Glosse

Gefilzte Fisch!

Foto: picture alliance / Sipa USA

In London hat kürzlich ein … ja, wie nennt man das überhaupt, was da geöffnet hat? Sagen wir mal Restaurant oder Laden dazu. Auf dem Menü stehen traditionelle Fish and Chips: Kabeljau mit Pommes für 450 Pfund, Scholle mit Pommes ebenfalls für 450 Pfund, Colmanʼs Original English Mustard und Sarsonʼs Vinegar für 60 Pfund. Also alles, was in Kombination so richtig gut schmeckt, aber schwer im Magen liegt. Dabei liegt es in diesem Laden gar nicht einmal so sehr an den Preisen, in London wirkt ja alles immer teuer, wobei 450 Pfund für Fisch und Kartoffeln schon etwas überzogen wirken, donʼt you think?

Essen sollte man die vielen Speisen auf gar keinen Fall. Sie sind ungenießbar, das sieht man schon beim Reinkommen. Spätestens beim Anfassen merkt man: Das bekomme ich niemals runter. Denn alles im »Bourdon Street Chippy«, so heißt der Laden, ist aus Filz. Handgearbeitet und mit Liebe zum Detail. Wer – wie ich – bislang vielleicht gedacht hat, dass die detailreichen Speisen vor Kaiseki-Restaurants oder Ramen-Bars in Japan die hohe Kunst des Appetitmachens sind, sollte sich mal in die Lyndsey Ingram Gallery in Mayfair begeben, dem temporären Zuhause des Fast-Food-Spektakels.

»Zubereitet« wurden alle Speisen von der Königin des Filzens, Lucy Sparrow. Die Künstlerin hat schon so manche Speisen täuschend echt aus Filz nachempfunden. Obst und Gemüse, Überraschungseier, Salt-and-Vinegar-Kartoffelchips, Schokobonbons, Cookies. Aber auch ganz andere Sachen wie Mundspülungen, Eierpackungen oder Shampooflaschen. Es gibt offenbar nichts, was Sparrow nicht zu weichem Kuschelkram vernäht.

Jedes Pfefferkorn auf dem Lachs, jedes Körnchen Sesam, der Frischkäse, die Babka, einfach alles ist gefilzt und sieht absolut echt aus.

Natürlich, das muss man ja fast gar nicht mehr betonen, hat Sparrow auch schon Bagels aus Filz hergestellt. Und zwar ins­piriert von so bekannten Läden wie der New Yorker Delikatessen-Kette »Russ & Daughters« oder dem bekannten »Katzʼs Deli«. Jedes Pfefferkorn auf dem Lachs, jedes Körnchen Sesam, der Frischkäse, die Babka, einfach alles ist gefilzt und sieht absolut echt aus. 30.000 Einzelteile hat Sparrow verarbeitet. Die Pickles sind wirklich fast zum Reinbeißen.

Bis Rosch Haschana ist es ja nun gar nicht mehr so lange hin, aber ich bezweifele, dass ich mir das so detailreiche Nähen in weniger als fünf Wochen werde beibringen können. Dabei würde eine Rosch-Haschana-Tafel aus Stoff nicht nur cool aussehen, man hätte auch keinen Abwasch, Kinder würden sich über die vermeintlich neuen Spielzeuge freuen, sie könnten die Teller mit nach Hause nehmen, und wenn mal etwas herunterfällt, geht nichts kaputt. Gut, satt müssten die Gäste dann auf andere Art und Weise werden. Es gibt ja zwei Abende: einen zum Essen und einen zum Gucken. Aber über die Details muss ich mir keine Gedanken machen.

Wem das übrigens alles zu plüschig ist, der kann sich ja mal auf den Weg ins Yotvata Inn machen. Dort gibt es die bekannte Schokomilch gerade als Kissen im Angebot. Entweder als Kakao-in-der-Flasche-Kissen oder als Viereckige-Packung-Kissen. Na dann, Mahlzeit!

Marko Dinić

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