Sprachgeschichte(n)

Journalisten und andere Schmocks

Eines der populärsten jiddischen Schimpfwörter verdanken wir den Polen

von Christoph Gutknecht  30.09.2013 21:53 Uhr

Wer wird Schmock der Woche? Foto: Thinkstock

Eines der populärsten jiddischen Schimpfwörter verdanken wir den Polen

von Christoph Gutknecht  30.09.2013 21:53 Uhr

Henryk M. Broder war verblüfft, als der von ihm vor einigen Jahren zum »Schmock der Woche« beförderte Berliner Playboy Rolf Shimon Eden den abwertenden Begriff nicht kannte. Behauptet etwa Bodo Mrozek im Lexikon der bedrohten Wörter (2006) zu Recht, die jiddischstämmige Bezeichnung »Schmock« für den selbstgerechten Trottel sei »definitiv vom Aussterben bedroht«?

Ein Blick in die Zeitungen stimmt weniger skeptisch. Hart ging jüngst Die Welt mit Verlagen ins Gericht: »Jeder Schmock schreibt heute, wenn ein Buch aus den USA auf Deutsch erscheint, dieses Werk sei ›aus dem Amerikanischen‹ übersetzt.« Als die Frankfurter Rundschau stichelte, für jeden »Schmock und Parvenü« gebe es beim Preis für Füllfederhalter »nach oben fast keine Grenze«, benutzte sie Schmock synonym zu Snob – in einer semantischen Abwandlung, die wir schon in Torbergs Anekdotensammlung Die Tante Jolesch (1975) finden.

Dreck »Schmock« wurde auch oft variiert als »verschmockt«, sprich: effektheischend, aber gehaltlos, oder »Schmockerei« (= Gewäsch). Noch 1940 mahnte Fred Endrikats Hymne an die Lebensfreude: »Nur keine überspitzten Faxen./Wir reden von der Leber weg,/so wie der Schnabel uns gewachsen,/und meiden den verschmockten Dreck.«

Der literarisch bekannteste Schmock ist der gleichnamige Zeitungsmann in Gustav Freytags Lustspiel Die Journalisten (1854). Der spricht jiddelndes Deutsch, quittiert Fragen mit als »typisch jüdisch« angesehenen Gegenfragen und wurde zum Inbegriff des Lohnschreibers, der sich »nach jeder Richtung« wendet. Die 2008 von Marcel Reich-Ranicki in der FAZ gerügten antisemitischen Klischees Freytags, die wir auch im Roman Soll und Haben (1855) finden, zählen Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz in ihrem Band über Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert (2013) »zum kulturell-kommunikativen Erbe, judenfeindliche Animositäten zu verbalisieren«, ohne dass man den Autor als Judenhasser charakterisieren könnte.

Freytag entlehnte seinen »Schmock« den 1851 anonym erschienenen Bildern aus Oestreich von einem deutschen Reisenden seines jüdischen Mitarbeiters bei der Zeitschrift Grenzbote, Jakob Kaufmann. Die später durch Fritz Mauthners Satire Schmock oder Die literarische Karriere der Gegenwart (1888) popularisierte Figur wurde zum Vorläufer des Doppeljournalisten Fink und Fliederbusch in der gleichnamigen 1917 uraufgeführten Komödie Arthur Schnitzlers.

Mythologismen Sigmund Freud erwähnt in seiner Studie Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) den Redakteur Wippchen, eine bekannte Figur des Schriftstellers Julius Stettenheim, als »Modifikation des Freytagschen Schmock«, während Alexander Moszkowski (Das Panorama meines Lebens, 1925) bei diesem »Typus eines journalistischen Schmocks« die »Masse der verdrehten Zitate und verrenkten Mythologismen« amüsierte. Und in seiner Rezension zu Moritz Heimanns Journalisten-Drama Armand Carrel interessierte Carl von Ossietzky 1922 in der Berliner Volks-Zeitung »nicht Schmock, der arme Zeilenschinder, der literarische Galeerensklave, sondern Schmock, der Macher und Beherrscher der öffentlichen Meinung«.

Kenner des Jiddischen werden bis jetzt eine andere Bedeutung vermisst haben. Das Wort hat, so wie Henryk M. Broder es für Rolf Eden und andere gern verwendet, eine pejorative und obszöne Note, weil es im Jiddischen auch für Penis steht. Die Wiener Presse betitelte 2007 ein Interview mit der Sexualtherapeutin Ruth Wertheimer: »Wenn der Schmock stejt«.

Weil man das jiddische »shmok« in den USA »shmuck« schreibt, haben manche Etymologen es mit dem deutschen »Schmuck« im Sinne von »männlichen Kronjuwelen« in Verbindung gebracht. Zu Unrecht. Tatsächlich, so der Jiddist David L. Gold 2002 im Eurasian Studies Yearbook, stammt das vulgäre ostjiddische »shmok« aus dem Altpolnischen. Dort ist »smok« die Ringelnatter. Ein Schmock, wer Böses dabei denkt.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert