Berlin

Götz Aly: Kaum Parallelen zwischen 1933 und heute

Der Historiker Götz Aly Foto: picture alliance/dpa

Der Historiker Götz Aly sieht kaum Parallelen zwischen der Zerstörung der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 und heutigen Herausforderungen der deutschen Demokratie. »Ich erkenne wesentlich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten«, sagte Aly der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. 

»Wir haben intakte Verfassungsorgane - das kann man vom damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nicht sagen«, sagte Aly. Er veröffentlicht am Mittwoch das Buch »Wie konnte das geschehen? Deutschland 1933 bis 1945«.

Der vielfach ausgezeichnete Experte für die Geschichte des Nationalsozialismus ist optimistisch, dass sich die heutige deutsche Demokratie zu verteidigen wisse. »Ich sehe keinen Grund für Alarmismus«, sagte er. 

Einzelne Herrschaftsmethoden

»Ich finde es auch nicht in Ordnung, die AfD in die Nähe der NSDAP zu rücken. Ich kann nicht erkennen, dass in den auch mir unsympathischen Auftritten von Alice Weidel ein Goebbels oder Hitler durchschimmern würde - das waren ganz andere, völlig skrupellose Persönlichkeiten«, erläutert der renommierte Historiker. »Fraglos gibt es rassistische, auch gewaltbereite Gruppierungen innerhalb der AfD. Aber das gilt bislang nicht für die gesamte Partei. Außerdem haben wir heute keine Bürgerkriegssituation so wie 1931/32.«

Auch angesichts der beunruhigenden weltpolitischen Entwicklungen sollte man nicht reflexhaft »mahnend« auf den Nationalsozialismus verweisen, sagte Aly. Allerdings beobachte er immer wieder einzelne Herrschaftsmethoden, die ihn durchaus an die Nazi-Diktatur erinnerten. Dazu gehöre Putins Direktive, den Krieg gegen die Ukraine nur als »militärische Spezialoperation« zu bezeichnen. 

Schon Propaganda-Minister Joseph Goebbels habe nach dem Überfall auf Polen 1939 das Wort »Krieg« verboten, stattdessen musste die Presse von einem »Gegenangriff« schreiben. Im weiteren Verlauf des Krieges seien dann umgekehrt die Wörter »Frieden«, »Friedensinitiative« und »Friedenshoffnung« verboten worden.

Unterschätzte Rolle

Heutige autoritäre oder halb-autoritäre Regime verfolgten zudem häufig die Strategie, sich durch soziale Wohltaten des Rückhalts der Bevölkerung zu versichern. Das habe auch für die Nationalsozialisten eine zentrale und heute oft unterschätzte Rolle gespielt. 

So habe Hitler nach dem Stocken des Russland-Feldzugs im Herbst 1941 die Renten um durchschnittlich 15 Prozent erhöht und die Rentner in das Krankenkassensystem integriert - bis dahin verlor man mit Eintritt in die Rente den Versicherungsschutz. Solche sozialen Beruhigungsgeschenke seien feste Bestandteile der Politik von Viktor Orban in Ungarn, ebenso der früheren polnischen PiS-Regierung und aktuell in Putins Russland, sagte Aly.

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Imperialistische Aggressionspolitik

Gleichzeitig gelte aber: »All diese Vergleiche hinken. Weder Putin noch Orban noch Trump sind mit Hitler gleichzusetzen. Anders als dieser arbeitet Trump nicht auf einen von den USA zu führenden Eroberungskrieg hin.« Orban wiederum sehe sich selbst als Vermittler, sei es im Kontakt mit Putin oder dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. 

Putin betreibe zwar imperialistische Aggressionspolitik, doch könne diese bislang nicht mit der auf Massenmord ausgerichteten Kriegsführung Hitlers gleichgesetzt werden. 

Vorschnelle Gleichsetzungen seien generell nicht hilfreich, um aktuelle Entwicklungen zu verstehen, sagte Aly. Er selbst wolle mit seinem Buch vielmehr zeigen, wie sehr die nationalsozialistischen Führer Herrschaftsmethoden benutzten, die bekannt und weiterhin in Gebrauch seien.

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