»Yerushalayim Shel Zahav«

Lied aus Gold

Naomi Shemer sel. A. Foto: Flash 90

Jerusalem, Al Quds, Yerushalayim – die »Goldene Stadt« hat viele Namen. Nicht nur mit Worten wird heftig um sie gestritten. Sie wird auch auf vielfältigste Weise besungen, und zwar in den höchsten Tönen: in Psalmen und Gedichten, in Rocksongs oder klassischen Liedern. Doch so herzergreifend wie im Song »Yerushalayim Shel Zahav« aus dem Jahr 1967 ist die Goldene Stadt nur selten besungen worden. Das Lied ist zum Klassiker geworden, den in Israel jedes Kind kennt. Scheinbar jeder israelische Popstar hat das Lied irgendwann schon einmal gesungen.

Geschrieben hat den Song Naomi Shemer, die den Auftrag vom damaligen Bürgermeister Jerusalems, Teddy Kollek, erhalten hatte, aus Anlass des Israelischen Songfestivals am 15. Mai 1967. Das Lied war nicht für den Wettbewerb, sondern als eine Art Lückenfüller gedacht, um die lange Bedenkzeit der Juroren zu überspielen. Doch es kam ganz anders: Naomi Shemers Song hat die Zeit überdauert und seine Schöpferin berühmt gemacht. Seit damals gilt die Komponistin als Grande Dame des israelischen Liedes.

Als Interpretin wählte Naomi Shemer ausgerechnet die bis dato noch völlig unbekannte Shuli Nathan aus, eine Art israelische Joan Baez, ebenfalls ausgestattet nur mit Gitarre, aber empfindsamer. Was damals kaum einer ahnte: Der Song war eine »Nachdichtung« – um den Begriff des »Plagiats« zu vermeiden – des baskischen Wiegenliedes »Pello Joxepe«, das Naomi Shemer erst ein paar Jahre zuvor aufgeschnappt hatte. Der Songwriterin, die sich zeitlebens gegen Plagiatsvorwürfe gewehrt hatte, fiel erst kurz vor ihrem Tod wieder ein, dass sie den Song möglicherweise rein zufällig vorher schon einmal gehört haben könnte.

liebe Der Song besticht nicht nur durch seine wunderschöne Melodie, sondern vor allem deshalb, weil sich darin die ganze Heimatliebe Naomi Shemers spiegelt. Die Komponistin wurde 1930 in Kvutsat Kinneret geboren, einem Kibbuz am See Genezareth, den ihre Eltern Rivka und Meir Sapir gegründet hatten. Shemer schwärmte zeitlebens von den heute riesigen Eukalyptusbäumen, die ihre Eltern 1912 kurz nach ihrer Alija gepflanzt hatten. »Als Mama hierherkam, so hübsch und jung, hat Papa ihr das Haus auf dem Hügel gebaut. Seither ist mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, aber der Eukalyptushain, die Brücke, das Boot – sie sind immer noch da«, erinnerte sich Naomi Shemer kurz vor ihrem Tod in einem Interview.

Naomi Shemers Heimatliebe entspricht der Liebe aller Zionisten zu Israel. Es ist die Liebe zu Jerusalem als Mittelpunkt der jüdischen Welt. Diese Liebe teilt Naomi Shemer mit vielen Künstlern, auch mit Else Lasker-Schüler, die der Goldenen Stadt 1939 mit dem Gedicht »Jerusalem« ein Denkmal gesetzt hat. »Gott baute aus Seinem Rückgrat: Palästina/ aus einem einzigen Knochen: Jerusalem/ Ich wandele wie durch Mausoleen –/ Versteint ist unsere Heilige Stadt«, heißt es dort.

cover-versionen Bei so viel Liebe erstaunt es keinesfalls, dass Naomi Shemer drei Wochen nach Uraufführung von »Yerushalayim Shel Zahav« eine der Strophen änderte, um die Wiedervereinigung der Stadt zu feiern. Die unmissverständliche Botschaft: Jerusalem, das ist die Hauptstadt des jüdischen Volkes. Die israelischen Soldaten intonierten den Song, als sie die Kotel aus jordanischer Hand zurückeroberten. So wurde aus einem Heimatlied kurzerhand ein Marschbefehl.

