Erinnerung

Menschen im Hotel, Autorin im Exil

Gegen Ende der Weimarer Republik war sie die erfolgreichste Autorin Deutschlands. Manch einer wird sich daran erinnern, eines ihrer Bücher im Regal der Eltern oder Großeltern gesehen zu haben, wahrscheinlich den millionenfach verkauften Roman Menschen im Hotel aus dem Jahr 1929. Vicki Baums größter, aber beileibe nicht einziger Erfolg. Schon ihr Debüt Eingang zur Bühne 1920 hatte eine Auflage von fast 150.000 erreicht, danach produzierte die Autorin im Berliner Ullstein Verlag jedes Jahr einen weiteren Bestseller.

multitalent Vicki Baum war eine Frau mit vielen Talenten. Die 1888 in Wien Geborene konnte, als sie ihr erstes Buch schrieb, bereits auf eine erfolgreiche Karriere als Harfenistin zurückblicken. Und sie verfügte über ein enormes Energiereservoir. Nicht nur verfasste sie mindestens einen Roman pro Jahr, sie arbeitete bei Ullstein auch als Redakteurin und kümmerte sich um ihre beiden Kinder. Ihr Ehemann, der Bühnendirektor Richard Lert, geriet bei diesem Pen sum allerdings etwas ins Hintertreffen: »In Darmstadt war er mein Vorgesetzter«, zitiert Baums Biografin Nicole Nottelmann einen Brief der Schriftstellerin von 1931. »Aber in der Ehe hat sich, fürchte ich, dieses Verhältnis ein bisschen umgedreht.«

Vicki Baum repräsentierte nicht nur den neuen Frauentypus der Weimarer Republik, der boxen ging und bisweilen sogar die ganze Familie ernährte. Sie beschrieb ihn auch. Ihr Roman Stud. chem. Helene Willfüehr 1928 erzählt von einer Studentin, die sich zu einer Abtreibung entschließt. Das Buch provozierte einen Skandal und wurde, was seine Auflagenzahlen angeht, nur von Menschen im Hotel übertroffen, der im Folgejahr erschien.

hollywood Verfilmt mit Greta Garbo und Joan Crawford brachte Menschen im Hotel Baum 1932 nach Hollywood, wo es ihr so gut gefiel, dass sie sich entschloss, endgültig in die USA überzusiedeln. Eine gute Entscheidung. »Nachdem ich in Deutschland bekannt gemacht hatte, dass ich meine Söhne in den USA aufziehen wollte, er-hielt ich üble Briefe, in denen mir sanfte junge Männer Tiernamen gaben«, erinnerte sie sich später. »›Alte Sau‹ war noch die freundlichste Bezeichnung. Als ich diese Briefe las, hatte ich das sichere Gefühl, dass junge Amerikaner so bestimmt nicht mit einer Frau umgehen würden, die sie gar nicht kennen.«

Auch in den USA wurde Vicki Baum eine beliebte Autorin, die ihre Bücher ab 1940 sogar auf Englisch schrieb. 1945 aber war ihre Erfolgsgeschichte beendet – eine indirekte Folge der Schoa. Vicki Baum war Jüdin, hatte sich aber niemals mit dem Nationalsozialismus und dem Antisemitismus auseinandergesetzt, in keinem Emigrantenkomitee und keinem Solidaritäts- ausschuss gesessen. Doch nun kam auch ihr zu Bewusstsein, was sie in den Jahren zuvor erfolgreich verdrängt hatte: »Mein Vater war ein schrecklicher Hypochonder«, heißt es in ihrer Autobiografie, »der dabei keinen Tag Krankheit in seinem ganzen Leben gekannt hat. Er starb, als er dreiundneunzig war, und hätte gut auch hundert werden können, wenn er nicht während des Krieges bei einem unrühmlichen Massaker in einer Stadt namens Novi Sad ermordet worden wäre.«

zusammenbruch Vicki Baum hatte ihren Vater gehasst, wie eine Frau ihren Vater zu hassen vermag, der sich zeitlebens darüber grämte, »nur« ein Mädchen statt einen Jungen gezeugt zu haben. Doch seine Ermordung und ihr spätes Wahrnehmen des Holocausts führten im Frühjahr 1945 zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch. Von nun an litt Vicki Baum unter starken Nacken- und Rückenschmerzen, für die kein Arzt eine Erklärung finden konnte. Sie erkrankte an Leukämie, die sie ihrer Familie verschwieg, und setzte sich an die Ausarbeitung ihrer Lebensgeschichte Es war alles ganz anders, die sie nicht ganz beenden konnte: Am 29. August 1960 starb mit Vicki Baum eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen, die sich selbst auf den letzten Seiten ihrer Autobiografie als Köchin, Hausfrau und Mutter bezeichnete, der es nur manchmal in den Fingern gekribbelt habe.

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025