Mediathek

Gruppenbild mit Täter

Nicht wegsehen! Das ist das Letzte, was Elisabeth ihrem Neffen Kurt noch zurufen kann, bevor sie in die Nazipsychiatrie verschleppt wird. Das Bild brennt sich in die Erinnerung des jungen Malers ein. Doch der sozialistische Realismus, dem der talentierte Künstler später in der DDR verpflichtet ist, bietet keinen Raum, um das furchtbare Erlebnis ästhetisch umzusetzen.

Nach seiner Flucht in den Westen stehen Kurt alle Möglichkeiten offen – dennoch brütet er eine gefühlte Ewigkeit vor der weißen Leinwand. Erst die schmerzliche Rückbesinnung auf das Schicksal der Tante bringt die ersehnte Inspiration.

geschichte Kunst, Faschismus, Sozialismus, junge BRD: Mit diesem Themenkomplex greift Florian Henckel von Donnersmarck auf das bewährte Sujet deutscher Geschichte zurück, das ihm mit Das Leben der Anderen den Oscar einbrachte. Werk ohne Autor stützt sich auf Jürgen Schreibers Biografie über den berühmten Maler Gerhard Richter.

Hinter dessen Gemälde Tante Marianne, so fand der Reporter heraus, verbirgt sich eine erschütternde Geschichte. Nachdem ein NS-Psychiater bei der labilen Frau Schizophrenie diagnostiziert hatte, galt ihr Leben als »unwert«. Sie wurde zwangssterilisiert und im Februar 1945 ermordet.

Für diese Tat war Richters Schwiegervater Heinrich Eufinger, der als Nazigynäkologe 900 Zwangssterilisationen vorgenommen hatte, zwar nicht verantwortlich. Dennoch verdichten sich Richters Familiengeschichte und seine Kunst zu einem gespenstischen Gruppenbild mit Täter.

recherchen Im Film heißt der Maler Kurt Barnert – aber es ist überdeutlich, dass es hier um ein Richter-Biopic geht. Auf der Grundlage von Schreibers Recherchen rekonstruiert von Donnersmarck die Entstehungsgeschichte des Gemäldes Tante Marianne, eine unbekannte Grisaille-Arbeit, die 1965 gerade mal 1000 Mark einbrachte – und durch die Veröffentlichung von Schreibers Recherchen für zwei Millionen Euro versteigert wurde.

Dass der Film gerade diesen medialen Hype verschweigt, bei dem Kunst zum Spekulationsobjekt wird, ist problematisch. Immerhin spannt er einen weiten Bogen, der drei deutsche Staaten umfasst und deren unterschiedliche Ästhetiken thematisiert. Werk ohne Autor beginnt mit einem Rundgang durch die »Entartete Kunst«-Ausstellung in Dresden, deren Verdammung der Moderne ein gespenstisches Echo findet im sozialistischen Realismus, an dem der junge Kurt sich als Kunststudent in der DDR abarbeitet.

Diese beiden Diskurse werden gespiegelt in einen bemerkenswerten Monolog von einem ­Joseph Beuys nachempfundenen Professor, der dem aus der DDR geflüchteten Kurt am Ende erzählt, wie er als abgeschossener Bomberpilot 1944 nur überlebte, weil er in Fett und Filz gewickelt wurde – seine späteren Werkstoffe.

Sittenbild Als kunstgeschichtliches Sittenbild setzt Florian Henckel von Donnersmarcks Film durchaus interessante Akzente. ­Seine Figuren überzeugen indes nur teilweise. Tom Schilling als Kurt nimmt man die Suche nach seiner ästhetischen Wahrheit ab. Sebastian Koch zeigt als eisiger Nazigynäkologe gar seine bislang beste Darstellung. Die weiblichen Charaktere dagegen sind ähnlich unglaubwürdig wie schon in Das Leben der Anderen.

In der Rolle der Tante Marianne etwa sitzt Saskia Rosendahl als überdrehte Frau nackt am Klavier und erblickt im zweifach gestrichenen A die Weltharmonie: eine Szene zum Fremdschämen. Und Paula Beer dient als Muse des Künstlers nur dazu, dekorative Sexszenen ins Bild zu setzen.

