Humor

»Men farschtejt jedess wort!«

Autor des neuen Buches: der emeritierte Germanistikprofessor Jakob Hessing Foto: imago/gezett

Franz Kafka beklagte 1912 in einem Vortrag in Prag die Unlust der west- und mitteleuropäischen Juden, das Jiddische verstehen zu wollen, diesen »verwirrten Jargon«, der hinter dem Fortschritt der Zeit verblieben ist.

Kafka war fasziniert vom sprachlichen Duktus der Völkerwanderungen, die sich im Jiddischen niederließen, von der Lebhaftigkeit, Unbändigkeit, Neugier und dem Leichtsinn des Jargons. Vielleicht hatte er auch Freude am dunklen, oft schwarzen Humor des Jiddischen, der gleichfalls in seinen eigenen Werken zu finden ist.

Eine Ambivalenz der Abwehr und Faszination gegenüber dem Jiddischen, verbunden mit der Melancholie der Post-Holocaust-Generation, sieht Jakob Hessing ebenso bei sich selbst. Der emeritierte Professor für Germanistik erinnert sich an seine eigene Kindheit und an die Verdrängung des Jiddischen aus seinem Leben. Ähnlich Manès Sperber, Moses Mendelssohn, Martin Buber oder Sigmund Freud, die ebenfalls mit Jiddisch groß geworden und der Mameloschen dann entwachsen sind.

Ordnung Für Hessing ist Jiddisch eine zutiefst ironische Sprache, gar subversiv. Denn die Ostjuden haben nie in der Illusion gelebt, angekommen zu sein, »arriviert«, wie die Juden im deutschen Kulturraum es glaubten.

Ihre Schtetl waren eng und schmutzig, ihr rechtlicher Status war eingeschränkt, und der Gegensatz zwischen dem realen Dasein und dem Mythos ihrer Auserwählung, den sie im täglichen Gottesdienst zelebrierten, war offenkundig. Laut Autor hinterfragt das Jiddische eine Ordnung, in der die Menschen ihr Leben führen, als würde es sie wirklich geben. Es hat eine ironische Spitze: Bevor die Erzählung in den Kitsch kippt, wird sie der Lächerlichkeit preisgegeben. Dies ist auch die klassische Funktionsweise des Witzes.

Nicht die typischen Witze über die jiddische Mamme, die zu sehr bemuttert, keine Wunderrabbiner, keine Heiratsvermittler, eher Geschichten, die das Denken in Gang bringen sollen, will Hessing in seinem neuen Buch erörtern: »Eine Palette der Deutungsmöglichkeiten, die die Geschichte uns anbietet.« Gleichzeitig ist dies auch das Manko des Buches. Wer eine Samm-lung jiddischer Witze erwartet, wird enttäuscht.

Es gibt eine Ambivalenz der Abwehr und der Faszination.

Es gibt ein paar Anekdoten, glücklicherweise im jiddischen O-Ton, die uns Einblick in eine vergangene Welt ermöglichen – so wie die aus dem »Romanischen Café« in Berlin –, in der Schalom Asch und andere jüdische Schriftsteller die schönste Sprache wählen sollen.

Lion Feuchtwanger plädiert für das Französische, der aus dem Osten stammende Dichter Saul Tschernichowski zieht das Russische vor. Dann kommt die Reihe an Schalom Asch: »Un mir dacht sich, as di schensste schprach oif der welt is jiddisch.« »Farwoss epess jiddisch?«, wundern sich die anderen. »Wajl men farschtejt jedess wort!«

Gemeinsinn Diese Anekdote zeigt einerseits das Bestreben der jüdischen Bohème nach Assimilation mit dem sie umgebenden Kulturkreis, andererseits das Verfangensein im sprachlichen Gemeinsinn. Eine andere Anekdote zeigt den Disput zwischen der religiösen Tradition und der aufgeklärten Selbstironie: Von einem guten, aber nicht sehr klugen jungen Mann im Schtetl wird erzählt, dass es schwerfiel, eine passende Tätigkeit für ihn zu finden.

