Musik

»Ich habe vor, für immer zu leben«

Leonard Cohen (1934–2016) Foto: imago/ZUMA Press

Musik

»Ich habe vor, für immer zu leben«

Leonard Cohens postum veröffentlichtes Album »Thanks for the Dance« ist mehr als nur sein musikalisches Vermächtnis

von Jascha Nemtsov  09.01.2020 12:01 Uhr

»Kürzlich habe ich behauptet, ich sei bereit zu sterben. Ich glaube, ich habe übertrieben – ich habe mich immer selbst dramatisiert. Ich habe vor, für immer zu leben«, so Leonard Cohens legendäre Worte bei der Präsentation seines Albums You Want It Darker Ende Oktober 2016, nur wenige Tage vor seinem Tod. »Ich hoffe, dass es – so Gott will – vielleicht noch für ein weiteres Album reicht«, fügte er hinzu. »Aber man kann es nie wissen.«

Er war dann nicht mehr in der Lage, ein neues Album vorzubereiten, wegen starker Schmerzen konnte er kaum noch das Haus verlassen. In seinem Wohnzimmer wurden jedoch noch einige Aufnahmen gemacht: Cohens letzte Texte sollten mit seiner Stimme für die Nachwelt erhalten bleiben. Drei Jahre nach seinem Tod ist dieses Album nun unter dem Titel Thanks for the Dance erschienen, produziert wurde es von seinem Sohn Adam, der sich dabei erneut – wie schon bei You Want It Darker – als kongenialer Mitarbeiter seines Vaters erwies.

lebenswerk Vieles verbindet diese beiden Alben. Zusammen sind sie ein würdiger Abschluss von Cohens Lebenswerk, »die Abrechnungen der Seele«, wie es im Stück »The Goal« heißt. Die Songs von Thanks for the Dance sind dabei noch aufwändiger produziert – mehr als 40 Musiker und zwei Chöre waren insgesamt daran beteiligt. Im Vordergrund stehen jedoch – auch wenn die Musik mit viel Liebe, Können und Raffinesse gestaltet ist – stets Leonard Cohens großartige Texte. Cohen ist vor allem ein großer Dichter, neben Bob Dylan vielleicht einer der bedeutendsten Dichter der US-Literatur der Gegenwart.

Die Songs klingen wie eine natürliche und selbstverständliche Art der Lesung, oft an der Grenze zum Sprechgesang.

Die Songs klingen wie eine natürliche und selbstverständliche Art der Lesung, oft an der Grenze zum Sprechgesang, sie entstehen gleichsam aus dem inneren Rhythmus der Texte und der wortimmanenten Melodie. Im letzten Song, »Listen to the Hummingbird«, werden die Worte gar nur noch rhythmisch rezitiert – als ob hier, ganz am Schluss, die Poesie wieder zu sich selbst zurückkehrt.

Wie bereits im Titelsong des Albums You Want It Darker ist in »Puppets« aus dem neuen Album der Männerchor von Cohens Montrealer Synagoge »Shaar Hashomayim« beteiligt. Es ist kein äußerliches Detail, sondern ein Ausdruck innigster Verbundenheit. Das Judentum spielt in Cohens Werk eine besondere Rolle: Es ist seine geistige Heimat, ein Zuhause, zu dem er immer wieder zurückkehrte.

identität Beginnend spätestens mit der »Story Of Isaac« von 1969 durchdringen jüdische Bilder und Motive Cohens Schaffen. Sein Judentum musste er weder erkämpfen noch dagegen ankämpfen, es war ein natürlicher Teil seiner Identität, wie es nur bei wenigen großen jüdischen Künstlern der Fall war. Unvergessen ist der priesterliche Segen, den Cohen, aus einer Kohanim-Familie stammend, 2009 den mehr als 50.000 Besuchern seines Konzerts in Tel Aviv spendete. Ebenso unvergessen sind seine Songs wie »Who by Fire«, eine persönliche Version des Jom-Kippur-Gebets »Unetaneh tokef«, oder das berühmte »Hallelujah«.

Solche Texte sollten – auch das gehört zu Leonard Cohens Vermächtnis – genauso wie Werke Kafkas oder Celans als jüdische Dichtung gelesen werden.

Viele seiner Songs sind ohne ihre jüdischen Bezüge gar nicht in ihrer Tiefe zu erfassen. Auf dem neuen Album gehört nicht nur »Puppets« mit dem Thema Schoa dazu, sondern auch Stücke, in denen das Jüdische nicht offen benannt wird, darunter »It’s torn«, das ans jüdische Motiv der zerrissenen Kleidung aus dem Trauerritual anknüpft und es zur Vision einer zerrissenen Welt entwickelt.

Dabei werden Zitate wie etwa aus dem Psalm 22 – »Warum hast du uns verlassen?« – oder aus dem Amida-Gebet – »Komm und sammle die verstreuten und verlorenen Teile« – mit biblischen Bildern kombiniert. Solche Texte sollten – auch das gehört zu Leonard Cohens Vermächtnis – genauso wie Werke Kafkas oder Celans als jüdische Dichtung gelesen werden.

Leonard Cohen: »Thanks for the Dance«. Sony 2019

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025