Gerhard Richter wird diesen Film wohl ebenso wenig mögen wie Schreibers Biografie, von der er sich distanzierte. Beide spiegeln Leben und Werk bruchlos ineinander. Dabei wusste der Künstler, als er seine Tante verewigte, von deren Qualen nur vage. Seine Kunst funktionierte – bis zum Erscheinen von Schreibers Biografie – unabhängig von diesem nachträglich entdeckten biografischen Hintergrund.

Puzzleteile Trotzdem erweckt der Film den Eindruck, als sei die künstlerische Eingebung der logische Endpunkt eines Prozesses, in dem biografische und ästhetische Puzzleteile sich auf magische Weise fügen. Der Regisseur erklärt uns, was der Künstler eigentlich sagen wollte. Und er spekuliert darauf, dass das Grauen der Gaskammer, das er kitschig ins Bild setzt, im Werk Richters zum Ausdruck kommt.

An dieser Abbild­logik scheitert der Film. Autos der Nazizeit sind blank gewienert wie aus dem Museum, die fotorealistische Ruinenlandschaft des zerbombten Dresden wirkt digital und steril. Ein Film, der großes Kino sein will, mit seiner dramaturgischen Konzeption aber oft auch ins Leere läuft.

Der Film läuft bis zum 9. Januar 2023 in der ARD-Mediathek.

Berlinale

Zurück auf Los

Das diesjährige Programm bietet tatsächlich mehr Ausgewogenheit. Einige Kino-Vorschläge zur Güte

von Sophie Albers Ben Chamo  12.02.2025

Hamburg

Wolf Biermann erhält Gema-Preis für sein Lebenswerk

Mit seinen Liedern und Gedichten prägte der Liedermacher die deutsch-deutsche Geschichte. Nun reiht sich eine weitere Auszeichnung in seine Sammlung ein - und der Hamburger reagiert gewohnt humorvoll

 12.02.2025

Berlin

Zwischen Glamour und Gaza: Die Berlinale zum Mitreden

Hollywoodstars wie Timothée Chalamet und Robert Pattinson kommen zu Deutschlands größtem Filmfestival. Auch sonst verspricht die Berlinale viel Gesprächsstoff - darunter politisch brisante Filme

von Sabrina Szameitat  12.02.2025

Film

Das Erbe des Rudolf Höß

Die Doku »Der Schatten des Kommandanten« ist eine wichtige Ergänzung zu Jonathan Glazers Spielfilm »The Zone Of Interest«

von Ayala Goldmann  12.02.2025 Aktualisiert

Berlinale

»Ich werde mich entschuldigen«

Die neue Berlinale-Chefin verspricht ein Filmfestival mit Haltung. Tricia Tuttle im Interview über den Skandal des vergangenen Jahres und Debattenkultur

von Sophie Albers Ben Chamo  11.02.2025

London

Harrison Ford darf in seinen Filmen selten Bart tragen

Er hat eines der bekanntesten Gesichter Hollywoods. Jetzt hat der jüdische Darsteller verraten, warum er meistens gut rasiert vor der Kamera steht

 11.02.2025

USA

»Ich liebe Hitler«: Kanye West verbreitet erneut Judenhass

Juden seien nicht vertrauenswürdig, schreibt der Musiker, dessen offizieller Name nun Ye lautet

 10.02.2025

Meinung

Antisemitismus an Kunsthochschulen: Eine Kultur des Wegschauens

Die Serie antisemitischer Vorfälle an Ausbildungsstätten für angehende Künstler reißt nicht ab. Warum sind die Hochschulen offenkundig außerstande, das Problem in den Griff zu kriegen?

von Klemens Elias Braun  10.02.2025

Sehen!

»Kleider machen Leute«

Im Staatstheater Cottbus wurde jetzt Alexander Zemlinskys Oper in der Fassung von 1913 uraufgeführt

von Maria Ossowski  10.02.2025