Design

Freischwingender Künstler

Auf einem freischwingenden Stuhl aus Stahlrohr hat wahrscheinlich jeder schon einmal gesessen, im Büro, im Wartezimmer oder zu Hause. Erstmals entworfen hat ihn in den 20er-Jahren Marcel Breuer, oder, wie der 1902 im ungarischen Pécs geborene jüdische Zahnarztsohn mit vollständigem Namen hieß, Marcel Lajos Breuer.

»Lajos, das ist ein Name, der nach ungarischem Ackerboden riecht, Marcel dagegen klingt universal, daraus konnte überall alles werden«, schreibt der Breuer-Kenner Wilhelm Droste. In der Tat wurde Breuer etwas in der Welt. Sein Weg als einer der wichtigs-ten Vertreter der Moderne führte ihn über Wien, Dessau und Berlin nach New York City, wo er vor 30 Jahren starb.

bauhaus Aus Anlass dieses Jahrestages zeigt das Hofmobiliendepot in Wien bis Anfang Juli die Ausstellung »Marcel Breuer – Design und Architektur«. In der österreichischen Hauptstadt hatte Breuer nach dem Abitur 1920 kurz an der Akademie der Bildenden Künste studiert, bevor er noch im gleichen Jahr an das Bauhaus in Weimar wechselte.

Unter der Ägide von Walter Gropius wurde er dort Tischlermeister. Gerade mal 23 Jahre alt, schuf er mit dem »B3«, dem heute als »Wassily« bekannten Sessel – eine Ikone des modernen Möbeldesigns. Innovativ war die Trennung zwischen Gestell und Bespannung, Letztere aus Leder, Ersteres aus Stahlrohr. Das entsprach perfekt der damaligen Maschinenästhetik und stand für Technik, Funktionalität, Hygiene.

Auch aus Aluminium oder verformtem Schichtholz baute Breuer Möbel, die ihn rasch bekannt machten. 1929 eröffnete er in Berlin ein eigenes Architekturbüro. Nach der Machtübernahme der Nazis 1933 ging er zunächst nach Budapest, von dort zwei Jahre später nach London, nachdem die ungarische Ingenieurkammer ihm als Juden die Aufnahme verweigert hatte. Zu einer Art Versöhnung mit seinem Geburtsland kam es erst 1968, als die Technische Universität Budapest Breuer zum Ehrendoktor ernannte.

Da lebte er schon seit über 30 Jahren in den USA. Durch Vermittlung seines Freunds und Mentors walter Gropius hatte Breuer eine Dozentur an der Architekturfakultät der Harvard University bekommen. Daneben entwarf er in Neuengland Einfamilienhäuser für eine wohlhabende und weltläufige Klientel.

Modelle vier solcher Gebäude aus den 50er-Jahren werden in der Wiener Ausstellung gezeigt. Es sind geradlinige Stahlbetongebäude mit Flachdach. Doch formale Klarheit und Konsequenz dürften nie auf Kosten der Wohnlichkeit gehen, lautete eine Maxime Breuers. Deshalb ordnete er in seinen Mehrebenen-Häusern die Wohnräume in verschiedenen Ebenen, aber in direkter Verbindung zueinander an.

new canaan Später realisierte Breuer auch Großentwürfe, wie die Unesco-Zentrale in Paris (gemeinsam mit Pier Luigi Nervi und Bernard Louis Zehrfuss) und das Whitney Museum of American Art in New York. Zu sehen sind in der Wiener Schau auch Modelle seiner großen Sakralbauten, wie der St. John’s Abbey in Collegeville, Minnesota oder des Schweizer Klosters Baldegg.

Mit strengen geometrischen Formen erzeugte der Baumeister hier eine Dynamik, die fast kubistisch anmutet. Denn, so sein Credo: »Die Architektur hat Formen zu schaffen, die Wiederholungen vertragen.« Zu diesen Formen gehörte für ihn die Auskragung, bei der ein Bauteil über die Grundfläche hinausragt – bei Gebäuden ebenso wie bei Möbeln –, oder das Motiv des liegenden Rechtecks, das die Klammer von Marcel Breuers Design und Architektur bildet.

Nicht bloß als Modelle, sondern im Original gezeigt werden in der Schau Breuers Möbelstücke. Es sind zum Großteil Leihgaben des Vitra Design Museums in Weil am Rhein, das die Retrospektive konzipiert hat und bereits 2003/2004 zeigte. Zu sehen ist auch Breuers letzter Möbelentwurf (ausnahmsweise aus Holz), der »New Canaan Schreibtisch« von 1953.

In der Kleinstadt New Canaan in Connecticut hatten die Architekten der »Harvard Five« um Breuer viele ihrer Bau-Ideen verwirklicht. Keinen besseren Namen hätte das Gelobte Land der modernen Architektur tragen können.

»Marcel Breuer – Design und Architektur«. Hofmobiliendepot Wien, bis 3. Juli

www.hofmobiliendepot.at

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025