Literatur

»Ich schreibe nicht über mich selbst«

Zeruya Shalev Foto: Heike Steinweg

Frau Shalev, gerade ist Ihr neuer Roman »Schmerz« auf Deutsch erschienen. Der deutsche Buchmarkt ist international einer Ihrer erfolgreichsten – woran liegt das?
Es ist immer eine Frage des Glücks und zufälliger Umstände. Der Zufall bestimmt, ob man bei einem Terroranschlag verletzt wird – aber auch den Erfolg. Für mich begann der dramatische Durchbruch in Deutschland, als Marcel Reich-Ranicki im »Literarischen Quartett« mein erstes Buch »Liebesleben« besprach. Aber ich glaube, dass meine Bücher auch deshalb populär sind, weil sie direkt ins Herz gehen und sich Menschen auf der ganzen Welt für intime Themen interessieren. Ohne dass ich es beabsichtigt hätte, spiegeln meine Bücher das Leben vieler Menschen wider.

»Schmerz« wird als Ihr persönlichstes Buch beschrieben. Sehen Sie das auch so?
Nein, eigentlich nicht. Zwar wurde auch Iris, die Heldin des Buchs, bei einem Anschlag verletzt – so wie ich 2004 in Jerusalem. Aber ich habe nicht über mich selbst geschrieben und auch nicht zu therapeutischen Zwecken. Ich wollte einfach beschreiben, wie eine israelische Familie ein solches Ereignis bewältigt, das einerseits eine nationale Angelegenheit und andererseits sehr privat ist. Das ist auch in meinen anderen Büchern so: Ich vermische das Persönliche mit dem Nicht-Persönlichen. In meinem vorletzten Buch »Für den Rest des Lebens« habe ich über Adoption geschrieben. Ich habe zwar selbst ein Kind adoptiert, aber meine Hauptfigur hatte ganz andere Motive.

Ihre neue Hauptfigur Iris leidet noch viele Jahre nach dem Anschlag an den Folgen ihrer Verletzung. Ist das bei Ihnen ähnlich?

Iris’ Verletzung ist wesentlich schwerer als meine eigene. Wenn ich viel laufe oder das Wetter wechselt, dann spüre ich mein Knie. Aber im Allgemeinen leide ich viel weniger als sie. Überhaupt ist Iris ganz anders als ich: Sie funktioniert ausgezeichnet, sie ist nicht neurotisch, sie sucht keine Abenteuer. Sie ist ein bisschen wie die alten Jeckes in Israel: Sie unterdrückt ihren Schmerz. Alles, was ihr passiert, hängt nur damit zusammen, dass sie ihre Jugendliebe wiedertrifft. Andernfalls wäre sie nicht in diesen emotionalen Taumel geraten.

In Ihren Büchern geht es kaum um Politik, aber Sie haben sich in mehreren Frauenorganisationen für den Frieden engagiert ...
Ja, ich war aktiv bei »Machsom Watch« und habe Checkpoints der israelischen Armee im Westjordanland beobachtet. Jetzt habe ich mich einer Frauenbewegung angeschlossen, die sich vor einem Jahr, nach dem Gaza-Krieg im Sommer, gegründet hat: »Women wage peace«. In diesem Sommer haben wir ein Zelt vor dem Amtssitz von Benjamin Netanjahu aufgestellt, um Druck auf ihn auszuüben und ihn dazu zu bringen, die Gespräche mit den Palästinensern wiederaufzunehmen. Was man in Europa aber nicht versteht: Viele der Probleme auf dem Weg zu einem Abkommen haben mit echten Sicherheitsfragen zu tun. Ich bin definitiv für einen palästinensischen Staat, aber andererseits kann sich ein solcher Staat leicht in eine IS-Hochburg verwandeln.

Wie erleben Sie die Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland?
Angela Merkel hat einen sehr humanen und mutigen Schritt unternommen. Für Deutschland ist das eine Möglichkeit, die Vergangenheit zu überwinden. Aber der Westen hat lange ignoriert, was in Syrien passiert. Man hätte diese schreckliche Situation verhindern können, und es ist auch jetzt noch nicht zu spät, einzugreifen. Ich denke, langfristig ist es am sinnvollsten, diesen Krieg zu beenden und die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückzubringen. Der Westen beschäftigt sich mit jedem kleinsten Aspekt des Konflikts zwischen uns und den Palästinensern, aber wenn in Syrien Hunderttausende Frauen und Kinder abgeschlachtet werden, kümmert sich niemand darum.

Das Gespräch führte Ayala Goldmann.

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