»Bohemian Rhapsody«

Im Kino gewesen. Geweint

Akribisch inszenierte audiovisuelle Zeitreise: Rami Malek als »Queen«-Sänger Freddie Mercury Foto: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. ! Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.

Im Kino gewesen. Geweint. Franz Kafkas lakonischer Tagebucheintrag, inzwischen zu Tode zitiert, verrät allerdings nicht, was genau den Schriftsteller so sehr rührte. Tränen fließen im Kino oftmals aufgrund von trivialen Motiven, deren Tiefe sich erst dem forschenden Nachdenken erschließt.

So ergeht es einem auch in Bohemian Rhapsody, dem Biopic über den Queen-Sänger Freddie Mercury. Der Film ist witzig und visuell ansprechend. Die Kostüme sind eine Augenweide. Und trotz zweieinviertel Stunden Länge erscheint die farbenfrohe Zeitreise in die Popwelt der 80er-Jahre recht kurzweilig.

Geliebte Aber: Über den Sänger selbst, den 1946 in Sansibar geborenen Farrokh Bulsara, erfährt man nicht viel. Auch die späten Jahre vor seinem Tod, in denen er gemeinsam mit der Operndiva Montserrat Caballé eher schräge Töne von sich gab, werden ausgeblendet. Und seine Geliebte Barbara Valentin? Auch Fehlanzeige.

Warum rührt dieser Film dennoch zu Tränen? Womöglich deshalb, weil er Freddie Mercury nicht aus dem Pop-Olymp herunterholt. Wie ein Gott taucht der junge Londoner aus dem Nichts auf, als die Band einen Sänger sucht. Schon kurz darauf ist er auf der Bühne der charismatische Star.

Die Partys werden üppiger und Freddie immer einsamer. Besonders als seine Freundin erfährt, dass er bisexuell ist, und sich trennt: Diese heruntererzählte Geschichte erzeugt aber ebenso wenig ein tiefes Gefühl wie die chamäleonartige Akribie, mit der Mr. Robot-Darsteller Rami Malek sich dem Queen-Frontmann anverwandelt.

ikone
Über die drei Bandmitglieder an der Seite des Paradiesvogels erfährt man ebenso wenig wie über den speziellen Stil von Queen, die zu nonkonformistischen Soundtüftlern stilisiert werden. Na ja. Dass der Mann mit dem Oberlippenbart, der sich nie offiziell outete, eine Schwulenikone war, verschweigt der Film nicht. Doch diese Schlüsselthematik wird aus heutiger Sicht so rückprojiziert, als ob sie seinerzeit kein Problem gewesen wäre. Woraus bezieht der Film also seine emotionale Kraft?

Es ist die Musik. In anekdotischer Form wird das Entstehen der einzelnen Songs rekonstruiert. Am medial konstruierten Bild, das von der Gruppe und ihrem Aushängeschild bereits existiert, wird kaum gerüttelt. Bohemian Rhapsody ist eine akribisch inszenierte audiovisuelle Zeitreise, die die jeweiligen Emotionen beim damaligen Hören der Queen-Hits wieder aufleben lässt.

Wie viele Rockfilme betreibt Bohemian Rhapsody eine Nostalgie der nachträglichen Anverwandlung. Das Erklingen des unverwechselbaren Takts von »We Will Rock You« etwa erzeugt Gänsehaut: Auch dann, wenn man diesen Gassenhauer seinerzeit nicht so toll fand.

Seele So ordnet sich der Film, strukturiert als Abfolge der wichtigsten Auftritte, ganz der Strahlkraft der jeweiligen Queen-Hits unter. Dabei entsteht das seltsame Gefühl, in diesen Liedern etwas zu entdecken, was man damals offenbar überhört hat. Wenn Rami Malek sich als Freddie Mercury die Seele aus dem Leib singt, dann hat dieser Film nur noch eine Klangfarbe: Pathos pur.

Den quälend prosaischen Alltag, den etwa Anton Corbijn in seinem düsteren Ian-Curtis-Porträt Control einfing, spart Regisseur Bryan Singer (Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat, X-Men: Apocalypse) aus. Und im Vergleich zu dem Bildgewitter The Doors, in dem Oliver Stone den Zeitgeist der Gegenkultur visuell reflektierte, lässt Singer seinen Protagonisten Freddie Mercury im luftleeren Raum schweben.

Der Mythos des Sängers und Performers, der immer auf Augenhöhe seines ­Publikums war, wird als gefühltes Evangelium beschworen. So endet die Geschichte nicht mit seinem Tod im Jahr 1991, sondern 1985 mit dem »Live Aid«-Konzert im Wembley-Stadion. Der von der Musikpresse als bester Liveauftritt aller Zeiten umjubelte Gig wird im Film akribisch nachgestellt: als Pop­gottesdienst.

Wenn 75.000 Menschen live »Eeeeeoh« schreien, dann kann man sich schwer entziehen. Im Kino gewesen. Geweint. Es war einfach nur Ga-Ga. Radio Ga-Ga.

Seit 1. November im Kino.

TV-Tipp

Der andere Taxi Driver

Arte zeigt den Thriller »A Beautiful Day« der Regisseurin Lynne Ramsay mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle

von Kathrin Häger  09.02.2025

Analyse

Der nette Salafist?

Was von Syriens Interimspräsident Ahmad al-Sharaa zu erwarten ist – auch im Verhältnis zu Israel

von Tom Khaled Würdemann  09.02.2025

Kulturkolumne

Was bedeutet das Wort »Jude«?

Überlegungen zu Selbstmitleid und Dankbarkeit

von Ayala Goldmann  09.02.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Als Harry und Sally so langweilig wie Mayonnaise waren

von Katrin Richter  09.02.2025

Zahl der Woche

160 Meter

Fun Facts und Wissenswertes

 09.02.2025

Aufgegabelt

Pancakes

Rezepte und Leckeres

 09.02.2025

New York

Trauer um Tony Roberts

Der Schauspieler starb am vergangenen Freitag an den Folgen einer Lungenkrebserkrankung

 08.02.2025

Bildung

Wissenschaftsfreiheit und Antisemitismus

Die Bundestagsresolution gegen Judenhass an Hochschulen und die Verantwortung der Universitäten. Ein Gastkommentar von Frederek Musall

von Frederek Musall  07.02.2025

Imanuels Interpreten (5)

Geddy Lee: Der Rock-Tenor

Der Sohn polnischer Holocaustüberlebender ist einer der prominentesten Musiker Kanadas. Bis 2015 war er Mitglied des Progressive Rock-Trios Rush

von Imanuel Marcus  07.02.2025