus einsetzen oder verbreiten, um politisch oder wirtschaftlich zu profitieren, zählt zu den am meisten verbreiteten. In Israel wird das natürlich genau verfolgt.

»Was wir nun sehen ist, dass anti-israelische Aktivisten schamlos den Deckmantel des Coronavirus ausnutzen, um ihre Hassreden zu verbreiten«, sagt Farkasch-Hacohen. Ihr Ministerium sieht einen »besorgniserregenden Aufwärtstrend von Antisemitismus und Bestrebungen, den Staat Israel zu delegitimieren«

Demnach lassen sich die antisemitischen Verschwörungstheorien in zwei Bereiche untergliedern: »klassischer Antisemitismus« gegen Juden, der vor allem von Rechten betrieben wird und sich an jahrhundertealte Verleumdungen anlehnt, und »neuer Antisemitismus«, der sich gegen den Staat Israel richtet und von Ländern wie dem Iran oder der Palästinensischen Autonomiebehörde sowie der Hamas verfolgt wird.

Dem israelischen Ministerium zufolge wird die zunehmende antisemitische Rhetorik auch von Gewaltandrohungen gegen Juden und Israelis begleitet.

Antisemitismus-Forscher Salzborn sieht es so: »Wer sich antisemitisch äußern möchte, nutzt oft den rhetorischen Deckmantel der Israelkritik. Das soll einem tatsächlichen oder erwarteten Antisemitismus-Vorwurf entgegentreten – lenkt damit aber vom Inhalt des Gesagten ab.« Das sei eine Strategie, um den demokratischen Konsens in Deutschland zu unterlaufen, und sie sei von sachlicher Kritik an Israel zu unterscheiden.

Dem israelischen Ministerium zufolge wird die zunehmende antisemitische Rhetorik auch von Gewaltandrohungen gegen Juden und Israelis begleitet. Diese könnten in die Tat umgesetzt werden, so die Befürchtung, wenn die Corona-Beschränkungen alle wieder aufgehoben sind. Dies geschieht derzeit schrittweise in den meisten Ländern. Das Ministerium dringt deshalb auf verstärkte nachrichtendienstliche Tätigkeiten, ein hartes Durchgreifen der Strafverfolgungsbehörden und umfassende Sicherheitsmaßnahmen, physisch und technologisch. dpa

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  14.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025