Meinung

Mazal tow!

Maria Ossowski, Kulturkorrespondentin des RBB Foto: dpa

Meinung

Mazal tow!

Daniel Barenboim bleibt bis 2027 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper – zum Glück

von Maria Ossowski  06.06.2019 15:16 Uhr

Auf güldenen Sesselchen im neobarocken Apollosaal hatten sie Platz genommen – der junge Intendant, der allseits beliebte Kultursenator, der um Ausgleich bemühte Orchestervorstand und natürlich er, um dessen Vertragsverlängerung es ging: Daniel Barenboim.

Klaus Lederer (Die Linke) begründete redegewandt die Entscheidung: Berlin habe dem Generalmusikdirektor viel zu verdanken, das Orchester stehe hinter ihm. Kein Vorwurf des Machtmissbrauchs sei rechtlich relevant, wenngleich Orchester und Dirigent weiterhin darüber im Gespräch blieben. Das Orchester wiederum legt Wert darauf, sich von der Presse nicht den Umgang mit seinem Dirigenten erklären lassen zu wollen und autark zu entscheiden.

Ende gut, alles gut? Nein. Aus zwei Gründen.

orchester Daniel Barenboim schließlich kokettiert ein wenig mit seinem Alter: Im November wird er 77, er möchte nicht als Reliquie enden. Wenn ihm die Kräfte schwinden oder das Orchester ihn nicht mehr mag, werde er gehen. Ende gut, alles gut? Nein. Aus zwei Gründen.

Erstens frage ich mich, wie ein seelisch differenzierter, kluger und nachdenklicher Charakter all die nach außen getragenen Vorwürfe gegen seine Person verarbeiten wird. Obwohl Barenboim früh zu Gesprächen bereit war, Einsicht zeigte und gelobte, zukünftig auf seinen Ton zu achten und sein Temperament zu zügeln, schien das, was er 28 Jahre aufgebaut hat, im plötzlichen Mediensturm unterzugehen.

Keine Frage: Musiker haben gelitten und vor ihm Angst gehabt. Im Zentrum aller Ressentiments aber schien irgendwann vor allem Barenboims Größe zu stehen, seine Macht, sein Erfolg und sein Charisma. Ohne diese Aura, ohne seine Biografie, seine Leidenschaft und seine Professionalität wäre die Staatskapelle niemals zu einem international gefeierten Orchester geworden, hätten wir in Berlin keine Barenboim-Said-Akademie und keinen Boulez-Saal. Diese Lust am Zerstören eines solchen Erfolgs macht nachdenklich, mag der Sturm sich auch gelegt haben.

nachrede Barenboim konnte zwar manch üble Nachrede stoppen. Aber es bleibt ein Nachhall, der seiner Leistung nicht gerecht wird. Warum tun wir uns so schwer, die Ambivalenz im Wesen eines Ausnahmekünstlers zu ertragen? Ist es wirklich nur Mitleid mit den Schwächeren oder eher eine innere Freude an der Demontage einer Legende?

Schon jetzt kommentieren selbst ernannte Experten, mit dieser Verlängerung habe mal wieder der alte, weiße Mann gesiegt, der zudem sehr angegriffen aussehe und von dem keine neuen Impulse kämen. Welch eine Arroganz und Härte, aber auch Missgunst gegenüber einer Lebensleistung.

Zum Zweiten blicken wir kurz auf die Dirigentenszene. Zwar konnte Klaus Lederer entscheiden zwischen Verlängern oder Nicht-Verlängern, aber der Kultursenator hätte keine Alternativen präsentieren können. Es warten reihenweise junge, bestens ausgebildete Dirigentinnen und Dirigenten auf ihre Chance, endlich ein perfekt geformtes Orchester leiten zu dürfen und an einem renommierten Haus Akzente zu setzen.

Es dauert viele Jahre, bis jene Strahlkraft sich entwickelt, die Barenboim zum Publikumsmagneten werden ließ.

strahlkraft Allein, es dauert viele Jahre, bis jene Strahlkraft sich entwickelt (wenn sie sich entwickelt), die Barenboim zum Publikumsmagneten werden ließ. Sind die Orchester, die Zuhörer, die Intendanten und Sponsoren geduldig genug, einen solchen Weg mitzugehen?

Es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben. 2027 wird der dann älteste Generalmusikdirektor der Welt verabschiedet. Bis dahin: L’Chaim, Daniel Barenboim, auf das Leben! Gesundheit! Und Mazal tow, viel Glück!

Die Autorin ist Kulturkorrespondentin des RBB und lebt in Berlin.

Musik

Yuval Raphael steht im Finale des ESC

Die 24-jährige israelische Sängerin wurde vom Publikum in Basel für ihren Beitrag »New Day Will Rise« gefeiert

 15.05.2025

Antisemitismus

Kanye Wests Hitler-Song »WW3« ist Hit auf Spotify

Der Text ist voller Hitler-Verehrung, gleichzeitig behauptet der Musiker, er könne kein Antisemit sein, weil er schwarz sei

 15.05.2025

Berlin

»So monströs die Verbrechen der Nazis, so gigantisch dein Wille, zu leben«

Leeor Engländer verabschiedet sich in einer berührenden Trauerrede von Margot Friedländer. Wir dokumentieren sie im Wortlaut

von Leeor Engländer  15.05.2025

Kommentar

Journalistisch falsch, menschlich widerlich

»News WG«, ein Format des Bayerischen Rundfunks, hat eine Umfrage darüber gestartet, ob man Yuval Raphael, eine Überlebende der Massaker des 7. Oktobers, vom ESC ausschließen soll

von Johannes Boie  15.05.2025

Mirna Funk

»In Tel Aviv bin ich glücklich«

Seit einem Jahr lebt die Berliner Autorin in Israel. Nun hat sie einen Reiseführer geschrieben. Mit uns spricht sie über Lieblingsorte, Israel in den 90er-Jahren und Klischees

von Alicia Rust  15.05.2025

Yael Adler

»Mir geht es um Balance, nicht um Perfektion«

Die Medizinerin über die Bedeutung von Ballaststoffen, darmfreundliche Ernährung als Stimmungsaufheller – und die Frage, warum man trotzdem auch mal eine Bratwurst essen darf

von Ayala Goldmann  15.05.2025

Basel

Israel und Österreich im zweiten ESC-Halbfinale

Beim ESC werden die letzten zehn Finalplätze vergeben. 16 Länder treten an, darunter Yuval Raphael für Israel. Auch JJ aus Österreich und das Duo für Deutschland, Abor & Tynna, stehen auf der Bühne

 15.05.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Tassen, Leggings, Mähnen: Auf der Suche nach dem Einhorn

von Nicole Dreyfus  14.05.2025

Zahl der Woche

30 Jahre

Fun Facts und Wissenswertes

 14.05.2025