Kulturkolumne

Lob der Anwesenheit

Ihre Zeit schien unwiderruflich vorbei. Als die Covid-19-Pandemie vor fast sechs Jahren das öffentliche Leben weitgehend stilllegte, hatte physische Anwesenheit erst einmal ausgedient. Remote-Arbeit und Online-Meetings – bis dahin Techniken, die ein Nischendasein fristeten – wurden zur neuen Normalität.

Auch die Kulturwelt begann notgedrungen, mit digitalen Formaten zu experimentieren: Der Pianist Igor Levit ließ seine Follower an live übertragenen Hauskonzerten teilhaben, Museen boten Online-Führungen durch ihre Ausstellungen an.

In Zeiten geschlossener Kultureinrich­tungen wurden digitale Formate zu einem geistigen Strohhalm. In der damaligen Situation waren sie wohl unumgänglich. Mit zunehmendem Zeitabstand zur Pandemie wissen wir jedoch, dass Kultur auch weiterhin von der Magie der Präsenz lebt. Wie fahl, ermüdend und eindimensional erscheinen einem all die Bildschirmformate im Vergleich zu einer packenden Theateraufführung, einem berührenden Konzert oder der Begegnung mit einem kostbaren Gemälde.

Anwesenheit ist nicht nur ästhetischer Gewinn, sondern auch Quell von Zeitzeugenschaft

Dass Anwesenheit nicht nur einen ästhetischen Gewinn mit sich bringt, sondern auch ein Quell von Zeitzeugenschaft ist, demonstrierte kürzlich die Debatte um Jason Stanleys Rede in Frankfurt am Main.

In Zeiten geschlossener Kultureinrich­tungen wurden digitale Formate zu einem geistigen Strohhalm.

Der in Toronto lehrende Philosoph sprach am 9. November bei der Gedenkstunde in der Westend-Synagoge der Frankfurter Gemeinde zur Pogromnacht. Einige Passagen seines Vortrags wurden von Zwischenrufen aus dem Publikum begleitet; einige Zuhörer verließen gar den Synagogenraum.

In den Tagen darauf begann eine von Stanley befeuerte mediale Debatte, die um einen vermeintlichen Maulkorb für einen unbequemen Redner kreiste. Bemerkenswert an den Einlassungen zahlreicher Autoren war vor allem, dass die allermeisten die Gedenkstunde gar nicht vor Ort erlebt hatten.

Für das Zustandekommen des Eklats wesentliche Faktoren – wie die von Jason Stanley massiv überzogene Redezeit, die Anwesenheit von Schoa-Überlebenden und Angehörigen der Zweiten Generation sowie die mangelhafte Akustik der Westend-Synagoge, die Missverständnisse auslösen kann – blieben deshalb in den Texten dieser Autoren gänzlich unerwähnt.

Triumph der Kunst über Ideologie und Fanatismus

Welchen Zauber ein gemeinsam erlebtes Kulturereignis entfalten kann, zeigte wenig zuvor der Auftritt des Israel Philharmonic Orchestra in der Alten Oper Frankfurt. Während die Europa-Tournee des von Lahav Shani geleiteten Orchesters von zahlreichen Störungen »propalästinensischer« Aktivisten getrübt wurde, verlief dieser Abend ohne Zwischenfälle.
Ludwig van Beethovens fünftes Klavierkonzert mit dem Pianisten Yefim Bronfman und Peter Tschaikowskys fünfte Sinfonie machten das Publikum glücklich. An den Gesichtern war es deutlich zu erkennen. Und der überwältigende, in stehende Ovationen mündende Schlussapplaus berührte die Musiker des israelischen Orchesters.

Besonders ihren Dirigenten, der im September durch die kurzfristige Absage eines Auftritts mit den Münchner Philharmonikern beim Genter Flandern-Festival in die Schlagzeilen geraten war.

Beim Frankfurter Konzert hingegen triumphierte die Kunst über Ideologie und Fanatismus. Man muss dabei gewesen sein.

Film

Shira Haas ist Teil der Netflix-Serie »The Boys from Brazil«

Die israelische Schauspielerin ist aus »Shtisel« und »Unorthodox« bekannt

 26.11.2025

Kulturkolumne

Was bleibt von uns?

Lernen von John Oglander

von Sophie Albers Ben Chamo  25.11.2025

Kultur

André Heller fühlte sich jahrzehntelang fremd

Der Wiener André Heller ist bekannt für Projekte wie »Flic Flac«, »Begnadete Körper« und poetische Feuerwerke. Auch als Sänger feierte er Erfolge, trotzdem konnte er sich selbst lange nicht leiden

von Barbara Just  25.11.2025

Jüdische Kulturtage

Musikfestival folgt Spuren jüdischen Lebens

Nach dem Festival-Eröffnungskonzert »Stimmen aus Theresienstadt« am 14. Dezember im Seebad Heringsdorf folgen weitere Konzerte in Berlin, Essen und Chemnitz

 25.11.2025

Hollywood

Scarlett Johansson macht bei »Exorzist«-Verfilmung mit

Sie mimte die Marvel-Heldin »Black Widow« und nahm es in »Jurassic World: Die Wiedergeburt« mit Dinos auf. Nun lässt sich Scarlett Johansson auf den vielleicht düstersten Filmstoff ihrer Laufbahn ein

 25.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025