Musik

Junger Maestro

Der erst 34-jährige Lahav Shani wurde in Israel geboren, studierte am Konservatorium in Tel Aviv und lernte Dirigieren in Berlin. Foto: Tobias Hase

Lahav Shani wird ab der Konzertsaison 2026/2027 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Das hat der Münchner Stadtrat auf Vorschlag des Orchesters beschlossen. Oberbürgermeister Dieter Reiter und Lahav Shani unterzeichneten jüngst den Vertrag, der eine fünfjährige Laufzeit vorsieht – so stand es in der offiziellen Pressemitteilung.

Dass ein Dirigent, 34 Jahre jung, zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker ernannt wird und schon derart ausgelastet ist, dass er diese bedeutende und renommierte Aufgabe erst in drei Jahren vollumfänglich übernehmen kann, weil er bereits als Chef von zwei internationalen Spitzenorchestern amtiert, erscheint bemerkenswert genug.

sabra Doch dass es sich dabei um einen jungen Sabra aus Tel Aviv handelt, dem neben der Leitung der Rotterdamer Philharmoniker (die er in drei Jahren, 2026, notgedrungen wieder abgeben wird) auch die Nachfolge des großen Zubin Mehta als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra obliegt, die er beibehalten und, im Sinne gemeinsamer Projekte, in die neue Münchner Aufgabe einbringen will, ist aus allgemein musikalischer wie spezifisch deutsch-jüdischer Sicht hochbedeutend, um nicht zu sagen sensationell. Nicht nur wegen des langen Schattens der Schoa, sondern auch angesichts der zahlreicher werdenden BDS-Versteher in den Führungsetagen des deutschen Kulturbetriebs.

Zwar sollten bei einer so fordernden und anspruchsvollen Aufgabe wie der Leitung eines Orchesters, dessen Mitglieder sich heutzutage aus der gleichen internationalen, polyglotten Musiker-Elite rekrutieren wie seine Dirigenten, Herkunft und staatliche Zugehörigkeit keine Rolle spielen. Nur tun sie dies, in dieser oder jener Hinsicht, eben doch.

Shanis Vorgänger, der vorzügliche Dirigent Waleri Gergjiew, hat seinen Posten räumen müssen, weil er als Ossete und Russe, der sich schon 2014 bei seiner Vertragsunterzeichnung ausdrücklich zur russischen Annexion der Krim bekannt hatte, sich im Februar 2022 vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht distanzieren mochte oder konnte.

qualitäten Auch Shani wird, ungeachtet seiner persönlichen und musikalischen Qualitäten, niemals nur als fähiger Musiker und Dirigent, sondern stets auch als Israeli und Jude wahrgenommen werden. Er lebt übrigens – international, polyglott – in Berlin, wo er sich mit seiner Ehefrau, der Klarinettistin Miri Saadon Shani, gerade eine Wohnung gekauft hat, wohl kurz vor der Münchner Berufung.

International, polyglott – das Musikerkind Lahav Shani, das mit sechs Jahren seinen ersten Klavierunterricht bekam, wurde am Konservatorium in Tel Aviv ausgebildet und hat als Kontrabassist wie als Pianist für das Israel Philharmonic Orchestra gearbeitet, während er das Dirigieren in Berlin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler lernte.

Lahav Shani wird stets auch als Israeli und Jude wahrgenommen werden.


Seinen Durchbruch als Dirigent erzielte er 2013 beim nur alle drei Jahre stattfindenden Dirigenten-Wettbewerb der Bamberger Symphoniker, der sich – wiederum international, polyglott – »The Mahler Competition« nennt. Da trat er mit Mahlers Erster Symphonie an – so erfolgreich, dass (so wird kolportiert) seine Kollegen bei den Israelischen Philharmonikern sehen wollten, ob ihr junger Bassisten-Kollege tatsächlich dirigieren könne, und vom Ergebnis derart überzeugt waren, dass sie ihn 2019 zu ihrem neuen Chefdirigenten wählten. Wobei die »Kontrabässe« mit ihren starken rhythmischen Vorgaben gleichsam das »Fundament« eines Konzerts legen, was gut zu Shanis Berufung als Dirigent und Orchesterleiter passt.

