Antisemitismus-Vorwurf

Alle Vorstellungen von »Vögel« ausgesetzt

»Vögel« in der Inszenierung am Metropoltheater München Foto: Jean-Marc Turmes

Nachdem jüdische Studierendenverbände scharfe Kritik an der Inszenierung des Stückes Vögel geübt hatten, setzte das Metropoltheater München alle Vorstellungen aus – zunächst war noch eine Sondervorstellung und ein »offenes Gespräch« an diesem Sonntag geplant gewesen. Das hatte das Theater am Mittwoch mitgeteilt. Am Freitagnachmittag hieß es dann in einer Erklärung des Theaters, auch die Sondervorstellung am Sonntag sei nun abgesagt.

TEXTSTELLEN »Seit dem ersten laut gewordenen Vorwurf haben viele Gespräche vor allem mit jüdischen Mitbürger:innen und Vertreter:innen der jüdischen Gemeinde stattgefunden. Die Gespräche verliefen alle in einer sachlichen und zugewandten Form und haben dazu geführt, dass wir verstehen konnten, warum die kritisierten Textstellen bei manchen Menschen so starke negative Reaktionen hervorrufen können. Wir bedauern diese entstandenen Verletzungen und die empfundene Herabsetzung, die uns sehr leid tun«, schrieb das Theater.

Das Stück in der erarbeiteten Form wolle man vorerst so nicht mehr aufführen. »Somit macht es auch keinen Sinn, sich ein eigenes Bild von etwas zu machen, das es in dieser Form nicht mehr geben wird. Ein im Anschluss an die Vorstellung geplantes Gespräch erscheint uns in der derzeit erhitzten Atmosphäre nicht möglich und nicht konstruktiv«, hieß es weiter: »Auch zum Schutz unseres Ensembles und unserer Mitarbeiter:innen, für die diese Sondervorstellung und weitere Vorstellungen eine erhebliche emotionale Belastung dargestellt hätten, sagen wir die Sondervorstellung an diesem Sonntag ab.«

Die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) und der Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) hatten zuvor in einem offenen Brief geschrieben, sie seien über das »Ausmaß des darin zur Schau getragenen Antisemitismus entsetzt«. Die Stadt München fordern sie dazu auf, »die Finanzierung des Stückes zu streichen«. Die Stadt wies diese Forderung zurück. Unterstützung erhalten die jüdischen Studierendenverbände unter anderem von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

AUTOR In dem Stück, geschrieben von dem libanesisch-kanadischen Autoren Wajdi Mouawad und für das Metropoltheater von Jochen Schölch inszeniert, geht es um die Liebe zwischen einer Araberin und einem Juden, die von dessen Familie abgelehnt wird. »Es wird impliziert und sogar mit jüdischer Tradition und Geschichte argumentiert, dass Juden Araber hassen müssen«, sagte Anna Staroselski, Präsidentin der JSUD, der Jüdischen Allgemeinen.

»In Vögel wird Holocaust-Relativierung sowie israelbezogener Antisemitismus salonfähig gemacht.«

Offener brief jüdischer studierender

Staroselski und einige weitere jüdische Studierende, die sich das Stück angesehen haben, sind der Meinung, die jüdischen Figuren seien überwiegend negativ gezeichnet. Ihr Fazit: »In Vögel wird Holocaust-Relativierung sowie israelbezogener Antisemitismus salonfähig gemacht.« In ihrem Urteil beziehen sie sich unter auf eine Stelle, in der der jüdische Protagonist seinen Großvater, einen Schoa-Überlebenden, anbrüllt: »Du kannst nicht ständig alles, was passiert, mit deinem scheiß KZ vergleichen.«

In einer weiteren Passage sagt der Protagonist im Gespräch mit seinem Vater: »Glaubst du ernsthaft, wenn Traumata Spuren in den Genen hinterließen würden, glaubst du ernsthaft, unser Volk würde ein anderes Volk die gleiche Scheiße erleiden lassen, die wir erlitten haben?«  Staroselski dazu: »Die widerlichsten Aussagen über Juden werden jüdischen Figuren in den Mund gelegt.« Darin sieht sie den Versuch, einer »Täter-Opfer-Umkehr« Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Verlag Der Jüdischen Allgemeinen liegt die deutsche Übersetzung von Vögel sowie ein Protokoll des genauen Wortlauts der Inszenierung am Metropoltheater vor. Der Verlag der Autoren, der das Stück in Deutschland vertreibt, erklärte in einer Pressemitteilung: »Weder werden die Schrecken der Schoa in Mouawads Stück geleugnet, noch verharmlost.« Auch würden »Jüdinnen und Juden darin nicht ›als prinzipiell rassistisch dargestellt und dämonisiert‹«, wie in dem offenen Brief der jüdischen Studierenden behauptet.

Der Regisseur betont, dass das Stück auch schon in Tel Aviv aufgeführt wurde, wo es als »Versöhnungsstück verstanden worden« sei.

Tatsächlich wird Vögel auf europäischen Bühnen schon seit 2017 aufgeführt. Dabei hat offenbar kein Kritiker antisemitische Inhalte erkennen können. Der Deutschlandfunk nannte Mouawads Werk »das Stück der Stunde«.

Dialog Schölch und die Vertreter der jüdischen Studierendenverbände warfen einander vor, nicht aufrichtig an einem Dialog interessiert zu sein. Schölch stört »die Art, wie dieser Konflikt geführt wird«. Dass die Kritiker sofort die Streichung städtischer Gelder an sein Theater forderten, findet er falsch.

Der Nachrichtenagentur dpa sagte die Stadt München, sie habe nicht vor, ihre Förderung des Theaters zu überdenken. »Bei Kunst und Kultur ist es ja immer immanent, gerade wenn es um sehr diskursive Themen geht, dass auch Verletzungen passieren können«, erklärte eine Sprecherin der Stadt. Zwischen Israelkritik und Antisemitismus herrsche nun mal ein schmaler Grat.

Christian Ude, ehemaliger Münchner Oberbürgermeister und Vorsitzender des Freundeskreises des Metropoltheaters, sagte der dpa, den jüdischen Studierenden gehe es darum, »ein Reizthema zum 9. November zu veröffentlichen und nicht darum, sich ernsthaft mit einem Kunstwerk auseinanderzusetzen«.

UNTERSTÜTZUNG Unterstützung erhielten JSUD und VJSB derweil von der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Deren Präsidentin, Charlotte Knobloch, sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Wenn Menschen sich für eine Sache einsetzen und ihre Meinung ausdrücken, dann sollten sie dafür nicht noch angegriffen werden. Abwägungen rund um Fragen der Kunstfreiheit sind nie einfach – aber bei Inhalten, die verletzen oder beleidigen, ist eine Grenze überschritten.«

Auch der Antisemitismusbeauftrage Bayerns, Ludwig Spaenle, betonte in einer Pressemitteilung, die Kritik der Studierenden müsse ernst genommen werden. »Die Vorwürfe der jüdischen Studierenden gegen das Stück Vögel halte ich für gravierend«, sagte Spaenle. »Ein renommiertes Theater muss bei einer solchen Inszenierung die nötige Sensibilität walten lassen. Mir scheint eine umfassende Analyse sinnvoll und angebracht.«

Nach Einschätzung von Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus enthält die Aufführung »antisemitische Aussagen«.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern erklärte, sie unterstütze »jüdische Studierendenverbände in ihren Forderungen nach einer Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Inszenierung des Theaterstücks Vögel«. Nach Einschätzung von RIAS enthalte die Aufführung »antisemitische Aussagen, die im Lichte der antiisraelischen Stoßrichtung des Werkes zu verstehen sind. Die reflexhafte Abwehr der Kritik verhindert eine inhaltliche Auseinandersetzung.«

Einladung Das Metropoltheater meldete sich am Mittwoch zu den Vorwürfen zu Wort. Eine Pressesprecherin erklärte, man bedauere, »welche Verletzungen durch den Text ausgelöst wurden und dass sich im Zusammenhang mit dieser Aufführung Menschen herabgesetzt fühlen«. Kommenden Sonntag werde eine Sondervorstellung von Vögel mit einem offenen Gespräch stattfinden. Dazu habe man unter anderem Vertreter der jüdischen Gemeinde sowie von VJSB und JSUD eingeladen. »Bis zu dieser Vorstellung und diesem Gespräch setzen wir alle Vorstellungen der Vögel aus.«

Diese Einladung nahmen die jüdischen Studierendenvertreter indes nicht an. Stattdessen wünsche man sich einen Austausch an einem neutralen Ort und unter Vermittlung der Stadt München, schrieben JSUD und VJSB in einer Mail an das Metropoltheater.

Nun will das Theater, wie es am Freitag mitteilte, »in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat Gespräche mit Expert:innen in moderierter Form und mit dem nötigen Abstand initiieren, da wir es für geboten halten, die Aufarbeitung des Geschehenen zu professionalisieren. Wir halten es für unabdingbar wichtig, dass diese Aufarbeitung in konstruktiver Weise und in einem allseitig respektvollen Umgang stattfindet«.

Ausstellung

Die Schocken-Show

Das Jüdische Museum Berlin ehrt den Unternehmer und Verleger Salman Schocken dank eines Stars der US-Literatur

von Sophie Albers Ben Chamo  19.06.2025

Kulturkolumne

Zwischen Kotel und Kotti

Wie KI unseren Autor berühmt machte

von Eugen El  19.06.2025

FU Berlin

Sparmaßnahmen an Berliner Hochschulen treffen wohl auch Judaistik

An der Freien Universität ist unklar, ob eine Professur neu besetzt wird.

 19.06.2025

Fürth

Jüdisches Museum sucht geraubte kleine Dame

Man werde für eine Suchaktion an alle bekannten Kunstgalerien Flyer schicken und eine Anzeige in einer überregionalen Tageszeitung aufgeben

 18.06.2025

Sachbuch

Zweistaatenlösung, erster Versuch

Oren Kessler zeigt, wie sich bereits 1936 ein Grundmuster des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern herausbildete

von Ralf Balke  18.06.2025

Zahl der Woche

8. Platz

Fun Facts und Wissenswertes

 18.06.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Juni bis zum 26. Juni

 18.06.2025

Berlin

Erste Ausstellung über den Architekten Ossip Klarwein

Präsentiert werden mehr als 100 Entwürfe und Modelle, darunter ikonische Bauten des 1933 nach Palästina geflohenen jüdischen Architekten

 17.06.2025

Nachruf

Chronist einer ganzen Epoche

Michel Bergmann war ein Schriftsteller, der viele Genres beherrschte

von Ellen Presser  17.06.2025