Musik

Märchen in finsteren Zeiten

Szene aus der Uraufführung im Opernhaus Frankfurt am Main Foto: dpa

Die Kluge von Carl Orff (1895–1982), am 20. Februar 1943 in Frankfurt am Main uraufgeführt, ist eine der populärsten Opern des 20. Jahrhunderts. Sie basiert auf dem Märchen Die kluge Bauerntochter der Brüder Grimm, das Orff erweitert hat: Ein Bauer will den König übers Uhr hauen, seine Tochter warnt ihn vergebens, er wird eingesperrt. Die kluge Tochter aber befreit ihren Vater und heiratet den König.

»Oh, hätt’ ich meiner Tochter nur geglaubt! Denn wer viel hat, hat auch die Macht, und wer die Macht hat, hat das Recht, und wer das Recht hat, beugt es auch, denn über allem herrscht Gewalt.« Das ist der zentrale Satz des Werkes. »Tyrannis führt das Zepter!«, heißt es darin weiter. Die Uraufführung hat Günther Rennert inszeniert, der 1946 Intendant der Hamburgischen Staatsoper wurde.

Goebbels Kaum zu glauben, dass die Premiere während der NS-Diktatur stattfand, nur gut zwei Wochen nach der Niederlage von Stalingrad. Vielen war von nun an endgültig klar, dass Nazi-Deutschland den Krieg verlieren, dass die NS-Herrschaft zu Ende gehen würde. Aber gerade deshalb setzte Joseph Goebbels, für Propaganda und Kultur zuständiger Minister, auf die Wirkung von Unterhaltung. Film, Theater, Oper sollten das Publikum ablenken.

Die Oper war ein Lieblingsspielzeug der NS-Kulturpolitik, auch wegen Hitlers Begeisterung für die Wagner-Festspiele in Bayreuth. Warum also sollte Goebbels Künstler wie Carl Orff kaltstellen, die sich dem Regime gegenüber apolitisch verhielten, aber nützliche Werke hervorbrachten? Im Gegenteil: Als die Lage im Laufe des Jahres 1944 immer aussichtsloser wurde, setzten Hitler und Goebbels Künstler, die für das Regime wichtig waren, auf eine »Gottbegnadeten-Liste«, die von Wehr- und Arbeitsdienst befreite.

Von den 140.000 Mitgliedern der Reichskulturkammer kamen 1041 auf diese Liste. Unverzichtbar waren Schauspieler, die Goebbels für die Filmproduktion brauchte. Bei der klassischen Musik galten zum Beispiel Hans Pfitzner, Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler, Werner Egk und Carl Orff als »gottbegnadet«.

ns-diktatur Die Opernproduktion jener Jahre ist auch heute noch eine Herausforderung für die Theater und die Theaterwissenschaft. Nicht nur Carl Orff, der zu Nazi-Zeiten seine bis heute populärsten Werke komponierte, Carmina Burana, Der Mond und Die Kluge, auch andere Komponisten haben während der NS-Diktatur durchaus interessante Opern geschaffen, die heute noch aufgeführt und diskutiert werden.

In Wien hat im vergangenen Jahr Peter Konwitschny den 1938 uraufgeführten Peer Gynt nach Ibsen von Werner Egk zur Diskussion gestellt. Hitler und Goebbels schätzten das Werk über den nordischen Helden, der sich verwirklichen will. Opernregisseur Konwitschny drehte die Geschichte um: Sein Protagonist ist ein ehrgeiziger Kapitalist, die Geschichte spielt heute in einem Kaufhaus.

Behutsamer hat Brigitte Fassbaender gerade in Frankfurt am Main Capriccio neu interpretiert, die letzte Oper von Richard Strauss aus dem Jahr 1942 – auch Strauss war ein Nutznießer des Regimes. Ein Dichter und ein Komponist streiten 1775 in einem Schloss bei Paris darüber, ob in einem Bühnenwerk das Wort oder die Musik entscheidend sei.

Widerstand Schauplatz der Neuinszenierung ist zwar auch ein Schloss des 18. Jahrhunderts, aber die Handlung findet 1942 statt. Frankreich ist von der deutschen Armee besetzt. Mit kleinen Zeichen deutet die Regisseurin an, dass die Protagonisten der Oper sich gegen die Besatzung wehren wollen. Am Ende verlässt die Gräfin Madeleine ihr Schloss in Regenmantel und Baskenmütze, sie wird sich wohl dem Widerstand anschließen.

Auch Die Kluge wird bis heute viel gespielt, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, das Libretto wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Die Musik ist lebendig, lustig und schräg, auch für Ohren attraktiv, die sonst die Musik der Moderne nicht mögen. Und 1949 erhielt Orff dafür sogar den neu geschaffenen Nationalpreis der Dritten Klasse der DDR für Kunst und Literatur. Er hat ihn später zurückgegeben.

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025