Kunstmarkt

Göring und der Engel Raphael

Es ist ein Kunstkrimi. Und ein Politkrimi. Das Corpus Delicti: ein Gemälde, das geteilt und wieder zusammengefügt worden war. Das wichtigste Beweisstück: ein schwarzes Notizbuch. Die handelnden Personen: ein Museumsmann, ein jüdischer Kunsthändler, ein deutscher Geschäftemacher. In Nebenrollen: Göring und Hitler. Und nicht zu vergessen: ein Unrechtsstaat und ein Land, das seine moralischen Verpflichtungen hintanstellte, wenn es um wertvollen Museumsbesitz ging.

plünderung Die Geschichte beginnt irgendwann im 18. oder 19. Jahrhundert. Da wurde ein Gemälde von Jan Steen (ca. 1626–1679), wohl, weil es bei einem Brand beschädigt worden war, geteilt. 1907 kaufte Abraham Bredius, Direktor des Mauritshuis in Den Haag, eine der Tafeln mit einem Engel, der einen Drachen tötet. Nach dem Tod des Museumsmannes erwarb Den Haag seine umfangreiche Kunstsammlung und gründete damit das Bredius Museum. Der andere Teil mit einem knienden Brautpaar, dessen Bett Putti mit Blüten schmücken, gehörte dem Kunsthändler Jacques Goudstikker. 1919 hatte er mit 21 Jahren die 1845 gegründete Kunsthandlung der Familie in Amsterdam übernommen und zu einer weltweit geachteten Adresse für Altmeistergemälde ausgebaut.

Als die Wehrmacht am 10. Mai 1940 die Niederlande angriff, floh Goudstikker Richtung England. Doch bei der Überfahrt stürzte er nachts in eine offene Luke und starb. Seine Kunsthandlung, die er in der Hoffnung, damit eine Enteignung verhindern zu können, seinen Angestellten übertragen hatte, wurde schon im Juli 1940 »arisiert«. 2,55 Millionen Gulden zahlte Alois Miedl, deutscher Geschäftsmann und Repräsentant einer niederländischen Bank, für alle Immobilien und den reichen Kunstbesitz Goudstikkers, fast anderthalb Tausend Gemälde.

780 davon verkaufte er für zwei Millionen Gulden an Hermann Göring, zu dem er gute Beziehungen hatte. Göring wiederum behielt nur 300 der Bilder für sich, etwa 50 übergab er Hitler für dessen »Weltmuseum« in Linz. Den Rest ließ er wieder verkaufen. Miedl, der entdeckt hatte, wie lukrativ das Geschäft mit geplündertem jüdischen Kunstbesitz sein konnte, soll damals rund 5.000 Bilder verkauft haben.

»feindbesitz« Nach Kriegsende übergaben die Amerikaner der Regierung im Haag Hunderte von Kunstwerken aus niederländischen privaten Sammlungen und Museen, die in Deutschland gefunden worden waren. Soweit sich die ursprünglichen Eigentümer feststellen ließen, wurden sie denen zurückgegeben. Nicht jedoch die Goudstikker-Bilder. Weil Miedl Millionen gezahlt hatte, galten sie als sein Eigentum, das nun als Feindbesitz an den Staat fiel.

Goudstikkers Witwe, die in die USA emigriert war und dort 1950 den Anwalt Edward von Saher geheiratet hatte – dessen Name auch ihr Sohn Eduard annahm –, versuchte in mehreren Prozessen, die Entscheidung anzufechten. Zermürbt ließ sie sich schließlich 1952 auf einen Vergleich ein. Für den Gegenwert von 1,3 Millionen Gulden durfte sie 165 Gemälde und einige Immobilien »zurückkaufen«. Nur die Bilder, die Göring besessen hatte, blieben von diesem Vergleich ausgeschlossen. Dazu gehörte auch die Tafel von Jan Steen, die dem Centraal Museum in Utrecht übergeben worden war.

wiedervereinigung Dort entdeckte man 1965 beim Reinigen des Gemäldes in der rechten oberen Ecke unter einer Übermalung die Spitze eines Flügels. Und die gehörte offensichtlich dem Erzengel auf dem Bild im Bredius Museum. 1996 entschloss man sich deshalb, die beiden Teile zu restaurieren, sie wieder zusammenzufügen und oben den Streifen, um den die Tafel mit Raphael einst verkürzt worden war, anzustücken. Nun ließ sich auch das Thema des Gemäldes, über das es für die getrennten Teile widerstreitende kunsthistorische Deutungen gegeben hatte, erkennen.