Umso verblüffender ist die Vorstellung, wer alles dieses Lied schon einmal gesungen hat: natürlich die israelisch-jemenitische Sängerin Ofra Haza, die fast jedes israelische Lied irgendwo irgendwann schon einmal gesungen hat. Oder die junge Schlagersängerin Liel Kolet, die im selben Kibbuz groß wurde wie Naomi Shemer. Kurios nur, dass Liel Kolet den Song mit Klaus Meine von der Rockband Scorpions eingespielt hat.

Schon stimmiger wirkt die Verwendung des Titels in der pathetischen Schlussszene von Steven Spielbergs Holocaust-Drama Schindlers Liste oder bei der georgisch-jüdischen Sängerin Neka Sebiskveradze. Auf Georgisch heißt der Song übrigens »Oqros Ierusalimi« – und ist überaus schmalzig geraten. Ein bisschen kitschig, aber dennoch zu Herzen gehend, ist Björn Casapietras »Yerushalayim Shel Zahav«.

zionistisch Für den Berliner Tenor, der bei seinen Konzerten in ostdeutschen Kirchen auch mit der »Hatikvah« und jiddischen Stücken auftritt, ist das Singen des Liedes eine Herzensangelegenheit. »Meine Überzeugung ist, dass ich das jüdische Volk und Israel unterstützen will, so oft und so gut ich kann«, sagte er jüngst im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen. »Und die Reaktionen des Publikums sind erfreulicherweise immer sehr positiv. Bei ›Yerushalayim Shel Zahav‹ ist der Applaus meistens am stärksten.«

Wer allerdings schon diese Version für pathetisch hält, der sollte sich einmal die grässlich-kitschige Interpretation von Sir Cliff Richard anhören. Seine Version erinnert stark an die Spätfolgen eines unbehandelten Jerusalem-Syndroms. Warum sich Cliff Richard als bekennender Christ ausgerechnet an der Jerusalem-Hymne »Yerushalayim Shel Zahav« vergangen hat, kann man sich denken. Der Staat Israel kann sich seine Freunde nicht aussuchen. Schlimm ist diese Version allemal.

Ganz kurios klingt allerdings der Schlagerbarde Demis Roussos, der auch in Deutschland große Erfolge feierte. Der Grieche aus dem ägyptischen Alexandria hat »Yerushalayim Shel Zahav« ebenfalls einmal gesungen. Ob er das auch tat, als er am 14. Juni 1985 an Bord des TWA-Fluges 847 von Athen nach Rom von der Hisbollah entführt wurde? Wir wissen es nicht. Jedenfalls wurde der griechische Troubadix als erste der Geiseln von den Entführern wieder freigelassen.

Hollywood

Ist Timothée Chalamet der neue Leonardo DiCaprio?

Er gilt aktuell als einer der gefragtesten Schauspieler. Seine Karriere weckt Erinnerungen an den Durchbruch des berühmten Hollywood-Stars - der ihm einen wegweisenden Rat mitgab

von Sabrina Szameitat  22.12.2025

Didaktik

Etwas weniger einseitig

Das Israel-Bild in deutschen Schulbüchern hat sich seit 2015 leicht verbessert. Doch der 7. Oktober bringt neue Herausforderungen

von Geneviève Hesse  22.12.2025

Meinung

Der Missbrauch von Anne Frank und die Liebe zu toten Juden

In einem Potsdamer Museum stellt der Maler Costantino Ciervo das jüdische Mädchen mit einer Kufiya dar. So wird aus einem Schoa-Opfer eine universelle Mahnfigur, die vor allem eines leisten soll: die moralische Anklage Israels

von Daniel Neumann  21.12.2025

Film

Spannend, sinnlich, anspruchsvoll: »Der Medicus 2«

Nach zwölf Jahren kommt nun die Fortsetzung des Weltbestsellers ins Kino

von Peter Claus  21.12.2025

Gastbeitrag

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum schweigt ihr?

Jan Grabowski fragt die deutschen Historiker, warum sie es unwidersprochen stehen lassen, wenn ein Holocaust-Experte für seine Forschungsarbeit diskreditiert wird

von Jan Grabowski  21.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Glosse

Das kleine Glück

Was unsere Autorin Andrea Kiewel mit den Produkten der Berliner Bäckerei »Zeit für Brot« in Tel Aviv vereint

von Andrea Kiewel  20.12.2025

Aufgegabelt

Apfel-Beignets

Rezept der Woche

von Katrin Richter  20.12.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Ab jetzt nur noch mit Print-Abo oder Es gibt viele Gründe, auf 2026 anzustoßen

von Katrin Richter  20.12.2025