Frau Bronsky, in Ihrem neuen Buch »Baba Dunjas letzte Liebe« haben Sie sich einer alten Frau zugewendet, die in ihr verseuchtes Heimatdorf nach Tschernobyl zurückkehrt. Wie hoffen Sie, im Alter zu leben?
Das ist keine einfache Frage, die mich durchaus beschäftigt. Ich denke dabei gar nicht an äußere Umstände, wo ich dann zum Beispiel gern wohnen würde, sondern an einen Gefühlszustand. Der darf ruhig nah an dem von Baba Dunja in meinem Buch dran sein. Eine gewisse Gelassenheit, Vertrauen in eine bestimmte höhere Ordnung, die gut ist.
Ihre Romanheldin Baba Dunja ist fürsorglich und sensibel, hat einen starken Charakter. Andererseits kann sie auch schrullig und sogar gewalttätig sein.
Da muss ich sie verteidigen, denn ich finde nicht, dass sie gewalttätig ist. Es gibt eine Situation, in der sie in Notwehr handelt. Aber eigentlich ist sie sanft und zurückhaltend. Sie wendet sich aber nicht ab, wenn sie Grausamkeiten sieht, weil sie bereits viel erlebt hat und einen nüchternen Blick auf die Welt hat.
Baba Dunja geht in ihr Dorf zurück, das sie nach dem Reaktorunfall verlassen musste. Sie ernährt sich von Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten und führt ein autarkes Leben. Wie sind Sie darauf gekommen?
Es gab mehrere Ausgangspunkte. Der eine war, dass ich mich mit dem hohen Alter beschäftigt habe. Was wünschen wir uns? Warum ruft das Alter solche Ängste hervor? Parallel stieß ich auf Berichte über Tschernobyl, sah Bildreportagen. Unter anderem auch über die Heimkehrer, die in ihre verseuchte Heimat und ihre alten Häuser zurückkamen.
Obwohl Sie nicht da waren, beschreiben Sie die dörfliche Gegend sehr detailliert.
Ich hatte nie vor hinzufahren. Das finde ich in meinem Fall nicht wichtig, weil ich keine Reportagen schreibe. Ich wollte die Situation natürlich trotzdem glaubhaft darstellen. Deshalb habe ich viel darüber recherchiert, gelesen und Filme geguckt.
Sie kommen selbst aus Jekaterinburg im Ural. Sie haben einmal gesagt, dass dort der Reaktorunfall kein großes Thema gewesen sei
Ja, ich konnte mich nicht mehr daran erinnern und weiß gar nicht, woher dieser blinde Fleck kommt. Vielleicht habe ich es als Kind ignoriert oder verdrängt. Es existierte in der Sowjetunion natürlich auch nicht die mediale Öffentlichkeit, wie man sie heute kennt. Mit Katastrophen im eigenen Land ging man, wie es so schön heißt, diskret um. Demzufolge ersparte es einem manche schlaflose Nacht – ohne das jetzt in irgendeiner Form gutzuheißen.
Mit 13 Jahren sind Sie nach Deutschland gekommen und kannten die Sprache nicht. Wenige Jahre später haben Sie als Journalistin beim »Darmstädter Echo« gearbeitet. Wie haben Sie das geschafft?
Ich habe mich als Schülerin bei der Zeitung beworben und als freie Mitarbeiterin aus der tiefsten Provinz geschrieben. Es war aber keine außerordentliche Leistung.
Immerhin haben Sie ziemlich schnell Deutsch gelernt.
Ich war in einem Alter, in dem das noch ging. Viele Austauschschüler kommen heute auch nach einem Jahr aus dem Ausland zurück und sprechen die neue Sprache sehr gut. Das gelingt also auch anderen. Ich hatte Interesse an dieser Arbeit. Damals hatte mich frustriert, dass in Deutschland der Werdegang so reglementiert ist. Man muss Abitur machen, studieren, lange lernen, sich prüfen lassen, bis man endlich etwas gestalten darf. Für mich als Teenie war es also eine reizvolle Möglichkeit, überhaupt in die Berufswelt einzusteigen und eigenes Geld zu verdienen. Aufträge zu bekommen, und dann wartet jemand auf den Text – das war ein reizvoller Kontrast zu meiner Schülerrolle.
Was reizt Sie am Bücherschreiben?
Eigentlich gar nichts.
Es ist ja ein ziemlich einsamer Job ...
Das sowieso. Wenn ich gefragt werde, was machen Sie, wenn Sie mal nicht schreiben wollen, sage ich: Dann schreibe ich einfach nicht. Ich bin zu dieser Tätigkeit nicht verpflichtet, wenn nicht gerade eine Deadline wartet.
Also nicht wie Thomas Mann, der einen festen Arbeitsablauf hatte?
Wenn eine Abgabefrist wartet oder es mich gepackt hat, dann nutze ich jede freie Minute, oder wenn eine Geschichte da ist, und ich spüre, sie lässt mir keine Ruhe, bis ich sie aufschreibe. Sie ist dann permanent in meinem Hinterkopf. Um das zu beenden, muss ich mich hinsetzen und sie aufschreiben.
Sie haben Kinder zwischen zwei und 16 Jahren. Wo finden Sie Zeit und Ruhe?
Meistens gar nicht. Vor der Geburt meiner jüngsten Tochter war das noch anders. Da gingen meine drei Großen in die Schule, dann hatte ich vormittags Zeit. Im Moment stelle ich mir den Wecker auf sechs Uhr, auch am Wochenende. Dann habe ich etwas Zeit, während alle noch schlafen.
Noch einmal zu Ihrer Romanheldin Baba Dunja, für die Heimat wichtig zu sein scheint und die in ihr Haus zurückkehrt. Teilen Sie Ihre Meinung?
Ein wenig beneide ich sie um dieses Gefühl. Der Ort meiner Kindheit ist längst nicht mehr mein Zuhause. Ich war da auch lange nicht mehr. Der große Wohnblock, in dem wir früher gelebt haben, würde mich heute wohl eher verstören. Deswegen setze ich mich dem gar nicht aus. Ich wende mich lieber neuen Orten zu. Es gibt so viele spannende Länder – und man schafft es sowieso nicht, sie alle kennenzulernen.
Sitzen Sie bereits an Ihrem nächsten Buch?
Ich arbeite gerade mit einer Freundin zusammen an einem Sachbuch mit recht provokantem Inhalt. Mehr darf ich dazu allerdings noch nicht verraten.
Mit der Autorin sprach Christine Schmitt.
Weitere Infos zum Buch:
www.kiwi-verlag.de