Da beschloss man, er solle am Tor sitzen und Ausschau halten nach dem Messias, um seine Ankunft zu melden. Dafür setzte ihm der reichste Mann des Schtetls ein freilich nicht sehr üppiges Gehalt aus. »›Ss’is take nischt kajn ssach‹, verentfert sach der gwir, ›nor er hot parnósse ojf saan ganzen lejbn‹.« – »›Es ist zwar nicht sehr viel‹, entschuldigt sich der reiche Spender, ›aber er hat ein Einkommen für sein ganzes Leben‹.«

Vielleicht hatte Franz Kafka Freude am dunklen, oft schwarzen Humor des Jiddischen?

Um diesen Witz und die aufgeklärte Verspottung der jüdischen Messiaserwartung verstehen zu können, bietet Hessing dozentenhaft Material in klassischer Literaturanalyse. Während das Hebräische in den Jahrtausenden des Exils die Funktion einer Sakralsprache erfüllte und ernst bleiben musste, wurde das Jiddische zu einer Sprache der Skepsis und der Ironie.

Deshalb haben Mendele Moícher Sfórim, Scholem Alejchem und Jizchok Leib Perez schließlich auf Jiddisch geschrieben, obwohl sie ursprünglich der Haskalah und damit dem Hebräischen verpflichtet waren. Nur in dieser Sprache konnten sie alle Schichten des Volkes erreichen, nur im Jiddischen konnten sie ihrem Witz Ausdruck geben. Einen Großteil des Buches widmet Hessing der Analyse ausgewählter Werke dieser jiddischen Klassiker.

Dem jiddischen Witz, der seinen Ursprung in Osteuropa hat, steht der sogenannte »Judenwitz« gegenüber. Er wird zumeist in einem verballhornten Deutsch erzählt, das sich als Jiddisch ausgibt, aber eher aggressiv und diffamierend ist: »Miskele Feichtnos: ›Dü, der Dovid Veilchensaft hot e Haupttreffer gemacht, er is vun lauter Glück ganz meschüge.‹ Lebele Saft-grün: ›Nü, zohlt er seine Schüld’n? Feichtnos: So meschüge is er nichs‹.«

Ressentiments Auch der von Freud zitierte »Judenwitz« fehlt nicht: »Zwei Juden treffen in der Nähe des Badehauses zusammen. ›Hast du genommen ein Bad?‹, fragt der eine. ›Wieso?‹, antwortet der andere, ›fehlt eins?‹« Dieser Witz ist auch im Klassiker Jüdische Witze von Salcia Landmann aus den 60er-Jahren zu finden. Trotz – oder auch gerade wegen – des großen Erfolgs wurde das Buch kritisiert. Friedrich Torberg etwa kreidete an, dass Landmann in der Übersetzung der jiddischen Witze Fehler und Missverständnisse schuf. Den größten Vorwurf, den ihr auch Hessing macht, ist, dass ihr der Unterschied zwischen jüdischem Witz und Judenwitz nicht bewusst war und sie in ihrer Sammlung dementsprechend antisemitische Ressentiments bediente.

Dem jiddischen Witz, der seinen Ursprung in Osteuropa hat, steht der sogenannte Judenwitz gegenüber.

Hessings Buch über den jiddischen Witz ist in der Methodik der Literaturanalyse verfangen und dem »Geist« des jiddischen Witzes gewidmet. Im Englischen treffender als »wit« bezeichnet.

Die verschiedenen Formen des Witzes wie Kalauer, Einzeiler, dank Social Media als Meme wieder populär geworden, Scherzfragen, Situationswitze oder Wortmischungen werden nicht behandelt. Ein Wesenselement aller Witze ist der Überraschungseffekt. Die besten Witze verblüffen zudem mit ihrer Pointe. Den jiddischen Witz kann man in einem Satz zusammenfassen: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

Jakob Hessing: »Der jiddische Witz. Eine vergnügliche Geschichte«. C.H. Beck, München 2020, 176 S., 12,95 €

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