Archäologie

Geöffnet und versiegelt

Fundort: das Goldene Tor in der Altstadtmauer Foto: Ulrich Sahm

In Jerusalem, am östlichen Steilhang des Tempelbergs, existiert eine Höhle, in der ein Massengrab mit den Knochen von Tausenden Menschen entdeckt und kurz darauf von der Antikenbehörde wieder versiegelt worden ist.

Der TV-Journalist Beni Liss hatte das Massengrab bereits 1997 mit einem Kameramann mitten in der Nacht betreten und gefilmt. Weder die Muslime, die Anspruch auf das Gebiet erheben, noch ultraorthodoxe Juden, die in einem bisweilen gewaltsamen Clinch mit Archäologen wegen Störung der Totenruhe liegen, durften etwas davon erfahren.

Deshalb wurde die Höhle sofort nach ihrer Entdeckung von der Antikenbehörde wieder versiegelt, ohne wenigstens einige Funde und Proben zu entnehmen. Liss hielt sich 15 Jahre lang an die Abmachung mit der Antikenbehörde, sein Filmmaterial nicht zu veröffentlichen. In der vergangenen Woche zeigte er auf einer Archäologentagung erstmals seine Aufnahmen und löste damit eine heftige Diskussion unter den Experten aus.

Theorie Liss stellte auf der Konferenz die Theorie auf, dass die Leichen von den Römern massakrierte Juden gewesen sein müssten, die im Jahr 70 auf dem Tempelberg Zuflucht gesucht hatten und nach dem Niederbrennen des Tempels von den römischen Legionären ermordet worden waren. Der römisch-jüdische Historiker Josephus Flavius hatte das grausame Geschehen in seinem Werk De bello Iudaico in schillernden Farben geschildert. Liss berichtet, er habe unzählige aufgetürmte Knochen gesehen, einige mit deutlichen Spuren von Gewalteinwirkung.

Der Journalist und Tempelbergexperte Nadav Schragai hat eine Umfrage unter den bekanntesten Archäologen gestartet. Heraus kam eine lange Liste aller bekannten Massaker in Jerusalem, begangen von den Persern, Römern, Byzantinern, Kreuzfahrern, Muslimen und anderen. Deshalb lasse sich nicht mit Sicherheit bestimmen, aus welchen Jahrhundert oder Jahrtausend dieses Massengrab stamme, zumal eine – im Prinzip simple – Datierung der Knochen unmöglich ist, solange aus politischen Gründen eine erneute Öffnung und Erforschung der Höhle undenkbar bleibt.

Der Abhang unter dem Goldenen Tor, wo Archäologen 1997 die Höhle mit dem Massengrab gefunden haben, ist eine der geschichtsträchtigsten, aber auch fast gänzlich unerforschten Gegenden Jerusalems. Durch das versiegelte Tor soll auf einem Esel reitend der Messias kommen. Vor dem Tor gibt es einen muslimischen Friedhof, darunter einen christlichen Friedhof im Jehoschafat-Tal, wo Papst Benedikt XVI. eine Messe abgehalten hat. Und östlich davon erstreckt sich der 3.000 Jahre alte jüdische Friedhof über den Ölberg, auf dem wiederum in einer kleinen Kapelle ein angeblicher Fußabdruck von Jesus zu besichtigen ist.

Hans-Jürgen Papier

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