Wolf Biermann

Gitarre, Wanze und Chanukkia

»Ich nehme die Ausstellung wie das Wetter«, hatte Wolf Biermann die Macher der Schau vorab wissen lassen. Eine für alle Seiten gute Entscheidung, ist es doch unmöglich, Biermanns Leben und Werk auf einer Fläche von 560 Quadratmetern auch nur annähernd gerecht zu werden. Hat man sich mit dieser Tatsache erst einmal abgefunden, so wird man nicht enttäuscht.

Rund 280 Exponate – von denen viele zuvor noch nie öffentlich zu sehen waren – haben die Ausstellungsmacher zusammengetragen: angefangen bei den Dokumenten zu Biermanns Vater Dagobert, der als kommunistischer Kämpfer für Spaniens Freiheit in Hamburg inhaftiert, als Jude nach Auschwitz deportiert und dort 1943 ermordet wurde.

Der am 15. November 1936 in Hamburg geborene Wolf hatte es seiner Mutter Emma, dem Zufall und einer Menge Glück zu verdanken, dass er im Sommer 1943 nicht im Feuersturm der Royal Air Force umkam – »Und weil ich unter dem gelben Stern/ In Deutschland geboren bin/ Drum nahmen wir die englischen Bomben/ Wie Himmelgeschenke hin«.

Und: Wäre es nach dem Wunsch der »Staatssicherheit« gegangen, dann wäre Biermann mittels geheimdienstlicher Intrigen seelisch zerbrochen oder etwa einem ärztlichen »Kunstfehler« zum Opfer gefallen. Und dann hätte Wolf Biermann nicht am 13. November 1976, am Geburtstag des ermordeten Vaters, in Köln auf der Bühne gestanden. Wäre die Geschichte der DDR ohne Biermanns Ausbürgerung und die darauffolgende Protestwelle anders verlaufen? So oder so: Die Lebensgeschichte von Dagobert Biermanns einzigem Sohn ist die Geschichte eines Überlebenden.

CHAUSSEESTRASSE Die Ausstellung trägt den Titel Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland. Und so bilden die Exponate zum Werk Wolf Biermanns den Kern der Ausstellung: Ins­trumente, das alte Aufnahmegerät nebst Mikrofonen aus der Chausseestraße 131, eine einst ebendort installierte Abhörwanze, Filmaufnahmen vom jungen Schauspieler Biermann auf der Bühne des Berliner Ensembles (samt Helene Weigel), ein kurzer Film mit Biermann und Hanns Eisler, Plakate, alte und neue Fotos, historische Tonaufnahmen – alles sorgfältig ausgewählte Exponate, von denen manche geradezu ein »Aah ja«-Erlebnis vermitteln.

Die Lebensgeschichte von Dagobert Biermanns einzigem Sohn ist die Geschichte eines Überlebenden.

Leider bietet die Ausstellung keinen eigenen Vorführraum mit einem lauten Biermann-Konzert in Farbe auf großer Leinwand. Überhaupt ist sie – was so gar nicht zum Troubadour Biermann passt und woran auch die vielen Audio-Stationen nichts ändern – eine ziemlich leise Angelegenheit.

Zu den Exponaten, die Biermanns »jüdisches Selbstverständnis« thematisieren, gehört auch ein goldener Chanukkaleuchter, den er 1958 von einem Gastspiel des Berliner Ensembles in Budapest mitbrachte. Das »Jüdische« ist wohl das einzige Leitmotiv, das sich – mal leise, mal lauter – durch sein gesamtes Leben zieht. 1963 dichtete der junge Kommunist: »Deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, Bratendunst aus jeder Bude/ deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, deutsche Weihnacht, ich bin Jude.« Rund 30 Jahre später schrieb der Ex-Kommunist: »Ich bin kein Jude.«

Einer Journalistin der israelischen Wochenzeitung »Koteret Rashit« erklärte er es 1987 so: »Jene Leute, die aus mir einen Juden hätten machen können, sind alle tot. Und so wurde aus mir kein Jude, sondern einfach ein Mensch. Auf der anderen Seite ist das Jüdische in meinem Werk sehr wichtig.« In dem Gespräch antwortete er auf die Frage, warum er noch nie in Israel gewesen sei: »Ich würde gerne kommen und dort singen. Ich würde dort auch gerne einige Monate leben und die Menschen kennenlernen (…). Sicher werde ich das einmal machen. Das sind doch meine Leute.«

