Der Tod der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer (1921–2025) ist in Politik und Gesellschaft mit großer Trauer und in tiefem Respekt vor der engagierten NS-Zeitzeugin aufgenommen worden.
Friedländer starb am Freitag mit 103 Jahren in Berlin. Noch zwei Tage zuvor hatte sie bei einer Gedenkveranstaltung in Berlin zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Weltkriegsendes in Europa am 8. Mai 1945 bewegende Worte an die Gäste gerichtet und war dafür mit stehenden Ovationen bedacht worden. Die für Freitag geplante Verleihung des Bundesverdienstkreuzes durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war kurzfristig verschoben worden.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte die Verdienste der Holocaust-Überlebenden. »Sie hat unserem Land Versöhnung geschenkt – trotz allem, was die Deutschen ihr als jungem Menschen angetan hatten«, erklärte Steinmeier in einem Kondolenzschreiben am Freitagabend. »Für dieses Geschenk können wir nicht dankbar genug sein.«
Friedländer überlebte als Einzige ihrer direkten Familie die Schoa. Nach mehr als sechs Jahrzehnten in New York kehrte sie im Alter von 88 Jahren in ihre Heimat Berlin zurück. Sie engagierte sich für Demokratie sowie gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung.
Nie habe sie angeklagt, so der Bundespräsident weiter. Margot Friedländer habe jeden, der ihr begegnete, mit ihrer Wärme, ihrer Zugewandtheit, ihrer ungeheuren Kraft beeindruckt, betonte Steinmeier. Ihre tiefe Menschlichkeit habe ihn im Innersten berührt. Steinmeier: »Margot Friedländers Vermächtnis ist uns Mahnung und Verpflichtung, gerade in einer Zeit, in der die Demokratie angefochten wird und sich Antisemitismus wieder unverhohlen zeigt, bleibt es unsere Verantwortung, die jüdische Gemeinschaft in unserem Land nie wieder im Stich zu lassen.«
Eine »der stärksten Stimmen unserer Zeit«
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bezeichnete Friedländer auf X als eine »der stärksten Stimmen unserer Zeit«. Sie sei für ein friedliches Miteinander, gegen Antisemitismus und Vergessen eingetreten. Merz: »Sie hat uns ihre Geschichte anvertraut. Es ist unsere Aufgabe und unsere Pflicht, sie weiterzutragen. Wir trauern mit ihrer Familie und Freunden.«
Sein Amtsvorgänger Olaf Scholz (SPD) erklärte, Friedländers Tod berühre ihn sehr. »Wir verlieren eine starke Frau, eine Kämpferin für Menschlichkeit«, betonte Scholz. Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte der »Bild«-Zeitung: »Wir können gar nicht dankbar genug sein, dass Margot Friedländer die Kraft fand, von ihrer Leidens- und Lebensgeschichte zu erzählen.«
Friedländer habe das getan, weil sie überzeugt gewesen sei, »dass es von überragender Bedeutung war und ist, gerade junge Menschen dafür zu gewinnen, sich entschieden gegen Ausgrenzung, Abwertung, Rassismus, Antisemitismus und jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu wenden«. Kein Satz könne dieses Vermächtnis eindrucksvoller vermitteln als Margot Friedländers Mahnung: »Seid Menschen«.
» ›Seid Menschen!‹ – mit dieser schlichten, aber eindringlichen Botschaft verdichtete sich ihre Lebensweisheit, gewonnen im Angesicht von Unmenschlichkeit.«
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte sich in »Bild«: »Diese zierliche Person war eine der größten Deutschen der vergangenen 100 Jahre.« Friedländer verkörpere für Deutschland »Schuld, Vergebung und Verpflichtung zugleich«.
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner betonte, Friedländer habe ihre Erinnerungen als einen Auftrag für die Zukunft verstanden: » ›Seid Menschen!‹ – mit dieser schlichten, aber eindringlichen Botschaft verdichtete sich ihre Lebensweisheit, gewonnen im Angesicht von Unmenschlichkeit«, so Klöckner. Sie kündigte an, zu Beginn der kommenden Sitzungswoche im Bundestag für die Abgeordneten ein Kondolenzbuch auslegen zu lassen. Damit wolle der Bundestag seinen Respekt und seine Dankbarkeit gegenüber Margot Friedländer bekunden.
