Baukunst

Hommage an das Kollektiv

Manche Nationen geben sich pompös bei der Architekturbiennale in Venedig, die noch bis zum 21. November ihre Pforten geöffnet hat. Ägypten etwa präsentiert sich ganz in Gold. Deutschland setzt auf große Emotionen und widmet sich dem Thema »Sehnsucht«. Nüchtern wirkt, damit verglichen, der israelische Beitrag »Kibbuz – eine Architektur ohne Vorläufer«.

Die Kollektivsiedlungen feiern in diesem Jahr ihren hundertsten Geburtstag. Sie sollten nach dem Willen ihrer Gründer eine neue Gesellschaft aus neuen Menschen schaffen. Dazu bedürfe es auch einer neuen Bausprache, deren wichtigstes Prinzip die Kooperation sei, postulierten Kibbuzarchitekten wie Richard Kauffmann und Samuel Bickels. Letzterer war es auch, der den Kibbuz als neue Form ohne architektonische Vorläufer bezeichnete. Die Baustruktur der Siedlungen müsse gesellschaftliche Organisation und Werte reflektieren.

papierhügel Wie dieser Anspruch umgesetzt wurde, kann man jetzt in dem 1952 von Zeev Rechter entworfenen trapezförmigen israelischen Pavillon in Venedig besichtigen. Den Besucher empfängt ein Dokumentarfilm von Amos Gitai, den der Regisseur seinem Vater gewidmet hat, dem Architekten Munio Gitai Weinraub. Verteilt auf dem Boden liegen hier und in den anderen Räumen Papierklötze. Kleinen Hügeln gleich, ähneln die Stapel einer Landschaft und verwandeln den Pavillon in ein weites Feld voller kleiner informativer Inseln. Das Biennale-Motto »Menschen treffen Architektur«, das die Star-Architektin Kazuyo Sejima ausgerufen hat, haben die Kuratoren Galia Bar-Or und Yuval Yaski wörtlich genommen: Man kann sich DIN-A4-Fotografien und Baupläne abreißen und so ein kleines Stück Kibbuz mitnehmen.

Beim Gang durch die zweite und dritte Ebene erschließt sich dem Besucher die architektonische Herausforderung der Kibbuz-Planung. Texte und Grundrisse helfen, die Prinzipien der Architekten zu verstehen. Man erfährt hier auch vom Gegeneinander zweier ideologischer Richtungen im Siedlungsbau: Theodor Herzls Orientierung an den Städten wird David Ben Gurions Weiterentwicklung des ländlichen Raums gegenübergestellt. Historische Impressionen aus dem Kibbuz-Alltag sind daneben zu sehen: Ansichten von Wohnräumen der 50er-Jahre, SchwarzWeiß-Fotografien von Festen, Versammlungen, junge Menschen beim Frühsport oder im Speisesaal.

Eine Fotografie zeigt den Empfang einer Gruppe von Jugendlichen aus Deutschland in Ein Harod 1934. Auf Flachbildschirmen werden historische Filmdokumente und Zeitzeugeninterviews gezeigt. Das Material stammt aus Kibbuz-Archiven, unter anderem denen von Gan Shmuel und Givat Brenner.

zukunft Seit 1910 wurden in Palästina Kibbuzim gebaut, Ende des 20. Jahrhunderts zählte die Bewegung 230.000 Mitglieder in 280 Siedlungen. Doch während bei der Staatsgründung noch etwa acht Prozent der Israelis in Kibbuzim lebten, sind es heute weniger als zwei Prozent der Bevölkerung. Sukzessiver Bedeutungsverlust oder radikaler Wandel?

»In gewissem Sinne beides«, sagt Galia Bar-Or. Als Nostalgieschau verstehe die Ausstellung sich aber dennoch nicht. »Die Idee war, keine Monumente zu zeigen, sondern eine Architektur, die zur Lebensform der Menschen beiträgt.« Bar-Or, die selbst im Kibbuz Ein Harod geboren wurde und dort heute das Kunstmuseum leitet, glaubt, dass die Kollektivsied lungen eine Zukunft haben. »Auch im dritten Jahrtausend ist der Kibbuz eine inspirierende Idee, auf die wir uns beziehen können, und eine Alternative zum Wohnen in den Vorstädten.«

Literatur

Ein Funke Hoffnung

Rafael Seligmann hält Deutschland derzeit nicht für den richtigen Ort einer Renaissance jüdischen Lebens. Trotzdem gibt er die Vision nicht auf. Ein Auszug aus dem neuen Buch unseres Autors

von Rafael Seligmann  15.09.2025

Los Angeles

»The Studio« räumt bei den Emmys 13-fach ab

Überraschende Sieger und politische Statements: Ausgerechnet eine jüdische Darstellerin ruft eine israelfeindliche Parole

von Christian Fahrenbach  15.09.2025

Freiburg im Breisgau

»Keine Schonzeit für Juden«: Neues Buch von Rafael Seligmann

Antisemitismus, der 7. Oktober 2023, ein Umzug von Tel Aviv nach München in den 1950er Jahren und ein bewegtes Leben: Der Historiker streift und vertieft in seinem aktuellen Werk viele Themen

von Leticia Witte  15.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  14.09.2025 Aktualisiert

Nach Antisemitismus-Eklat

Lahav Shani wird im Ruhrgebiet begeistert empfangen

Den Auftritt in Essen besuchte auch Belgiens Premier Bart De Wever

 14.09.2025 Aktualisiert

Aufgegabelt

»Schnitzel« aus dem AirFryer

Rezepte und Leckeres

 13.09.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.09.2025

Ernährung

Kein Gramm weniger, aber trotzdem gesünder

Wie eine Studie dazu beiträgt, den Erfolg einer Diät nicht nur anhand des Gewichts auf der Waage zu bewerten

von Sabine Brandes  13.09.2025

Kulturkolumne

Immer diese verflixten Zahlen

Wann war Puschkins Geburtsjahr? Und welche historischen Ereignisse können wir nicht vergessen?

von Maria Ossowski  13.09.2025