Es ist die selten gemalte Geschichte der Hochzeit von Sarah und Tobias, wie sie im apokryphen Buch Tobit (oder Tobias) erzählt wird: Der junge Tobias kommt mit seinem Reisegefährten Raphael, den er nicht als Engel erkennt, nach Ekbatana. Dort begegnet er Sarah. Auf ihr lastete der Fluch, dass alle Männer, die sie heiraten wollten, immerhin sieben, vor der Hochzeitsnacht von dem Dämonen Aschmodei getötet wurden. Weil Tobias jedoch Raphaels Rat folgt, das Brautbett zu meiden und die Nacht mit Sarah im Gebet zu verbringen, ist der Dämon machtlos und kann von dem Erzengel getötet werden.

Nach 1998 drohte dem glücklich wiedervereinigten Trio Sarah, Tobias und Raphael erneut eine Trennung. Denn nach der »Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden« gewannen die Fragen der Enteignung wie der Zwangsverkäufe und die damit verbundene Restitution neues Gewicht. Marei von Saher, die Witwe des Goudstikker-Sohnes, der, wie seine Mutter, 1996 gestorben war, setzte seitdem alles daran, das Erbe zurückzugewinnen.

Sie beauftragte einen »Kunstdetektiv«, den Verbleib der Bilder zu eruieren. Dabei kam ihr zustatten, dass Jacques Goudstikker bei der Flucht ein kleines schwarzes Notizbuch mitgenommen hatte, in dem alphabetisch 1.113 Gemälde mit Titel, Format, Datum des Erwerbs und, verschlüsselt, mit dem Preis verzeichnet waren. Weil die Kunsthandlung wiederholt Kataloge mit Abbildungen gedruckt hatte, ließ sich mehr als die Hälfte der Werke identifizieren, auch wenn ihr Verbleib oft nicht geklärt werden konnte.

rückkauf Wo die Goudstikker-Provenienz unzweifelhaft feststand, haben Museen, unter anderem in Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Köln und Stuttgart, die Gemälde zurückerstattet. Die Niederlande zeigten sich zögerlicher. Erst 2006 war man dort nach langen Auseinandersetzungen bereit, 202 Goudstikker-Gemälde, die 17 Museen übergeben worden waren, zu restituieren. Vier davon kaufte der Staat für knapp drei Millionen Euro zurück.

Von den übrigen gab Marei von Saher 128 zur Auktion. Davon konnte Christie’s in drei Versteigerungen lediglich 89 Bilder für 20,78 Millionen Dollar zuschlagen. Etwa denselben Preis soll die National Gallery in Washington für Salomon van Ruysdaels »Fähre über den Fluss« gezahlt haben. Und 4,44 Millionen Dollar erzielte das Terrakottarelief der »Madonna mit Kind« von Donatello bei Sotheby’s in New York.

Der Jan Steen in Den Haag erwies sich dagegen als störrisches Restitutionsgut. Das zuständige staatliche Komitee hatte das wiedervereinigte Bild mit 2,5 Millionen Euro bewertet, einem Preis, den noch kein Steen in einer Auktion erreicht hatte. Davon standen der Goudstikker-Erbin für die größere linke Seite 76 Prozent zu. Deshalb wurde ihr angeboten, den Museumsanteil für genau 589.201,94 Euro zu erwerben – minus 33.000 Euro (gleich 76 Prozent von 45.000 Euro) für die Restaurierung. Das schien Marei von Saher zu viel.

Stattdessen bot sie ihren Anteil für zwei Millionen Euro an, was wiederum Den Haag als überzogen ansah. Daraus entstand ein dreijähriges Hin und Her. Jetzt endlich hat man sich geeinigt. Die Erbin von Jacques Goudstikker erhält eine Million Euro für ihren Anteil an dem Gemälde. Sarah, Tobias und Raphael werden nicht wieder getrennte Wege gehen müssen.

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