Komponist

Mackie Messer und Hatikwa

Kurt Weill engagierte sich für Europas Juden und den Zionismus. Vor 120 Jahren wurde er geboren

von Jascha Nemtsov  02.03.2020 09:17 Uhr

Er wuchs in Dessau auf, umgeben von synagogaler Musik: der Komponist Kurt Weill. Foto: imago images/Mary Evans

Kurt Weill engagierte sich für Europas Juden und den Zionismus. Vor 120 Jahren wurde er geboren

von Jascha Nemtsov  02.03.2020 09:17 Uhr

Es ist ein Propagandastück – schlicht und ergreifend ein Propagandastück. Es ist dennoch kein belehrendes, rührseliges Stück, sondern ein stolzes Stück, eines, das aufschreit mit Stolz, mit Tränen, aber mit Stolz, da der Tag der Befreiung, nicht vom deutschen Stacheldraht zum britischen Stacheldraht, sondern die vollständige Befreiung Palästinas kommt.»

Mit diesen Worten wurde 1946 eines der berühmtesten und erfolgreichsten zionistischen Bühnenstücke – A Flag is Born – dem Publikum vorgestellt.

DP-Lager Die Inszenierung des Dramatikers Ben Hecht mit der Musik von Kurt Weill setzte sich gegen die britische Besatzung Palästinas ein, für die Gründung eines jüdischen Staates dort und vor allem für die Einwanderung der Überlebenden der Schoa, die damals unter elenden Bedingungen in DP-Lagern in Europa ausharren mussten.

Die Aufführungen erzielten nicht nur eine nachhaltige propagandistische Wirkung, sie trugen auch ganz unmittelbar zur illegalen Alija bei: Die Einnahmen der Broadway-Tournee (circa 250.000 US-Dollar) wurden für den Kauf eines Schiffes verwendet, mit dem dann 600 jüdische Flüchtlinge nach Palästina gebracht wurden.

weltruf Der vor 120 Jahren, am 2. März 1900, im anhaltinischen Dessau geborene Komponist Kurt Weill ist heute allerdings nicht mehr durch sein zionistisches Engagement im amerikanischen Exil bekannt, sondern vor allem durch seine in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstandenen Werke aus den späten 20er-Jahren wie Die Dreigroschenoper oder Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.

Auch Weill hielt zunächst seine jüdische Identität von seinem öffentlichen Wirken strikt getrennt.

Sie wurden Teil der musikalischen Landschaft der Weimarer Republik, begründeten aber auch Weills Weltruf. Einzelne Songs daraus gehören wohl zu den populärsten Melodien aller Zeiten, allen voran die «Moritat von Mackie Messer», die in unzähligen Interpretationen und Coverversionen, von Louis Armstrong bis Heino und Rammstein, verbreitet wurde.

«Und Schmul Meier bleibt verschwunden / Und so mancher reiche Mann» – die Liste von Mackie Messers Untaten beginnt mit einem «reichen Juden».

Dieses weitverbreitete antisemitische Klischee wurde von Brecht und Weill wie selbstverständlich in ihren Song aufgenommen. Wie die meisten deutsch-jüdischen Künstler hielt auch Weill damals seine jüdische Identität von seinem öffentlichen Wirken strikt getrennt. Indes wurde er in seiner Jugend stark von jüdischen Traditionen geprägt.

Stolz «Ich stamme aus einer jüdischen Familie, die ihre deutsche Vergangenheit bis auf das Jahr 1340 zurückleiten kann», erklärte er 1942 mit Stolz in einem Interview. Weill wuchs in Dessaus jüdischem Viertel als Sohn eines Kantors auf, umgeben von synagogaler Musik.

Sein frühestes erhaltenes Werk ist eine Vertonung der traditionellen hebräischen Hochzeitshymne «Mi Adir». Mit 16 Jahren komponierte Weill Ofrahs Lieder auf Gedichte von Jehuda ha-Levi. 1920 entstand Sulamith für Sopran, Frauenchor und Orchester auf Texte aus dem Hohelied.

Während Weills folgende Meisterwerke keine Spuren dieser Beschäftigung mehr aufweisen, rückten jüdische Themen nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland 1933 erneut in den Mittelpunkt: Weill wurde eingeladen, an einem monumentalen musiktheatralischen Projekt in New York mitzuwirken, das in die Geschichte unter dem Titel The Eternal Road einging.