PIANIST Zugleich gilt er, nicht anders als sein Mentor und Förderer Daniel Barenboim, als vorzüglicher Pianist, der gerne gleichzeitig konzertiert und dirigiert. Das helfe ihm, wie er in einem Interview gesagt hat, beim Dirigieren. Denn nur, wenn er sich immer wieder klarmache, dass er Kollegen gegenüberstehe, denen genauso daran gelegen sei, ihr Bestes in der Musik zu geben wie ihm selbst – im Gegensatz zu ihm aber mit einem Klang, den sie auf ihrem Instrument eigenverantwortlich erzeugten, während er lediglich Vorschläge zu machen vermöge –, nur dann könne er seine Aufgabe als Dirigent seriös erfüllen.

Jede musikalische Begabung, die sich als berufs- und karrierefähig erweisen soll, ist auf frühe und zeitige Förderung, verbunden mit entsprechender Anerkennung und Anforderungen, angewiesen und hat allen Grund, sich von Kindesbeinen an als etwas »Besonderes« zu fühlen – was das spätere Erwachsenenleben nicht einfacher macht. Dies gilt für das Tel Aviver Musikerkind Shani wie für jeden seiner Orchestermusiker.

Ein Orchester kann als Sammelsurium vielfältiger und anspruchsvoller Individualitäten verstanden werden, die für ein gemeinsames Musizieren auf den Dirigenten als vermittelndes und leitendes Bindeglied angewiesen sind, ebenso wie er für die Umsetzung seiner Interpretationen auf sie. Er muss ihnen in der verhältnismäßig kurzen Zeit, die für Orchesterproben zur Verfügung steht, seine Sicht der Partitur derart überzeugend vermitteln, dass sie diese dann gemeinsam vortragen können.

Beim »Diktator« Toscanini, der 1936 das erste Konzert des neu gegründeten Palestine Orchestra – der heutigen, von Lahav Shani geleiteten Israelischen Philharmoniker – dirigierte, erfolgte dies mit ebenso fürchterlichen wie verzweifelten italienischen Schimpfkanonaden, während der musikalisch bedeutende, politisch höchst unerfreuliche Furtwängler auf quälend ungenaue Taktgebung setzte.

IMPROVISATION Lahav Shani hingegen arbeitet mit Zuhören und Abwägen – mit dem Prinzip der stets aufs Neue zu treffenden Entscheidung, wer es an einer konkreten Stelle besser wisse, das Orchester oder er. Er sei weder willens noch in der Lage, mit einem »Wunschzettel« vors Orchester zu treten. Es liefe letztlich auf eine »Improvisation vor Ort« hinaus, die allerdings auf einem vorigen eingehenden Studium und exakter Kenntnis der Partitur beruhe, wobei die eigentliche Aufführung des Werks sich jedes Mal neu entwickle und das Schlussresultat stets eine Überraschung und Entdeckung sei.

Shani ist das Kunststück gelungen, sein in tiefer Musikalität wurzelndes künstlerisches Selbstvertrauen mit ausgeprägten sozialen Fähigkeiten, mit Ausgeglichenheit und Freundlichkeit zu verbinden. Es ist berührend zu hören, dass die Münchner Orchestermusiker von einer »Liebesbeziehung« zu ihm sprechen und erzählen, wie sie sich auf einer Tournee durch die Schweiz ins gemeinsame Musizieren »verliebt« hätten. Was sich auch daran zeigt, dass sie gewillt sind, die nächsten drei Jahre mit gelegentlichen Gastdirigaten vorliebzunehmen.

Die Orchestermusiker sprechen von einer »Liebesbeziehung«.

Es gebe, wie ein erfahrener Orchesterkenner einst erklärte, für einen fähigen jungen Dirigenten nichts Besseres als ein eigenes Orchester, mit dem er sich konstant ausprobieren könne. Mit Lahav Shani hat nun eine musikalische Großbegabung dieses Geschenk gleich doppelt erhalten und damit zwei wunderbare Wirkungsstätten, wo er beide Seiten seiner musikalischen Begabung umsetzen und verbinden kann: die ursprüngliche des israelischen Sabra als konzertierender Musiker und den analytisch zusammenfassenden und gestaltenden Impetus des deutsch ausgebildeten Orchesterleiters.

Dass sich diese Doppelgleisigkeit ebenso wie die doppelte Liebesbeziehung zu seinen Orchestern und deren deutsch-israelische Zusammenarbeit zur eigenen Freude wie der seiner Mitmusiker und seines Publikums bewähren möge und von vielen musikalischen Früchten gesegnet werde, ist ihm, den Israelischen und Münchner Philharmonikern sowie uns allen von Herzen zu wünschen. Masel tow, Maestro!

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