Trend

Gentechnik im Wohnzimmer

Die Biohacker wollen die Welt durch Wissenschaft sozial gerechter machen. Foto: Thinkstock

Gilad Gomé sieht nicht unbedingt so aus, wie man sich eine klassische Laborratte vorstellen würde: breitschultrig, das Hemd halb offen, braungebrannt. »Die Leute haben oft ein falsches Bild von uns. Als wären wir entweder menschenscheue Nerds oder als würden wir biologische Bomben bauen. Dabei geht es uns um die kleinen Dinge, die das Leben und den Menschen verbessern können.« Gomé schaut aus dem Fenster, Blick auf das Mittelmeer. »Wir alle haben die gleiche DNA. Und sobald Menschen beginnen, sich mit dem Code des Lebens auseinanderzusetzen, hat das auch auf andere Bereiche – soziale, politische und kulturelle – positive Auswirkungen«, ist der gebürtige Tel Aviver überzeugt.

Gilad gehört zu der Bewegung der sogenannten Technoprogessiven: Technischer und wissenschaftlicher Fortschritt soll sozialen Wandel herbeiführen. Im Moment ist der Israeli sehr beschäftigt. Er ist dabei, ein autonomes Gemeinschaftslabor im Norden der Stadt zu planen. Gilad Gomé, der an der renommierten Singularity University in Kalifornien Biologie studiert hat, ist Biohacker, die sogenannte Do-it-yourself-Biologie hat es ihm angetan. Sie vereint Biotechnologie und die für gewöhnlich auf Computer fokussierte Hacker-Ethik.

Den Biohackern geht es dabei nicht um Computersoftware oder Programmiersprachen, sondern um Erbinformationen, Bakterien und Mikroorganismen. Lediglich die ideologischen Leitlinien teilen sie mit den Computergeeks: keine Hierarchien, keine Regulierungen, kein Institut. Und wie bei Open-Source-Computersoftware machen auch Biohacker ihr Wissen und ihre Techniken publik: Wissen soll für alle Menschen frei verfügbar sein.

Ebay Die Labore entstehen in Garagen, Küchen und Kellern. Ursprünglich aus Kalifornien stammend, hat sich auch in Israel die Idee des Biohacking in den vergangenen Jahren etabliert. »Das Equipment für ein Labor kann man leihen oder einfach auf Ebay kaufen«, erklärt Gilad. Man braucht Zentrifugen, mit denen DNA isoliert werden kann; eine Lightbox, mit der Teile eines DNA-Strangs beleuchtet werden; Wagen, um die Chemikalien abzuwiegen, Pipetten, Plastikschläuche, Bunsenbrenner – sämtliche Werkzeuge und die biologische Bastelmasse kann man für rund 3000 Euro online erstehen.

Am liebsten isolieren Biohacker bestimmte Erbgutsequenzen eines Organismus, um diesen für vorteilhafte Zwecke einzusetzen. Das Glühwürmchen beispielsweise trägt eine Erbgutinformation zur Bioluminiszenz in sich, das heißt, es erzeugt selbst Licht. Biohacker haben diese Eigenschaft in das Erbgut der Ackerschmalwandpflanze eingebaut – als Alternative zu Straßenlaternen sollen die Bäume künftig kostenloses und natürliches Licht spenden.

Während es in den USA erlaubt ist, Lebewesen auf diese Art auch in der heimischen Küche gentechnisch zu verändern, verbieten dies die Gentechnik-Gesetze in Deutschland. Hobbyforscher können die DNA extrahieren, vermehren, Gene isolieren – aber es ist ihnen nicht erlaubt, neukonstruiertes Erbgut in ein anderes Lebewesen einzuschleusen.

Thomas M. Magin blickt skeptisch auf die Biohack-Bewegung. Er wünscht sich mehr Transparenz und Regulierungen für die selbsternannten Forscher. »Woher weiß ich denn, wes Geistes Kind diese Leute sind?«, fragt der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Biologie an der Universität Leipzig. »Viele Biohacker arbeiten mit dem Bakterium E. coli. Nehmen wir an, sie haben kriminelle Absichten.

