Sprachgeschichte(n)

Mameloschn in Mannem

In Mannheim sind jiddische Einflüsse im Stadtdialekt weit verbreitet. Foto: Thinkstock

Nichts vermittelt Heimatgefühle so sehr wie die eigene Mundart. Das gilt auch für die »Mannemer Schbrooch«, das Mannemerische, das dem rheinfränkischen beziehungsweise pfälzischen Idiom zuzurechnen ist, aber ein eigenständiger Dialekt ist, der bevorzugt im Kerngebiet Mannheims gesprochen wird.

Die im Dreiländereck von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen gelegene »Quadratestadt« heißt im stärker odenwäldisch beeinflussten Norden »Monnem«, im eher badischen Süden (etwa in Rheinau) dagegen »Mannem« – was uns schon ein Kinderlied zeigt: »In Mannem is’s gemiedlich,/Do fahrt ma mid de Schees./De äände Gaul, der sieht niz,/De annere is nervees./De Kutscher, der is bucklich,/Die Reeder, die sin krumm,/Un alle simbs Minudde/Do fliegt der Karrich um.« Zugereiste »Neu-Monnemer« (»Die Leit nedd vun doo«), müssen sich in diesen Multikulti-Dialekt hineinhören, der in den Außenbezirken etliche phonetische Varianten aufweist.

Französisch Kaum ein deutscher Dialekt verzeichnet in seiner Lexik zwei so markante Einflussstränge: aus dem Jiddischen und Französischen. Das im Lied genannte »Schees«, für das das »Kleine Mannheimer Lexikon« die Bedeutung »Kinderwagen« ausweist, deutet auf den durch immigrierte Glaubensflüchtlinge ausgelösten Spracheinfluß des Nachbarn Frankreich.

Das gilt auch für »Malesse« (»Schwierigkeit«) und das häufige Füllwort »állaa«, das nicht auf das arabische Wort für Gott weist, sondern sich vom französischen »allez« herleitet und neben der Aufforderung auch »alsdann« bedeuten kann (etwa in: »Du hosch’s jo so gwolld, állaa, mach’s gud!«).

Wer weiß auch schon, dass ein »Bussierlebbel« ein »Ziertaschentuch« meint, dass »Boddschamber« (»Nachtgeschirr«) auf »pot de chambre«, »Waschlafoor« (»Waschschüssel«) auf »lavoir« und »Buddig« (»baufälliges Haus«) auf »boutique« zurückgehen? Im Gegensatz dazu sind es primär die Handelsbeziehungen, die den relativ hohen Anteil des Jiddischen in der Mannheimer Lexik erklären.

Vaganten Auch gab es in der Stadt nie ein Getto, ein Judenviertel, weil zwischen Juden und Nichtjuden bis zur NS-Zeit traditionell ungehinderte und spannungsfreie Beziehungen bestanden, wunderbar dokumentiert in Volker Kellers Band Jüdisches Leben in Mannheim (1995). Auch die Sondersprache »Rotwelsch« kam in die Stadt – durch Vaganten und Markthändler, die sich dort in den Wirtshäusern trafen, den »kochemer bayes« (heute »Beizen«), wo sie vor der Polizei, der sogenannten »Schmier«, sicher waren. Das hebräische Lexem »schemirah« (Bewachung) gelangte ins Jiddische und ins Rotwelsche, wo es seit 1714 auftaucht.

Über das Jiddische und Rotwelsche verbreitete sich in Mannheim auch der Ausdruck »Geseires« für »unnützes, verworrenes Gerede«, der vom neuhebräischen »gezera« abstammt, wo er für »erregtes Gespräch« und »Behauptung« steht. Auch das möglicherweise jiddisch-inspirierte Wort »Deschdlmeschdl« (für »Liebschaft«) sowie das Verb »achle« für »essen« kennt man in Mannheim. Ebenso ist in der Region noch heute das Wort »Zores« geläufig, das für »Durcheinander«, vor allem aber für »Ärger« steht.

Es ist seit dem 19. Jahrhundert bezeugt, wurde über das rotwelsche »zores« aus dem gleichlautenden westjiddischen Wort (für »Leiden«, »Mühe«, »Not«, »Pein«, »Sorge«) entlehnt, das dem hebräischen »sara(h)« (für »Bedrängnis«, »Kummer«) entstammt. Es ist daher nachvollziehbar, dass der Sänger Claus Eisenmann, Mitbegründer der Band »Söhne Mannheims«, seinen Verein, der für die Achtung der Menschenwürde eintritt, »Ken Zores« nannte.

Mag der Singsang des Mannemerischen intonatorisch milde klingen – die Idiomatik ist in Mannheim zuweilen deftig: der »schwäbische Gruß«, ein Euphemismus für das berühmte Götz-von-Berlichingen-Zitat, heißt hier »Blos mer de Howwl aus!« Die Seitenteile des Hobels werden mit den Pobacken verglichen: das jiddische Wort »hojbel« bezeichnet nicht das Werkzeug, sondern die Afterkerbe.

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025

Kolumne

Hineni!

Unsere Autorin trennt sich von alten Dingen und bereitet sich auf den Winter vor

von Laura Cazés  13.11.2025

Zahl der Woche

-430,5 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 12.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 13. November bis zum 20. November

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Interview

»Erinnern, ohne zu relativieren«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über das neue Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung, Kritik an seiner Vorgängerin Claudia Roth und die Zeit des Kolonialismus in der deutschen Erinnerungskultur

von Ayala Goldmann  12.11.2025

Erinnerungspolitik

Weimer: Gedenkstätten sind zentrale Pfeiler der Demokratie

Das Bundeskabinett hat ein neues Konzept für Orte der Erinnerung an die NS-Verbrechen und die SED-Diktatur beschlossen. Die Hintergründe

von Verena Schmitt-Roschmann  12.11.2025 Aktualisiert