Kolumne

Kein Alkohol ist auch keine Lösung

Foto: Getty Images

»Ich bin vernarrt in Israel mit all seiner Lebendigkeit, der menschlichen Tiefe und der ansteckenden Herzlichkeit.« Hätten Sie je dieses heutzutage erstaunliche Bekenntnis einer erfolgreichen Unternehmerin mitten in der unterfränkischen Provinz erwartet? Die Dame ist Winzerin und als solche der Wahrheit im Wein verpflichtet.

Es kommt aber noch besser. Andrea Wirsching ist katholisch, geht jeden Sonntag zur Messe, reist seit Jahrzehnten nach Israel und findet: »Das Judentum ist der Ursprung des Christentums. Also ehrt es! Respektiert es!« Ihr gekelterter Rebsaft, das spüre ich sofort, fördert eindeutig das Denkvermögen. Von dem Tröpfchen muss ich probieren, auch wenn der Tag noch jung ist in Iphofen, auf unserer Durchreise in den Süden. Nur welchen?

Den preisgekrönten Silvaner vielleicht? Wirsching, deren Familie seit dem 16. Jahrhundert Weinberge bewirtschaftet, fragt stattdessen: »Wie wäre es mit einem koscheren Riesling?« Spätestens da weiß ich: Hier biste richtig! In Zeiten wie diesen, wenn gefühlt die ganze Welt durchdreht in judenfeindlichen Sprüchen und Israel bashenden Aktionen, wenn das erzkatholische Irland keine Waren aus dem Heiligen Land mehr importiert, habe ich ein wundersames Plätzchen entdeckt. Hier macht eine sich dem Mainstream widersetzende Winzerin aus ihrer Denke kein Hehl. Während die weichen Aromen den Gaumen verzücken, erfahre ich Erstaunliches zu koscherer Kelterkunst.

Drei Mal im Jahr lädt Wirsching Rabbiner und deren Gehilfen auf ihr Gut. Die prüfen und überwachen die Ernte, das Pressen und Einlagern, dann den ersten Abstich, wenn der Wein von der Hefe getrennt wird, und schließlich das Filtrieren und das Abfüllen. Die Winzerin und ihr Fachmann, der Önologe, dürfen gemäß Kaschrut nicht mit Hand anlegen.

Wie schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann, befand einst Tucholsky.

Die Schriftgelehrten wiederum kennen sich mit den technischen Finessen von Wirschings Anlage nicht aus. Also: intelligent improvisieren. Die Rabbiner machen Fotos der Maschinen, laufen hoch ins Büro des Önologen. Der erklärt ihnen, welche Knöpfe sie drücken müssen für den nächsten Arbeitsschritt. Klingt lustig, ist es auch, sagt die Winzerin und schenkt nach. Der Wein ist etwas teurer als unkoschere Rebsäfte, er verkauft sich auch nicht von allein, Marketing gehört dazu. Wirschings koschere Weine waren ein Hit auf der Münchner Sicherheitskonferenz, allein nach New York hat sie kürzlich 1200 Flaschen verschickt.

Wie schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann, befand einst Tucholsky. Das bedaure ich auch, als wir abends die Nachrichten schauen und mein Mann den Korken aus dem koscheren Bocksbeutel zieht. Wein entspannt und verspricht ein »kurzzeitiges Loslassen«, so hat es einmal der Judaistikprofessor Rosenblum formuliert. Loslassen, sanft in den kleinen Rausch gleiten. In das Glück, das von den ollen Griechen über Goethe bis Fontane und Bachmann jeder kreative Mensch genossen hat und feiern sollte.

Dabei müssen wir bitte die gerade schwer angesagten Gesundheitsapostel vergessen, deren apodiktisches Alkoholverbot den Winzern und ihren dankbaren Abnehmern die Lust am Genuss vergällen will. Sie haben, das befinde ich nach dem dritten Glas, in ihrer Penetranz und Unversöhnlichkeit einiges gemein mit den Mullahs, die Alkohol verdammen. Wein wirkt wohlig aufs Gemüt, und wenn die Zeitläufte scheußlich werden, sind sie besser mit einem edlen Tropfen zu ertragen. Der Kater am folgenden Tag war nicht einmal ein kleines Kätzchen. Den strengen Rabbinern sei Dank.

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