Es wurde von dem in Polen geborenen Journalisten und zionistischen Aktivisten Meyer Weisgal (1894–1977) initiiert, der ebenso wie Weill der Sohn eines Kantors war. Weisgal hatte bereits reichlich Erfahrungen mit der Organisation von zionistischen Großevents und Massenspielen.«

«The Eternal Road» geriet zu einer irrsinnig aufwendigen Bühnenshow, die relativ wenig Jüdisches enthielt.

The Eternal Road sollte jedoch alles Bisherige in den Schatten stellen: Es war geplant, die gesamte jüdische Geschichte auf der Bühne erscheinen zu lassen sowie die aktuelle Judenverfolgung in Europa und die zionistische Idee zu thematisieren. Weisgal gelang es, mit Max Reinhardt einen weltberühmten «Theatermagier» für sein Projekt zu gewinnen; der nicht weniger prominente Dichter Franz Werfel schrieb das Libretto. Allerdings waren beide wenig geneigt, ein jüdisch-zionistisches Werk zu kreieren, Werfel war nach eigenem Bekunden sogar «christusgläubig».

So geriet The Eternal Road letztlich zu einer irrsinnig aufwendigen Bühnenshow, die doch relativ wenig Jüdisches und nichts Zionistisches enthielt. Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger bezeichnete es ironisch als «jüdisch-amerikanisches Oberammergau». An diesem Eindruck konnte auch Weills Musik nichts ändern, in der viele Melodien aus dem jüdisch-liturgischen Repertoire verwendet wurden.

schicksal Anders wurden Weills musiktheatralische Arbeiten der 40er-Jahre aufgenommen, die er zusammen mit Ben Hecht, einem aktiven Mitglied der zionistischen Untergrundorganisation Irgun im britischen Mandatsgebiet Palästina, schuf. Der amerikanische Ableger des Irgun organisierte damals vielfältige Propagandaaktionen, die die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf das Schicksal der europäischen Juden lenken sollten.

Dazu gehörten auch spektakuläre Theaterprojekte, wie das schon erwähnte Stück A Flag is Born. Bereits Anfang 1943 gestaltete Weill zusammen mit Hecht, der ihn in seinen Memoiren «mein Irgun-Freund» nannte, das Gedenkstück We Will Never Die über die Schoa. Es wurde dem «Gedenken an die zwei Millionen ermordeten Juden» gewidmet und stand unter dem Motto «Action – Not Pity» (Handeln statt Mitleid).

Die beiden Aufführungen im ausverkauften Madison Square Garden in New York im März 1943 besuchten 40.000 Menschen, danach wurde das Stück in fünf weiteren Großstädten gezeigt. Millionen Amerikaner konnten das Schauspiel durch die Radioübertragung der Aufführung in Los Angeles hören. Die Aufführung fand im Juli 1943 statt und schloss einen zusätzlichen Teil ein: The Battle of Warsaw. Darin wurde der Aufstand im Warschauer Ghetto beschrieben, der erst wenige Wochen zurücklag!

Auf Chaim Weizmanns Anregung schuf Weill eine Orchesterversion der Nationalhymne.

Auch das synagogale Erbe seines Vaters beschäftigte Weill weiterhin: 1943 widmete er ihm seine Vertonung des Kiddusch-Gebets für Kantor, Chor und Orgel.

hymne Die letzte Begegnung von Kurt Weill mit seinem Vater Albert fand 1947 in der Stadt Naharija im Mandatsgebiet Palästina statt, wo seine Eltern lebten. Während dieses Besuchs traf Weill auch Meyer Weisgal wieder, der ihn mit Chaim Weizmann, dem künftigen ersten Präsidenten des Staates Israel, bekannt machte. Auf Weizmanns Anregung hin komponierte Weill eine Orchesterversion der zionistischen Hymne «Hatikwa».

Sie wurde am 24. November 1947 vom Boston Symphony Orchestra unter Serge Koussevitzky uraufgeführt – nur fünf Tage, bevor der UN-Teilungsplan für Palästina Israels Gründung besiegelte. Den neu gegründeten jüdischen Staat konnte Weill aber nicht mehr besuchen: 1950 starb er nur 50-jährig an den Folgen eines Herzinfarkts in New York.

Der Autor ist Pianist und Musikwissenschaftler, Professor für Geschichte der jüdischen Musik an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar sowie Akademischer Leiter der Kantorenausbildung am Abraham Geiger Kolleg Potsdam.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert