Religion

Kinder des Dschihad

Eric Breiniger (l.) und ein Mitstreiter aus der Sauerlandgruppe auf dem Kriegspfad Foto: ddp

Johannes Kandel ist Referatsleiter für den Interkulturellen Dialog bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin und damit auch für Islamthemen in seinem Hause zuständig. Mit den Jahren und nach zahlreichen Konferenzen, Debatten und Vorträgen ist Kandel zu einem der profiliertesten Islamkritiker im Lande geworden. Schon als Mitglied der Ersten Islamkonferenz forderte er einen fairen aber harten Diskurs mit den Muslimen in Deutschland.

Nach neueren soziologischen Untersuchungen seien nämlich rund zehn Prozent der Muslime in Deutschland anfällig für radikale islamistische Propaganda. Das bedeute zwar nicht, dass 400.000 Muslime von heute auf morgen gewalttätig würden, aber es sei klar, dass es einen Radikalisierungsschub auch in Deutschland gegeben habe. »Es ist völlig unbestritten, dass wir hier inzwischen die Kinder des Dschihad haben. Die Tatsache, dass es inzwischen eine deutsche Taliban-Truppe in Afghanistan gibt, zeigt das sehr deutlich«, warnt Kandel.

Radikalisierte deutsche Konvertiten, die sogenannte Sauerlandgruppe oder die Kofferbomber sind für Kandel alles andere als marginale Ausnahmen eines sonst friedlichen und unpolitischen Islam. Die unterschiedlichen islamistischen Gruppen und Strömungen verbinde ein gemeinsames Ideal, nämlich die Verherrlichung der Frühzeit des Propheten als das Goldene Zeitalter des Islam, zu der jede Gesellschaft zurückkehren müsse. Notfalls müssten die Menschen auch mit Gewalt zu ihrem muslimischen Glück gezwungen werden.

Hassparolen Islamistische Vordenker waren etwa der Gründer der ägyptischen Muslimbruderschaft Hassan al Banna, sein Chefideologe Sayyid Qutb oder der indische Journalist Maududi, der 1941 die indisch-pakistanische »Jama’at-e-Islami« gründete. Deren heutige Gefolgsleute nutzen, wie etwa der Hisbollah-Sender Al-Manar, arabische Satelliten, um ihre Hassparolen insbesondere gegen Israel und alles Jüdische auch bis in deutsche Wohnzimmer zu senden. Immerhin verbot Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im November 2008, dass Al-Manar-Sendungen in öffentlichen Hotels, Restaurants oder Cafés gezeigt werden.

»Islamisten lehnen bestimmte Teile der Moderne wie die Menschenrechtsidee, universale Freiheiten, Pluralismus oder die Aufklärung generell ab. Andererseits nutzen sie alle technischen Möglichkeiten, die der Westen ihnen bietet, Kommunikation, Waffen, Medizin. Es ist ja auch kein Zufall, dass viele führende islamistische Kader einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben«, weiß Kandel. Der Islamismus-Experte bezweifelt, dass es einen konstruktiven Dialog mit radikalisierten Muslimen überhaupt geben könne. Denn die Demokratie werde von diesen lediglich als Freiraum zur Subversion genutzt.

»Einen demokratischen Islamismus gibt es meines Erachtens nicht, weil der Islamismus die Trennung von Staat und Religion nicht akzeptiert und andere Religionen grundlegend abwertet«, sagt Kandel. Islamisten akzeptierten die Demokratie zwar als Verfahren der Mehrheitsentscheidung, aber nicht als Hüterin universell gültiger Menschen- und Grundrechte.

Scharia Denn über allem stehe bei Islamisten der sogenannte Scharia-Vorbehalt. Moderne Rechtsordnungen dürfen nicht dem mittelalterlichen islamischen Zivilrecht widersprechen. Kandel beklagt, dass dieser Vorbehalt selbst beim Zentralrat der Muslime in Deutschland gelte. In dessen 2002 verkündeter »Islamischer Charta« vermisst er die Akzeptanz der allgemeinen Menschenrechte oder der Gleichheit von Mann und Frau nicht nur vor Gott, sondern auch vor dem Gesetz.

Genau darüber sei in der Islamkonferenz nie diskutiert worden, beklagt Kandel. Der Staat müsse aber gegenüber demokratiefeindlichen Strömungen wachsam sein. Immerhin werde die islamistische und in vielen Äußerungen sich immer wieder antisemitisch gebende Milli Görüs durch den Verfassungsschutz beobachtet. Auch warnt Kandel eindringlich vor den Salafiten um den deutschen Konvertiten Pierre Vogel alias Abu Hamsa, dessen Gruppe auch durch christenfeindliche Äußerungen auffalle.

Wenn der Islam zu Deutschland gehöre, dann müsse er auch genauso kritisch hinterfragt werden wie andere Institutionen im Land, fordert Kandel. Nichts sei schlimmer als ein Kuscheldialog ohne Klärung der Positionen und notfalls auch klare Abgrenzungen. Deutschland brauche eine klare Sicherheitspolitik gegenüber dschihadistischen Kräften und eine dialogbereite, aber wachsame Zivilgesellschaft.

Johannes Kandel: Islamismus in Deutschland – Zwischen Panikmache und Naivität. Herder, Freiburg 2011, 224 S., 14,95 €

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