Sitcom

Larry lässt es

Jeff Garlin, Cheryl Hines, Larry David, Susie Essman und J. B. Smoove (v.l.) am 30. Januar Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress

Sitcom

Larry lässt es

Nach fast 24 Jahren und zwölf Staffeln endet »Curb Your Enthusiasm«

von Katrin Richter  08.02.2024 10:14 Uhr

Irgendwann erwischt ihn jeder mal. Diesen Moment, in dem man seinen inneren Larry David entdeckt – irgendwo da ganz hinten, versteckt hinter guter Erziehung, Höflichkeit und Taktgefühl. Er kann ganz plötzlich kommen. In einer telefonischen Service-Hotline vielleicht, wenn man erfährt, das Anliegen könne nur über das dafür vorgesehene Online-Formular geklärt werden. Oder bei Login-Problemen. Wenn die Geduld also so richtig am Ende ist und alle Gedanken nur noch um ein kurzes, vierbuchstabiges, englisches Wort mit »F« am Anfang kreisen, dann ist er da, der Moment, den Larry David in der ersten Folge der letzten Staffel von Curb Your Enthusiasm hat (der deutsche Titel ist Lass es, Larry).

Eigentlich will er ja nur in ein Restaurant fahren, aber der Sprachassistent schlägt nicht nur permanent das falsche Ziel vor, sondern quatscht auch noch höflich-säuselnd immer dann dazwischen, wenn David gerade wieder anfängt, die Stimme zu erheben. Erst das Ziel wiederholend, dann fluchend, dann schreiend. Eine Ausnahmesituation? Nein, für Larry David ist das so ziemlich die Regel. Zwar schreit er nicht ausnahmslos, aber er lässt seiner Zunge freien Lauf, gegenüber allen und jedem. Und das in immerhin zwölf Staffeln.

Schonungslose Ehrlichkeit und Pöbelei

Doch damit ist nun Schluss. Nach 24 Jahren ist am Montag die erste Folge der letzten Staffel der US-Sitcom angelaufen. Sie heißt »Atlanta« und gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Wochen eine Ära beenden wird: Larry Davids absolut einmalige Fähigkeit, sich durch schonungslose Ehrlichkeit und Pöbelei in die absurdesten, peinlichsten und grenzwertigsten zwischenmenschlichen Situationen zu bringen. Diese Momente, in der die durchschnittlich gut erzogenen Menschen die Augen voller Scham zusammenkneifen, den Kopf seitlich abwenden und nur noch Interjektionen wie »au« oder »oh« von sich geben können.

Wer dachte, Larry würde Altersmilde walten lassen, lag völlig daneben.

Etwa, wenn Larry eine Zimmerdame indirekt bittet, seine Brille, die ihm die Hoteltoilette gefallen ist, für ihn herauszuholen, denn es sei ja schließlich ihr Job. Wenn er einen Corgi aufgrund seiner Leibesfülle beleidigt oder einer Frau Vorhaltungen macht, warum jeder auf der Party sie bei ihrem Spitznamen nennen dürfe, nur er nicht. Klassische Larrys – mit Spätfolgen, denn die große Klappe rächt sich bitter. Denn auch Hunde haben Grenzen!

Wer gedacht hat, in der zwölften Staffel würde Larrys endlich Altersmilde walten lassen, der liegt vollkommen falsch. Es ist wie immer politisch unkorrekt – und sogar politisch. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird in »Atlanta« benutzt: die TRC, die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission zum Beispiel, mithilfe deren Nachstellung der wohlhabende südafrikanische Geschäftsmann Michael Fouchay, der Larry für einen Abend engagiert hat, herausfinden möchte, ob der Gast den Vertrag verletzt hat, als er die Höflichkeitsklausel – wie hätte es auch anders sein können – nicht beachtet hat.

Das ist zwar nicht so aberwitzig wie die Szene in Episode drei der achten Staffel, als sich Marty Funkhouser (der 2019 verstorbene Bob Einstein) und Larry David vor einem palästinensischen Restaurant heftig streiten und Letzterer absurderweise als Held gefeiert wird, aber sie hat schon ihre Momente, diese erste Folge des Abschieds.

David auf einer kleinen Eisscholle mitten im Wasser

Alles, was so schön angefangen hat, soll nun vorbei sein? Auf dem Plakat zum Serienfinale steht David auf einer kleinen Eisscholle mitten im Wasser. »Der Letzte seiner Art« steht darunter. Larry David, die »Grumpy Cat« der Sitcoms als gefährdete Spezies? Als zu rettendes Menschlein, das sich nicht einmal dafür bedanken würde? Er, der Coole, der von zu viel Wärme im höflichen, aber unehrlichen mitmenschlichen Umgang zum Schmelzen gebracht wird? Ach, er hat es nicht leicht.

Das Publikum hat es aber auch nicht leicht. Man stelle sich vor: Seinfeld, lange Jahre vom Comedian Jerry Seinfeld und Larry David produziert, lief 1998 aus. Curb Your Enthusiasm füllte ab Oktober 2000 diese Leerstelle, die nach der »Besten Show über nichts« entstanden war. Eine Serie, die noch bitterböser, noch aneckender und noch kontroverser war als alle anderen US-Sitcoms, die in diesen Jahren produziert wurden. Larry David war ein bisschen wie »Ekel Alfred« aus Ein Herz und eine Seele, er war nerdiger als die Seinfeld-Figur George Costanza und vielleicht sogar komödiantischer Vater für den britischen Comedian Ricky Gervais (The Office, After Life).

Er war der Typ, den nichts mehr vom Hocker hauen konnte, der alles gesehen hatte und der sich alles – so denkt er zumindest – erlauben konnte. Bei einer Dinnerparty über Wasser aus dem Hahn zu lästern und damit die Gastgeberin in eine äußerst peinliche Situation zu bringen. Oder an einem Hot-Yoga-Kurs teilzunehmen und sich nicht mit der Gruppe zusammen mit »Namaste« zu verabschieden. Oder auch bei einer Veranstaltung die unflätigsten Schimpfwörter von sich zu geben, nur um erstaunt festzustellen, dass plötzlich andere Teilnehmer das Gleiche tun wie er. Es braucht eben nur immer jemanden, der sich traut und keine Angst vor den Folgen hat.

Neue Standards in Sachen Tabulosigkeit

Curb Your Enthusiasm setzte neue Standards in Sachen Tabulosigkeit und legte den Finger in die Wunde. Die Serie war glücklicherweise fern jeglicher Moral und hielt der Gesellschaft den Spiegel vor. Sie war eine Zusammenkunft von echten Schauspieler-Typen und legendären Nebendarstellern wie Mel Brooks, Ben Stiller, Richard Lewis, David Schwimmer oder der Seinfeld-Akteure Julia Louis-Dreyfus und Jason Alexander. Auch Sacha Baron Cohen, Mila Kunis oder Jonah Hill gaben sich die Ehre.

Nach »Seinfeld« gab es eine satirische Leerstelle, die »Curb« locker füllte.

J. B. Smoove war ab Staffel sechs Larrys kongenialer Partner, sein Freund Leon Black, mit dem er über einfach alles sprach. A L L E S! Kein Körperteil wurde in Witzen ausgelassen. Oder Susie Essman, die Larrys Freundin Susie Greene spielt, und Larry in schöner Regelmäßigkeit mit den Worten: »Get the fuck out of my house …« die Tür weist.

Es gibt lange YouTube-Clips, die das zelebrieren. Diese Clips bleiben, die Best-of-Momente auch. J. B. Smoove schlug kürzlich in einem Interview vor, aus den vielen nicht verwendeten Szenen doch Extra-Material zu machen. Für Curb Your Enthusiasm gab es zwar ein Script, vieles war aber improvisiert. Nicht auszudenken, was diese »Blooper«, die nicht gesendet werden, alles noch offenbaren könnten.

Aber die nimmt Larry David mit, wenn er jetzt … ja, was eigentlich? Was macht Larry David denn jetzt so mit 76? Was kommt nach dem Pöbeln?

Vielleicht gibt der Teaser zur zwölften Staffel einen Hinweis: Er zeigt, wie ein UFO vor Larry David landet, ein Außerirdischer aussteigt, Larry sich schweren Herzens die Maske vom Gesicht zieht, ebenfalls ein Außerirdischer ist und sagt: »Meine Arbeit hier ist getan.« Dann gehen beide den Weg zum Raumschiff hoch. Larrys Außerirdischer trägt die Gummimaske in der Hand und stellt die allerwichtigste Frage: »Sag mal, wer ist eigentlich dieser Idiot, der das Gesicht entworfen hat?« War ja klar, dass er was zu mäkeln hat.

»Curb Your Enthusiasm« läuft im Bezahlsender Sky/WOW. Jeden Montag gibt es eine neue Folge zu sehen.

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