Kulturkolumne »Shkoyach!«

Lächeln trotz Unglück? Ein Buchtipp zu Chanukka

Es ist so weit. Höchste Zeit für einen Besuch bei meiner Lieblingstante. Ich habe sie nie getroffen, war nicht einmal mit ihr verwandt, sie starb hochbetagt Anfang der 30er-Jahre, aber ihre Weisheit hilft ungemein, wenn das Wintergrau ähnlich schwer auf der Seele lastet wie die Nachrichten und wenn on the top das Elend mit kitschiger Weihnachtsmusik garniert ist. Vorhang auf für Tante Jolesch! Friedrich Torberg hat ihr ein unvergängliches literarisches Denkmal gesetzt, seine Sentenzen und Anekdoten sollten, mein Tipp, griffbereit neben jedem Bett liegen.

Tante Joleschs Weltsichten in diesem Buch der Wehmut lassen lächeln, denn lächeln, so der wienerische Prager Torberg, »ist das Erbteil meines Stammes«. Tief sitze, so Torberg, das jüdische Bedürfnis, sogar einem schon geschehenen Missgeschick hinterher eine gute Seite abzugewinnen. Also lächeln trotz eines Unglücks? Können das auch Nichtjuden?

Machen wir die Probe aufs Exempel. Kürzlich brach ich mir, dummerweise gleichzeitig, nahezu synchron, bei einem Sturz beide Beine. Schon ging es los. Welch ein Glück, dass du nicht mit dem Kopf aufgeschlagen bist! So ein Glück, dass dich genau dieser Chirurg operiert hat. Noch ein Glück, dass dein Mann dich pflegen konnte …

Warum sollte nach solch einer Malaise so viel Glück auf mich einstürzen?

Warum sollte nach solch einer Malaise so viel Glück auf mich einstürzen? Torbergs jüdischer Weltgeist weiß es. Tante Joleschs Lieblingsneffe Franz hatte einen heftigen Autounfall unbeschadet überstanden, alle Verwandten befanden, er habe noch großes Glück gehabt, bis die Tante Jolesch mahnend den Finger hob und mit großem Nachdruck sprach: »Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.«
Äußerlichkeiten wie Schönheit oder Eleganz konnte Tante Jolesch wenig abgewinnen. Legendär bleibt ihre Erkenntnis: »Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus.«

Besonders zur Weihnachtszeit und zu Chanukka liebe ich die Geschichte um das Rezept ihrer einzigartigen Krautfleckerln. Süß konnten sie sein oder pikant. In der ungarischen Reichshälfte bestreute man sie mit Staubzucker, in der österreichischen mit Pfeffer und Salz. Torberg, dieser melancholisch-witzige Chronist der k.u.k. Epoche und ihrer jüdischen Welt, hat deren Untergang mit weiser Komik wahrheitsgetreu und präzise beschrieben.

Alle Figuren lebten tatsächlich, die Anekdoten sind verbrieft

Alle Figuren lebten tatsächlich, die Anekdoten sind verbrieft, auch die Tatsache einer fehlenden Krautfleckerl-Anleitung. Wurde ruchbar, dass Tante Jolesch diese Delikatesse plante, reisten alle Verwandten aus Brünn und Prag, Wien, Budapest und sogar aus der Puszta an, um ihre Krautfleckerln zu genießen. Nur das Rezept gab Tante Jolesch nie preis, wurde mit der Zeit gar ungnädig, wenn man sie danach fragte.

Schließlich und endlich, nach einem langen Leben erhabenen Geistes, nahte das Ende. Tante Jolesch lag auf dem Sterbebett, noch atmend, als sich schließlich ihre Lieblingsnichte Luise ein Herz fasste: »Tante, ins Grab kannst du das Rezept ja doch nicht mitnehmen. Willst du uns nicht endlich sagen, wieso deine Krautfleckerln immer so gut waren?« Die Tante Jolesch richtete sich mit letzter Kraft ein wenig auf: »Weil ich nie genug gemacht habe.« Sprachʼs, lächelte und verschied.

Denken Sie an die Tante, wenn Sie Latkes und Sufganiot zubereiten. Nie genug! Wenn Sie jedoch eingeladen sind zu Chanukka und ein Geschenk mitbringen wollen: Die Tante Jolesch von Friedrich Torberg, ein hübsches Taschenbuch bei dtv, ist zwar nicht neu, , aber immer aktuell. Wichtig: die Tante tröstet mit einem Lächeln.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 24. Juli bis zum 1. August

 23.07.2025

In eigener Sache

Bayerische Justizmedaille für Lydia Bergida und Marco Limberg

Justizminister Georg Eisenreich (CSU) ehrt herausragendes Engagement. Zu den Preisträgern gehört der Art Director der Jüdischen Allgemeinen

 22.07.2025

New York

Billy Joel: Habe früher gesoffen wie ein Loch

Im Mai sagte Billy Joel alle seine bevorstehenden Konzerte ab. Der Grund: eine ernsthafte Hirn-Erkrankung. Nun sprach der Musiker in einem Podcast darüber, wie es ihm geht

 22.07.2025

Hamburg

Transfer perfekt: HSV holt Torwart Peretz vom FC Bayern

Aufsteiger Hamburger SV verstärkt seinen Kader mit einem neuen Schlussmann. Daniel Peretz kommt auf Leihbasis aus München und wird sich mit Daniel Heuer Fernandes duellieren

 22.07.2025

Kunst

Enthüllung im Paradies

Navot Miller malt in kräftigen Farben Momente aus dem Leben in New York und Berlin. Derzeit sind seine Werke in der Galerie Dittrich & Schlechtriem zu sehen

von Katrin Richter  21.07.2025

Cuxhaven

Wegner: Macklemore hat Deichbrand-Festival geschadet

Im Prinzip habe Macklemore die Politik der Hamas gerechtfertigt und relativiert, so der niedersächsische Antisemitismus-Beauftragte

von Michael Grau  21.07.2025

München

»Spüre wachsende Sehnsucht nach dem Judentum«

In der ARD-Serie »Die Zweiflers« mimt sie die Tochter einer jüdischen Familie. Auch im echten Leben ist Deleila Piasko Jüdin. Sie macht einen Unterschied zwischen Religion und Kultur

 21.07.2025

Konzerte

Yasmin Levy in Hamburg und Berlin

Yasmin Levy kommt erneut nach Deutschland. Die israelisch-türkische Sängerin bewahrt mit Ladino eine fast vergessene Sprache – und berührt ihr Publikum weltweit

von Imanuel Marcus  21.07.2025

Deichbrand-Festival

Macklemore wirft Israel Völkermord vor

Der Zentralrat hatte vor einem Besuch des Festivals gewarnt

 21.07.2025 Aktualisiert