IRAK-KRIEG Nach Israel reiste Biermann erstmals im Frühjahr 1991, als Gast der Jerusalemer Buchmesse und um mehrere Solidaritätskonzerte zu geben. Anlass war, dass sich Biermann in einem Essay in der »Zeit« für den Krieg gegen Saddam Hussein ausgesprochen und bedingungslos mit dem attackierten Israel solidarisiert hatte. Auch dieser historische Konflikt Biermanns mit der deutschen Friedensbewegung wird in der Schau dokumentiert.

Biermanns Arbeit an Jizchak Katzenelsons Dos lied vunem ojsgehargetn jidischn volk/Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk, 1994 als Buch und zehn Jahre später als CD erschienen, wird ebenfalls gewürdigt. Auch hier hätte man in einem gesonderten Raum einen Film zeigen können: Pamela Biermanns und Andreas Öhlers »›Wie kann ich singen?‹ – Wolf Biermann auf der Suche nach Jizchak Katzenelson«. Dieser ungewöhnliche Dokumentarfilm wurde teilweise im »fremdvertrauten« Israel gedreht, das Dagobert Biermanns Sohn »immer mehr zum Vaterland« geworden ist.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt die Schau bis zum 24. Januar 2024.

Bundesamt für Statistik

Dieser hebräische Vorname ist am beliebtesten bei Schweizer Eltern

Auch in der Schweiz wählen Eltern weiterhin häufig biblische Namen für ihr Neugeborenes

von Nicole Dreyfus  05.09.2025 Aktualisiert

Schweden

Jazz-Musiker David Hermlin wirft Festival Cancelling vor

Der Musiker habe auf einem Swing-Festival propalästinensischen Aktivisten Fragen gestellt. Plötzlich sei ihm »Einschüchterung« vorgeworfen worden

 05.09.2025

TV-Tipp

Über 100 Jahre alt - und immer noch prägend - In einer Arte-Doku machen fünf Frauen ein Jahrhundert lebendig

Arte begleitet fünf Frauen, die über 100 Jahre alt sind. Sie alle haben mit außergewöhnlicher Willenskraft auf ihre jeweilige Weise Großes geleistet. Ihre Lebenswege führen von Atatürk bis zur kubanischen Revolution

von Esther Buss  05.09.2025

Fürth

Ruth Weiss ist gestorben

Sie engagierte sich ihr Leben lang gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Nun ist die in Franken geborene Schriftstellerin mit 101 Jahren gestorben

 05.09.2025 Aktualisiert

Kolumne

Hoffnung als portatives Vaterland

Ein Trost trotz Krieg und viel zu vielen Toten: Mitten in Stockholm spielt ein mutiger Musiker die Hatikwa, die israelische Nationalhymne

von Ayala Goldmann  05.09.2025

Berlin

Festival erinnert an Hans Rosenthal

Der jüdische Entertainer wurde vor 100 Jahren geboren. Ein Event stellt den Moderator, der schon in jungen Jahren beim Radio von sich reden machte, in den Mittelpunkt

 05.09.2025

Ferdinand von Schirach

»Sie werden von mir kein Wort gegen Israel hören«

Der Jurist und Schriftsteller war zu Gast bei Markus Lanz - es war eine in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerte Sendung

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Chemnitz

Kunstfestival: Beauftragter hält einige Werke für judenfeindlich

Thomas Feist warf einigen Beteiligten »die Übernahme von ›Fakten‹ vor, die nichts als Übernahme von Hamas-Propaganda sind«

 04.09.2025

Fotografie

Mode, nackte Haut und Skandale

Helmut Newton gehört zu den populärsten Modefotografen der Popkultur. Eine Doppelausstellung in Berlin beleuchtet nun seine Werke - und bringt sie mit Bildern anderer Künstler in einen Dialog

von Daniel Zander  04.09.2025