Analyse

Happy Hour

Zusammensein: Familie und Freunde tragen entscheidend zum Glücksempfinden bei. Foto: Flash90

Auf dem Siegertreppchen tummeln sich stets dieselben Kandidaten. Wenn es um die glücklichsten Menschen auf der Welt geht, dann zählen die Skandinavier, die Niederlande, Island oder die Schweiz in dem seit 2012 jährlich vom UN-Netzwerk zur nachhaltigen Entwicklung veröffentlichten »World Happiness Report« traditionell zur Spitzengruppe.

Auffällig dabei ist die Tatsache, dass ausgerechnet Finnland schon zum fünften Mal in Folge Platz eins belegt – schließlich sind die Finnen nicht gerade für Savoir-vivre bekannt, sondern stehen eher im Ruf, Melancholiker zu sein. Wer Beweise dafür sucht, muss sich nur einige Filme von Aki Kaurismäki anschauen oder den Winter im finsteren Helsinki verbringen.

Grundlage für das Ranking ist ein komplexes Bewertungssystem.


Neu in der Top Ten dagegen ist ein Land zu finden, dass manche vielleicht nicht so schnell auf dem Radar hatten: Israel. Der jüdische Staat liegt nun auf Rang neun und damit noch vor Neuseeland, Österreich oder Australien. Zum Vergleich: Deutschland rangiert auf dem 14. Platz, knapp vor Kanada und den Vereinigten Staaten. Die letzten Plätze, 144 bis 146, teilen sich Zimbabwe, der Libanon und Afghanistan.

DATEN Grundlage für das Ranking ist ein recht komplexes Bewertungssystem, das unter anderem Angaben zur »subjektiven Selbstwahrnehmung der eigenen Existenz« sowie »positive und negative Emotionen« erfasst und in ein Verhältnis setzt mit makroökonomischen Zahlen oder der Lebenserwartung. Ermittelt und ausgewertet werden die Daten dann zumeist von Wissenschaftlern des renommierten Meinungsforschungsinstituts Gallup in den USA.

Der Aufstieg Israels um drei Plätze in die Top Ten mag auf den ersten Blick irritieren. Das Land befindet sich in einer konfliktträchtigen Region, und auch im Innern gibt es gesellschaftliche Konflikte. Das System der sozialen Sicherung ist defizitär, außerdem klafft in kaum einem anderen entwickelten Land die Schere zwischen Arm und Reich so auseinander wie in Israel. All diese Gründe lassen eher eine wenig glückliche Bevölkerung vermuten. Doch weit gefehlt. Wie ist also Israels gutes Abschneiden zu erklären?

Manche Experten sind davon wenig überrascht und glauben sogar, dass Israel das Potenzial hat, in den kommenden Ausgaben des »World Happiness Report« noch weiter nach oben zu rücken, so zum Beispiel Tal Ben-Shahar. »Das wichtigste Merkmal glücklicher Länder ist ein sehr starkes soziales Netz, in dem man viel Unterstützung durch Familie und Freunde erfährt«, sagte der Professor für Positive Psychologie, der unter anderem in Harvard lehrt, der »Jüdischen Allgemeinen«. Und genau das sei die große Stärke der israelischen Gesellschaft, die viele andere Defizite wieder wettmachen würde. »Oder wie der britische Philosoph Francis Bacon einmal sagte: Freundschaft verdoppelt die Freude und halbiert den Kummer.«

SOLIDARITÄT Aber es gibt auch historische Gründe. Mehrfach wurde der jüdische Staat seit seiner Gründung mit Terror und Krieg konfrontiert, und durch Jahrhunderte hinweg waren Juden oft Opfer von Verfolgung. Das habe ein ganz besonderes Gefühl von Solidarität hervorgebracht. »In solch unsicheren Zeiten rücken die Menschen zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen«, glaubt Tal Ben-Shahar. »Genau das sowie die Tatsache, dass das jüdische Volk trotz aller widrigen Umstände bereits seit Jahrtausenden Bestand hat, erklärt die hohe Zufriedenheit der Israelis.«

Die israelischen Araber wurden in die Umfragen mit einbezogen.

Die Armee sei ein weiterer Faktor. Sie bringt die unterschiedlichsten Männer und Frauen zusammen, egal ob im Land Geborene oder Neueinwanderer. Dadurch erfahren viele Israelis ein Gefühl von Wertschätzung und Verbundenheit. Sogar in dem florierenden Hightech-Sektor erkennt Ben-Shahar eine Erklärung für das gute Abschneiden Israels im Ranking. »Es geht nicht nur um Beziehungen, sondern auch um das Gefühl von Sinn und Zweck.«

Richard Layard, ein britischer Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Parlamentsabgeordneter, der mehrere Bücher über Glück geschrieben hat und Mitherausgeber des »World Happiness Report« ist, kann das nur bestätigen. Er bezeichnet die »soziale Kohäsion« als Schlüssel für die hohe Lebenszufriedenheit der Israelis: »In gewissem Maße entstehen solche Gefühle von Gemeinschaft, wenn man von außen bedroht wird.«

Zwar gebe es andere Staaten, vor allem in Lateinamerika, wo das Phänomen starker familiärer und freundschaftlicher Beziehungen sehr verbreitet ist. Doch weil Israel zudem einen hohen Lebensstandard und im Jahr 2020 ein Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt von fast 44.000 Dollar aufwies, was mehr als dem Dreifachen der am weitesten entwickelten Volkswirtschaften in Lateinamerika entspricht, landete man im Unterschied zu diesen eben in den oberen Rängen.

AUTOKRATEN Interessant ist ebenfalls die Tatsache, dass die israelischen Araber in den Umfragen mit einbezogen wurden. Wer dagegen im Machtbereich der Autokraten von der Autonomiebehörde oder im Gazastreifen lebt, kann nicht von sich behaupten, sonderlich glücklich zu sein, weshalb die Palästinensergebiete sich weit unten auf Platz 122 befinden.

»Der World Happiness Report 2022 zeigt ein helles Licht in dunklen Zeiten«, betonen seine Autoren. »Die Pandemie brachte nicht nur Schmerz und Leid, sondern auch eine Welle der Solidarität und Empathie. Während wir die Krankheit und Kriege zu bekämpfen versuchen, ist es wichtig, sich an den universellen Wunsch nach Glück zu erinnern und an die Fähigkeit der Menschen, sich in Zeiten großer Not gegenseitig zu unterstützen.« Genau diese Kompetenzen scheinen in Israel besonders ausgeprägt zu sein. Und das macht Menschen eben glücklich.

Aufgegabelt

Linsenpfannkuchen von König David

Rezept der Woche

von Jalil Dabit, Oz Ben David  22.11.2025

TV-Tipp

TV-Premiere: So entstand Claude Lanzmanns epochaler Film »Shoah«

Eine sehenswerte Arte-Dokumentation erinnert an die bedrückenden Dreharbeiten zu Claude Lanzmanns Holocaust-Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam

von Manfred Riepe  21.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  21.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  21.11.2025

TV-Kritik

Allzu glatt

»Denken ist gefährlich«, so heißt eine neue Doku über Hannah Arendt auf Deutsch. Aber Fernsehen, könnte man ergänzen, macht es bequem - zu bequem. Der Film erklärt mehr als dass er zu begeistern vermag

von Ulrich Kriest  21.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Bettina Piper, Imanuel Marcus  21.11.2025

Kino

»Fast ein Wunder«

Das israelische Filmfestival »Seret« eröffnete in Berlin mit dem Kassenschlager »Cabaret Total« von Roy Assaf

von Ayala Goldmann  20.11.2025