Sehen!

Kunst der Stille

Marcel Marceau (1923–2007) Foto: W-film / Les Films du Prieuré

Sehen!

Kunst der Stille

Ein Dokumentarfilm erzählt das Leben des französisch-jüdischen Pantomimen Marcel Marceau

von Ayala Goldmann  07.05.2022 22:43 Uhr

»Schwermut kann aber auch sehr schön sein. Sie ist Poesie, die tiefe Sehnsucht nach dem, was zerbrechlich und vergänglich ist«, sagte einst Marcel Marceau.

Von Leben und Werk des französischen Pantomimen, der nach dem Zweiten Weltkrieg als »Clown Bip« die Welt eroberte, erzählt jetzt ein Dokumentarfilm des Schweizers Maurizius Staerkle Drux, selbst Sohn eines Pantomimen. Erst spät, sagt der Regisseur der Jüdischen Allgemeinen, sei ihm aufgefallen, wie viele der Nummern seines Vaters Christoph Staerkle von Marceau beeinflusst waren.

RETTUNG Bei einem Essen in New York habe er eine alte Schweizerin kennengelernt, die ihm erzählte, ein Pantomime habe ihr das Leben gerettet. »Das hat mich natürlich sehr hellhörig gemacht.« Erst danach entdeckte er, wie viel Schwermut der heitere Clown in sich trug: »Ich habe realisiert, dass diese lustigen Nummern, diese Sketche, eigentlich einen sehr ernsten und existenziellen Hintergrund haben.«

Mit klassischen Mitteln einer Filmbio­grafie – interviewt werden Zeitzeugen wie der 108 Jahre alte Georges Loinger (ein Cousin Marceaus), zwei Töchter und ein Enkel – zeichnet der Film den Werdegang des jüdischen Künstlers nach, der schon als kleiner Junge davon fasziniert war, Charlie Chaplin im Kino zu sehen.

1923 wurde er als Marcel Mangel in Straßburg geboren, der Vater war Metzger, Taubenzüchter und Kantor. Als 17-Jähriger konnte er 1940 nach Frankreich flüchten. Dort schloss er sich mit seinem Bruder der Résistance an und gab sich den Familiennamen Marceau. Er half, mehrere Gruppen jüdischer Kinder aus dem von Deutschland besetzten Frankreich in die Schweiz zu schleusen. Um die jungen Flüchtlinge ruhig zu halten, unterhielt er sie mit Pantomime. Marceaus Vater Charles überlebte die deutsche Besatzung nicht, er wurde in Auschwitz ermordet.

GEHÖRLOSER Als Interviewpartner in Kunst der Stille bindet der Regisseur auch seinen gehörlosen Vater ein, für den Pantomime ein lebenswichtiges Ausdrucksmittel ist – dadurch erhält der Film, der am 5. Mai zum »Tag der Inklusion« ins Kino kommt, eine anrührende und persönliche Note.

Der Inklusion der Parkinson-Patienten, die sich durch Pantomime Heilung erhoffen, hätte es im Film allerdings nicht bedurft. Eine Doku mit vielen Ebenen, die Marceau als Mensch, dreimal verheiratet und Vater von vier Kindern, nicht nahe genug kommt (auch seine Töchter erlebten ihn offenbar vor allem aus der Ferne) – der »Kunst der Stille« aber doch.

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025

Interview

»Es ist sehr viel Zeit verloren gegangen«

Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zieht eine Bilanz seiner Arbeit an der Spitze der »Beratenden Kommission NS-Raubgut«, die jetzt abgewickelt und durch Schiedsgerichte ersetzt wird

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025