Unterhaltung

Kommt, lasst uns alle Juden sein

Auschwitz ist keine Saunalandschaft in Thüringen und Bergen-Belsen keine Keksfabrik im Harz. Autsch! Wie nebenbei verpasst Oliver Polak seinem Publikum einen bitterbösen Schlag in die Magengrube, so- dass die Lachmuskeln erst ein paar Zehntelsekunden später in Bewegung geraten. Solche Witze sind das Markenzeichen des jüdischen Stand-Up-Comedian: zynisch, rabenschwarz, politisch unkorrekt. »Ich darf das, ich bin Jude« – das ist Polaks Credo und Programm auch in seiner neuen Show »Jud süß-sauer«, die am Montag im Berliner Quatsch Comedy Club »Weltpremiere« hatte. Und das Publikum zwischen 30 und 50? Es war beifallklatschend begeistert vom Unterhaltungskünstler aus dem emsländischen Papenburg.

Dort ist Polak als Mitglied der einzigen jüdischen Familie des Ortes aufgewachsen. Ein hartes Los. Zwei Stunden im Mercedes der S-Klasse dauerte es, um an Feiertagen die nächstgelegene Synagoge in Osnabrück zu erreichen. Nach dem Gottesdienst ging es dann wieder zwei Stunden zurück in die Diaspora, begleitet von Udo-Jürgens-Schlagern. Das prägt. Oliver Polak nutzt das Abwegige, Skurrile und Unnormale seines alltäglichen Lebens als humoristisches Gerüst für die Show. Er füllt eine komödiantische Lücke, die sich so nur in Deutschland auftun kann. Und der 32-Jährige hat damit durchaus Erfolg.

vorschlaghammer Dabei ist das Fein- und Hintersinnige Polaks Sache nicht. Er bevorzugt eher den Humor Marke Vorschlaghammer, schätzt vor allem die derben Sprüche, ist ein Zotenreißer, ein Mario Barth auf Jüdisch. Da geht es oft um Beschneidung, Vorhäute (»Badekappe für meine Oma«), schwule Messdiener, Sex in allen Varianten (»Israelische Frauen sind wie Waffen – immer scharf«) und dumme Ossis (»Unsere Mauer steht noch, ätschibätsch!«).

Und da ist noch der Holocaust. Er zieht sich wie ein roter Faden durch die Show. Bei Oliver Polak darf und soll man ruhig mal über die Schoa lachen. Frage an das Publikum: Was bekommt man von Ebay für zehn positive Bewertungen? Antwort Polak: einen gelben Stern, früher hätte dafür eine negative Beurteilung ausgereicht. Es sind solche grenzwertigen Späße, die die Zuhörer immer wieder mit zwei Arten des Lachens goutieren – das etwas peinlich berührte, verschämte Hohoho und das laute, befreiende Hahaha. Endlich mal ein Jude, der uns ent- und nicht belastet.

rezept Oliver Polak versteht sein Geschäft. Und das funktioniert eigentlich ganz einfach, wie er selbst erklärt. Fünf Dinge reichen schon aus: ein jüdischer Name, jüdisches Leiden, Holocaust-Gags, jüdischer Humor und jüdischer Mutterwitz. Von denen gibt es an diesem Abend reichlich.

Dabei kommt Polak zugute, dass die Bühne sein Zuhause ist. Recht schlagfertig und geschickt kommuniziert er mit dem Publikum. Da stört es recht wenig, dass manche Pointe vorhersehbar wirkt. Ohnehin geht es im Quatsch Comedy Club nicht allein um Späße und Lacher, sondern vielmehr um das große Ganze, das Wir-Gefühl.

Zwei Mal an diesem Abend singt der Entertainer in allerbester Udo-Jürgens-Chanson-Manier »Kommt, lasst uns alle Juden sein«. Konfetti und Luftballons regnen herab, die Zuhörer klatschen freudig mit, einige wiegen ausgelassen ihre Arme im Takt der Musik. Kindergeburtstagsstimmung für Erwachsene. Oliver Polak macht’s möglich.

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025