Dann könnten sie zum Beispiel dieses Bakterium in industrielles Tierfutter einschleusen und eine Epidemie massiven Ausmaßes anrichten.« Außerdem glaubt Magin nicht an das Risiko- und Verantwortungsbewusstsein von Amateuren. Auch wenn man in einem selbstgebauten Labor durchaus Forschung betreiben kann, so könne man die Sicherheitsvorkehrungen nicht mit denen einer Universität vergleichen: »Selbst wenn es sich nur um einen Unfall handelt – wir haben hier die Möglichkeit, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Ich glaube nicht, dass das in einer Garage der Fall ist.«

zeitgemäss Gilad hält dies für Angstmacherei: »Wir sind kein krimineller Geheimklub – jeder kann kommen und teilnehmen.« Außerdem sei immer mindestens ein Doktorand dabei, der kontrolliert, ob auch alle Vorsichtsmaßnahmen eines Labors korrekt eingehalten werden. Im vergangenen Jahr entwickelte Gilad mithilfe einer Kickstarter-Kampagne und mit Unterstützung des Weizmann-Instituts eine neue Diagnosemethode für das Zika-Virus und reiste mit einem mobilen Labor durch Brasilien. »Mit Kickstarter funktionierte es schneller als mit einer offiziellen Förderung«, erklärt er. Die akademische Welt sei zu schwerfällig, um zeitgemäß zu arbeiten.

Thomas Magin hält dagegen: »Ich glaube, dass es kaum ein konstruktiveres Umfeld gibt als die Universität. Hier kommen Menschen zusammen, die für ein Fach brennen.« Er würde all seinen Studenten davon abraten, den Weg der Do-it-yourself-Biologie einzuschlagen. Sollte sich aber ein Biohacker bei ihm am Institut für eine Stelle bewerben, wäre er schon neugierig, gibt der Wissenschaftler zu. »Ich würde ihn definitiv ernstnehmen. Aber ich würde mir eben schon die Frage stellen, ob er auch nach den Spielregeln spielen kann.«

Bonn

Humanist und Konsumkritiker: Zum 125. Geburtstag von Erich Fromm

Schon vor Jahrzehnten warnte Erich Fromm vor einer Welt, in der Menschen ausschließlich funktionieren. Er analysierte Liebe, Freiheit und Verantwortung - mit tiefgründigem Blick, der zeitlos bleibt

von Paula Konersmann  21.03.2025

Justiz

Gil Ofarim: »Ich habe wirklich gedacht, ich werde freigesprochen«

Sänger Gil Ofarim hat vor Gericht zugegeben, einen antisemitischen Vorfall in einem Leipziger Hotel erfunden zu haben. Jetzt hat er zum ersten Mal ein ausführliches Interview gegeben

 21.03.2025

Berlin/Mainz

»Das war spitze!«

Hans Rosenthal hat in einem Versteck in Berlin den Holocaust überlebt. Später war er einer der wichtigsten Entertainer Westdeutschlands. Zum 100. Geburtstag zeigt ein ZDF-Spielfilm seine beiden Leben

von Christof Bock  21.03.2025

Fernsehen

»Mein Vater war sehr bodenständig«

Am 2. April wäre Hans Rosenthal 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum würdigt ihn das ZDF. Ein Gespräch mit seinem Sohn Gert über öffentliche und private Seiten des Quizmasters

von Katrin Richter  21.03.2025

Spielfilm

Ziemlich beste Mafiosi

In »The Alto Knights« kommen gleich mehrere Klassiker des Genres zusammen

von Patrick Heidmann  21.03.2025

Kolumne

Shkoyach!

Poesie statt Pillen – unsere Autorin hat ein Patentrezept gegen Ängste

von Maria Ossowski  20.03.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der Jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter, Nicole Dreyfus  20.03.2025

Leserbriefe

»Es gibt uns, nichtjüdische Deutsche, die trauern und mitfühlen«

Nach der Sonderausgabe zum Schicksal der Familie Bibas haben uns zahlreiche Zuschriften von Lesern erreicht. Eine Auswahl

 20.03.2025

Medien

Gil Ofarims Anwälte sollen ihn »zum Geständnis geprügelt haben«

Lange hatte der Musiker zum Verleumdungs-Prozess gegen ihn geschwiegen. Jetzt erwecken seine Anwälte den Eindruck, dass Ofarim nur aus einer Not heraus gestanden hat

 20.03.2025