NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Die Alte Pinakothek in München ist Teil der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Foto: IMAGO/Westend61

Es ist ein schwerer Vorwurf, der im Raum steht: Hat der Freistaat Bayern, namentlich die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (BSGS), Hunderte von Kunstwerken, die während der NS-Zeit ihren jüdischen Eigentümern geraubt oder abgepresst wurden, wissentlich in seinem Besitz behalten, ohne eine Rückgabe wenigstens zu prüfen?

Die »Süddeutsche Zeitung« berichtet in ihrer Donnerstagsausgabe ausführlich über ein 900 Seiten langes, vertrauliches BSGS-Dokument. Darin werden 200 Kunstwerke als Raubkunst aufgelistet. Die der Zeitung zugespielte Liste ist demnach ein Auszug aus einer internen Datenbank der Staatsgemäldesammlungen.

Die als »rot« markierten 200 Kunstwerke seien von der BSGS auf ihre Provenienz hin geprüft und eindeutig als NS-Raubkunst eingestuft worden. Sie stammten, so die SZ, zum Teil aus dem Nachlass einstiger Nazi-Größen wie Hermann Göring, Martin Bormann oder Heinrich Hoffmann. Weitere 800 Werke seien als »orange« eingestuft, stünden also zumindest im Verdacht, ebenfalls Raubkunst zu sein.

Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 sind staatliche Einrichtungen und Museen in Deutschland eigentlich verpflichtet, faire Lösungen anzustreben. »NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter«, wie es im Bürokratendeutsch heißt, müssen demnach entweder den rechtmäßigen Eigentümern oder ihren Erben zurückgegeben werden oder es muss eine Entschädigung gezahlt werden. Dabei sind die Sammlungen gehalten, von sich aus tätig zu werden. Offenbar hat der Freistaat viele der fraglichen Werke in die Lost Art-Datenbank des Bundes eingestellt, um so Anspruchsstellern die Suche zu erleichtern.

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Die von der CSU geführte Staatsregierung hat sich zwar wiederholt zu den Washingtoner Prinzipien bekannt und vor einigen Jahren sogar ein allgemeines Restitutionsgesetz für Deutschland gefordert, welches die wegen der bereits eingetretenen Verjährung juristisch komplizierte Rückgabe von NS-Raubkunst auf eine rechtliche Grundlage stellen würde. Zudem behauptete der zuständige Ressortchef, Wissenschafts- und Kunstminister Michael Blume (CSU), noch im Dezember im Landtag großspurig, in Bayern sei Restitution »gelebte Praxis«.  117 Fälle seien abgeschlossen. Von diesen sei zu 86 Prozent auf Rückgabe entschieden worden, so Blume. Nur 19 Fälle seien aktuell noch anhängig.

Wenn man aber die nun bekanntgewordenen 200 Fälle hinzuzieht, bei denen selbst die staatlichen Experten sich sicher zu sein scheinen, dass es sich um Raubkunst handelt, sieht die Bilanz ganz anders aus. Bayern spiele ein »doppeltes Spiel«, kritisiert die SZ. Nach außen hin werde darauf verwiesen, dass die Provenienzen vieler Werke noch ungeklärt seien. Intern sei dagegen schon längst klar, dass es sich um Raubkunst handele. Mit anderen Worten: Der Freistaat mauert. Die Grünen-Politikerin Sanne Kurz vermutet sogar, dass in Bayern die Staatsregierung entscheide, was Raubkunst sei und zurückgegeben werde.

Schwere Vorwürfe

Das sehen auch viele der Erben so. Michael Hulton, Erbe des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim, fragte erbittert: »Worauf warten sie? Darauf, dass noch mehr von Nachkommen der Opfer sterben?«

Die Nazis hätten seinen Großonkel Alfred Flechtheim entrechtet, enteignet und vertrieben, so Hulton, der in den USA lebt. »Sie haben sein Leben zerstört. Und ein deutsches Bundesland hat uns jahrelang belogen und versucht, das historische Unrecht zu vertuschen, um seine Kunstwerke behalten zu können.«

Hultons Anwälte, Mel Urbach und Markus Stötzel, machen dem Freistaat schwere Vorwürfe. »Bayern hätte Hinterbliebene von Opfern informieren, die Werke an öffentliche Datenbanken melden und Restitutionsverfahren einleiten müssen«, erklärten sie am Mittwochabend. Bayern habe sich »von Anfang an nicht an diese Regeln halten« wollen und habe zudem »die Ahnungslosigkeit vieler möglicher Anspruchsteller schamlos ausgenutzt.« Damit, so Stötzel und Urbach, werde »massives Unrecht der Nazis auch mehr als 80 Jahre später aufrechterhalten.«

Auch der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Europa zeigte sich verstört über die jüngsten Enthüllungen. Rüdiger Mahlo sagte dieser Zeitung: »Die Recherchen der ‚Süddeutschen Zeitung‘ beunruhigen uns. Wir fordern umfassende und schnelle Aufklärung.« Der Freistaat Bayern habe sich verpflichtet, NS-Raubkunst zu restituieren, betonte Mahlo. »Wenn sich der Bericht der SZ bestätigen sollte, wäre das für uns ein Vertrauensbruch und die jüngst erzielten Fortschritte stünden infrage.«

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen teilten der »Süddeutschen Zeitung« auf Nachfrage mit, bei der Liste handele es sich um ein »reines Arbeitsmittel«, der nur den aktuellen Stand der Recherchen abbilde und sich ständig ändere. Eine Argumentation, die die Opferseite kaum überzeugen dürfte.

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