»Großes Geschenk für unser Land«
Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) betonte, »sie war eine Stimme, die uns immer wieder ermahnt hat, was wirklich zählt: Menschlichkeit«. Gerade in Zeiten, in denen Hass und Hetze wieder stärker in die Gesellschaft einsickerten, sei ihre Erinnerung und ihre Stärke ein großes Geschenk für unser Land, sagte Klingbeil der »Rheinischen Post« (Samstag). »Trotz aller Grausamkeiten, die sie selbst erleben musste, hat sie so vielen Menschen Hoffnung geschenkt.«
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) würdigte Friedländer als »überragende Persönlichkeit und bis zuletzt eine unermüdliche Mahnerin gegen das Vergessen«. Ihre Stimme für Demokratie und gegen Antisemitismus und Ausgrenzung werde sehr fehlen.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hob vor allem Friedländers Engagement zur Aufklärung von Jugendlichen hervor. »Viele, gerade junge Menschen, die ihr begegnet sind, waren berührt von ihrer Warmherzigkeit und Güte und bewegt von ihrer Lebensgeschichte und ihrem Appell, nie wieder geschehen zu lassen, was sie erleben musste.« Die deutsche Gesellschaft habe der Verstorbenen viel zu verdanken. »Mit Margot Friedländer ist nicht nur eine wichtige Stimme einer Überlebenden des Holocaust für immer verstummt, sondern auch einer leidenschaftlichen Botschafterin für demokratische Werte.«
Ähnlich äußerte sich Weimars Amtsvorgängerin, die Grünen-Politikerin Claudia Roth. Auf Instagram betonte sie, Friedländers Wärme und Klarheit im Einsatz gegen das Vergessen hätten sie tief bewegt und geprägt. Ihr Tod sei ein tiefer Verlust, ihr Vermächtnis aber bleibe.
»Den Glauben an eine gerechte, friedliche Welt niemals aufgegeben«
Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat mit bewegenden Worten auf den Tod der Holocaust-Überlebenden und Zeitzeugin Margot Friedländer reagiert. »Margot Friedländer hat das Menschsein zu ihrem zentralen Anliegen gemacht. Sie war nicht nur eine mahnende Stimme unserer Zeit, sondern besaß auch die Gabe, stets das Beste in ihrem Gegenüber zu sehen«, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster.
»Eine Gesellschaft ohne sie ist für mich kaum vorstellbar«, betonte Schuster. Margot Friedländers Tod zeige allen die Vergänglichkeit der Erinnerung; ihr Tod verweise auf die große Verantwortung, die alle gegenüber dieser mutigen und starken Frau und ihrer ganzen Generation haben. »Margot Friedländer hat den Glauben an eine gerechte, friedliche Welt niemals aufgegeben. Ehren wir sie, indem wir diesen Glauben weitertragen.«
Charlotte Knobloch, ebenfalls Holocaust-Überlebende und Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, erinnerte anlässlich Friedländers Tod auch daran, dass die Zeit näher komme, in der es keine Zeitzeugen der Schoa mehr gebe. Dabei sei Erinnerung wichtiger denn je. »80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus sitzt eine rechtsextreme Partei als zweitstärkste Kraft im Deutschen Bundestag. Margot Friedländers zutiefst menschliches Vermächtnis bleibt – wir müssen es weitertragen.«
Der Geschäftsführer des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, erklärte, mit ihrer »leisen und klaren Botschaft der Erinnerung und der Menschenliebe, ihrer Würde und ihrer Präsenz« habe Margot Friedländer viele Menschen berührt. Zugleich habe sie damit »immer wieder die Dunkelheit und die Dummheit des rechtsextremen und antisemitischen Hasses« überstrahlt. dpa/epd/kna/ja