Documenta

»Kunstfreiheit ist kein Freibrief für Antisemitismus«

Herr Dr. Schuster, Sie haben sich mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth getroffen, um die unterschiedlichen Standpunkte in Bezug auf die »documenta« zu erörtern. Was ist das Ergebnis?
Wir waren uns einig, dass die Documenta eine große Bedeutung für Deutschland und die internationale Kunstwelt hat. Daher ist die Frage nach Antisemitismus hier auch so bedeutsam und verlangt einen sensiblen Umgang. Umso bedauerlicher ist, dass die Documenta an der Konzeption des Expertenforums gescheitert ist. In unserem Gespräch ging es aber nicht nur um die Documenta, sondern auch um antiisraelische und antisemitische Tendenzen in der Kunstszene an sich.

Frau Roth hat gesagt, dass eine neue Vertrauensbasis nötig sei. Hat es daran wirklich gefehlt?
Was letztendlich den Ausschlag gegeben hat, dass sich die Documenta zur Absage der Podien mit dem Titel »We need to talk« entschieden hat, weiß ich nicht. Wir hatten die Documenta gebeten, miteinbezogen zu werden, wenn ein Expertengremium eingerichtet wird. Letztlich wurden wir zwar vorab informiert über die Gesprächsreihe, aber in die Konzeption nicht einbezogen. Und die Konzeption ließ in der Dramaturgie einen bereits gesetzten Narrativ erkennen: Zwischen Edward Saids Beitrag zum Eingang und mit einem Abschlusspanel zu antipalästinensischen Rassismus kam die Problematik antisemitischer Tendenzen im Kulturbetrieb eindeutig zu kurz.

Sind Sie dagegen, dass man die Rolle von Kunst und Kunstfreiheit angesichts von wachsendem Antisemitismus diskutiert?
Überhaupt nicht, im Gegenteil! Gerade angesichts zunehmender antisemitischen und israelfeindlichen Tendenzen in der Kunstszene wäre eine Debatte über Kunstfreiheit und ihre Grenzen dringend notwendig. Kunst- und Meinungsfreiheit sind wertvolle Grundrechte unserer Verfassung, aber sie sind kein Freibrief für Antisemitismus. In der Diskussion von Postkolonialismus in Deutschland sollte jedoch ein besonderes Augenmerk gelegt werden, wenn hier antiisraelische Perspektiven mit oftmals damit einhergehenden antisemitischen Haltungen kritiklos übernommen werden. Darüber muss auch gesprochen werden können. Diese Sensibilität fehlte bei der Documenta, die explizit den sogenannten »Globalen Süden« und seine Diskurse eingeladen hat.

Sie sagen, dass es für Jüdinnen und Juden in Deutschland keine »offene« Debatte zum Antisemitismus geben kann. Andere fordern die Erweiterung von »Diskursräumen«. Wollen Sie Widersprüche nicht aushalten?
Über widersprüchliche Meinungen zu diskutieren, ist ein Wesensmerkmal des Judentums. Und solche Diskurse gehören natürlich auch zur Kultur und zur Kunst. Aber Antisemitismus ist keine Meinung! Wenn israelische Künstler in Deutschland den Druck verspüren, sich zu Israel kritisch zu äußern oder wenn Künstler zur Absage aufgerufen werden, weil es zum Beispiel einen israelischen Sponsor gibt, dann hat das nichts mit einer vernünftigen politischen Debatte zu tun. Eine grundsätzliche Toleranz des Existenzrechts Israels und gegenüber Juden dürfen wir schon erwarten, finde ich.

Sie fordern auch von Kunst und Kultur nicht nur Bekenntnisse, sondern entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus. Haben Sie den Eindruck, dass man sich im Namen der Kunstfreiheit davon freisprechen will?
Es ist ja verständlich, dass Kunst- und Kulturschaffende argwöhnisch werden, wenn sie den Eindruck haben, ihre Freiheit solle eingeschränkt werden. Diese Freiheit bedeutet allerdings auch Verantwortung. Ein Künstler oder eine Kulturinstitution muss sich auch darüber Gedanken machen, was beim Publikum ausgelöst wird. Die künstlerische Avantgarde darf keinen Nährboden liefern, auf dem Antisemitismus gedeihen kann.

Sie haben schon mehrfach eine Auseinandersetzung mit dem israelbezogenen Antisemitismus und der Boykottbewegung ›BDS‹ im Kulturbetrieb gefordert. Wie sollte die aussehen?
Ein wichtiger erster Schritt wäre für mich, dass sich Diskussionsforen finden, in denen tatsächlich über die Frage gesprochen wird, was Antisemitismus ist und wie er sich in der Kultur und Kulturszene manifestiert. Das Thema sollte nicht sofort vermischt werden mit Rassismus, Post-Kolonialismus oder anderen Narrativen. Und in diesen Diskussionen sollte auch jüdischen und israelischen Künstlern Raum gegeben werden, die sich dem Israel-Bashing nicht anschließen wollen.

Das Interview mit dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland führte Detlef David Kauschke.

Eurovision Song Contest

Israelische Sängerin Yuval Raphael wird von der Schweiz nicht extra geschützt

Die Basler Sicherheitsbehörden wissen um die angespannte Lage, das Sicherheitsrisiko in der Schweiz ist hoch

von Nicole Dreyfus  06.05.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  05.05.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  05.05.2025

Bergen-Belsen

»Der Holocaust wird als Kulisse benutzt, um Israel anzugreifen«

Menachem Rosensaft ist verstört über ein Theaterstück, in dem die Lage von jüdischen Schoa-Überlebenden in Displaced-Persons-Camps mit der von Palästinensern verglichen wird

von Michael Thaidigsmann  05.05.2025

Potsdam

31. Jüdisches Filmfestival Berlin Brandenburg wird eröffnet

Der Spielfilmwettbewerb präsentiert internationale Produktionen, vom ersten in Israel produzierten Film eines beduinischen Regisseurs bis hin zu einem Neo-Western mit einem Rabbi als Actionheld

 05.05.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  05.05.2025

Weltenbummler

Luca Pferdmenges ist der »German Travel Guy« mit gutem Geschmack

Er kennt 195 Länder und weitaus mehr Städte. Welche ist wohl seine Lieblingsstadt auf diesem Planeten?

von Frank Christiansen  05.05.2025

Fernsehen

Rache für den Holocaust? »Plan A« in der ARD

In dem Drama sinnt eine Gruppe Juden auf Rache für die deutschen Holocaust-Verbrechen

von Ute Wessels  04.05.2025 Aktualisiert

Ausstellung

G*tt in Blau

Das Jüdische Museum Wien geht sieben großen Fragen nach – von der Bibel bis in die Gegenwart

von Tobias Kühn  04.05.2025