Buch

Mit dem Frühling kam der Krieg

Homs: Kämpfe im Februar 2012 Foto: dpa

Mit dem »Arabischen Frühling« begann in Syrien der Krieg. Am Freitag, den 3. Februar, erreichte das Blutbad seinen bisher schlimmsten Tiefpunkt seit Beginn des Aufstandes gegen das Assad-Regime. Mehr als 200 Menschen sollen in Homs von regimetreuen Sondereinheiten umgebracht worden sein. UNO-Angaben zufolge sind in Syrien inzwischen mehr als 5.400 Menschen getötet worden. Griff man in Libyen bereits nach den ersten von Gaddafi angeordneten Massenmorden ein, schaut die westliche Welt dem Gemetzel in Syrien scheinbar einfach nur zu.

Unter anderem mit der Frage, warum das so ist, befasst sich das kürzlich erschienene Buch von Markus Bickel Der vergessene Nahostkonflikt. Der in Frankfurt am Main und Riad aufgewachsene Politikredakteur der FAZ gilt spätestens seit 2005, als er nach dem Attentat auf den ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri und der darauffolgenden »Zedernrevolution« im Libanon seinen Wohnsitz nach Beirut verlegte, als Kenner des Nahen Ostens. Er berichtete für die FAZ aus erster Hand über Israels Krieg gegen die Hisbollah oder die Gefechte um Beirut 2008.

Nach einer überblicksartigen Einführung in den Konfliktherd Naher Osten beschreibt Bickel vor allem die innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Libanon. Fast ebenso ausführlich widmet er sich den politischen Entwicklungen in Syrien, die sich spätestens seit dem libanesischen Bürgerkrieg von der Geschichte des Libanon nicht mehr trennen lassen. Dreh- und Angelpunkt des Buches sind die Folgen von Hariris Ermordung, die nicht nur eine Wende im syrisch-libanesischen, sondern auch im syrisch-westlichen Verhältnis darstellte.

Schlüsselposition Die wechselhafte Beziehung, die der Westen mit Syrien in den vergangenen Jahren pflegte, hängt mit der Schlüsselposition zusammen, die Syrien in sämtlichen Konflikten des Nahen Ostens einnimmt und die Bickel beleuchtet. Hinzu kommen die Rolle des Iran als langjähriger Partner Syriens und die langwierigen israelisch-syrischen Friedensbemühungen, die den De-facto-Kriegszustand bis heute nicht beenden konnten. Wie es der Titel andeutet, bleiben Israel und das Palästinaproblem in dem Buch weitgehend im Hintergrund.

Mit seinem Schreibstil erzeugt Bickel eine Rasanz, die den Leser fesselt und durch die Entwicklungen führt wie durch einen Krimi – ohne Fakten zu vernachlässigen. Dabei greift Bickel immer distanziert den Blickwinkel des jeweiligen Landes auf, um die vielen Dimensionen der Konflikte überschaubar zu machen. Von der Herausbildung der Muslimbruderschaft über Hamas und Hisbollah bis zur »schiitischen Dialektik« – anschaulich erklärt Bickel die komplexen Zusammenhänge.

Das gelingt leider nicht durchgängig. Da viele Entwicklungen in den Ländern parallel verliefen, ist es stellenweise schwierig, den teilweise nicht-chronologischen Erklärungen Bickels zu folgen. Ist der Leser außerdem nicht mit allen im Buch genannten Personen bereits vorher vertraut, lässt sich in dem politischen Gewirr voller arabischer Namen schnell der Überblick verlieren.

Bickels abschließende These, dass ein Massaker wie 1982 in Hama aufgrund der medialen Verbreitung der Bilder nicht wiederholt werden könne, ist sehr optimistisch. Am 3. Februar gedachten die Menschen in Homs der Toten von 1982. Damals wurden zwischen 20.000 und 40.000 Menschen ermordet. Und heute sterben die Menschen vor laufenden Kameras. Nur in einem Punkt ist sich Bickel mit allen anderen Analysten einig: »Der ›Arabische Frühling‹ hat gerade erst begonnen.«

Markus Bickel: »Der vergessene Nahostkonflikt. Syrien, Israel, Libanon, Hizbollah«. C.W. Leske (Edition Weltkiosk), Düsseldorf 2011, 224 S., 18,90 €

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert