Wuligers Woche

Fragen Sie den Autor!

Foto: Getty Images / istock

Wuligers Woche

Fragen Sie den Autor!

Eine Einführung in Abgründe und Skurrilitäten literarischer Lesungen

von Michael Wuliger  21.03.2019 12:01 Uhr

Warum Menschen zu Autorenlesungen gehen, habe ich nie verstanden. Das Schöne an Büchern ist doch, dass man sie daheim bequem alleine lesen kann, ohne Rauchverbot, bei Rotwein, mit den Füßen auf dem Tisch. Langweilige Passagen kann man überblättern, spannende Stellen in Muße genießen. Bei Lesungen hingegen muss man sich alles anhören, was vorgetragen wird, oft leiernd und genuschelt. Die wenigsten Autoren sind Vortragskünstler.

Aber Lesungen sind populär. Bei Verlagen und Buchhandlungen, weil sie bei der Gelegenheit viele Exemplare des Buches verkaufen können; beim Publikum, weil es den Schriftsteller persönlich kennenlernen und ihm hinterher Fragen stellen darf. Zum Beispiel, wie autobiografisch das Buch eigentlich ist. (Antwort: So gut wie nicht. Hätten Literaten ein interessantes Dasein, würden sie es leben, statt mit erfundenen Geschehnissen und Personen die Leere ihrer Existenz zu füllen.)

»Eigentlich hatte ich mir den ganz anders vorgestellt«, sagt die Gattin leise.

Gern gefragt wird auch, woher der Verfasser seine Ideen bezieht. (Antwort: Oft von Freunden und Bekannten, die ihm bei Partys oder im Café Erlebnisse erzählen, die der Bücherschreiber anschließend gnadenlos verwurstet und als eigene Inspiration ausgibt.)

ANEKDOTEN Noch lieber als um Fragen zu stellen, nutzen Besucher von Lesungen die Gelegenheit allerdings dazu, ihre Meinung zu Buch und Thema kundzutun. Vor allem, wenn das Buch einen jüdischen Bezug hat, fühlen die Leute sich zu Grundsatzerklärungen aufgerufen. Das Werk muss dazu nicht politisch oder historisch sein. Selbst wenn es ein Kochbuch ist oder eine Sammlung lustiger Anekdoten, meldet sich mit Sicherheit jemand aus dem Publikum und erklärt: »Was ihr mit den Palästinensern macht, ist aber nicht in Ordnung!«

Gern wird auch auf Juden im eigenen Bekanntenkreis verwiesen, die die Dinge völlig anders sehen als der Verfasser. Erwähnung findet ebenso stets die letzte Israelreise eines Lesers. (»Schon interessant, aber bei den Preisen wird man übel abgezockt!«)

Sind Juden im Publikum, melden die sich nicht öffentlich, sondern ziehen den Autor hinterher vertraulich zur Seite.

MÖNCHENGLADBACH Sind Juden im Publikum, melden die sich nicht öffentlich, sondern ziehen den Autor hinterher vertraulich zur Seite, um ihm mahnend mitzuteilen, dass er dies, das oder jenes besser nicht hätte schreiben sollen, weil es den Antisemitismus fördern könnte. Oder man will wissen, ob sich hinter einer bestimmten Figur nicht Pommer aus Mönchengladbach verbirgt. Einwände des Verfassers, dass er besagten Pommer nicht kennt und noch nie in Mönchengladbach war, werden verständnisvoll lächelnd beiseitegeschoben: »Ja, ich weiß, Sie dürfen das nicht sagen, sonst verklagt er Sie. Dabei haben Sie die schlimmsten Sachen gar nicht geschrieben.«

Es folgt eine längere Aufzählung diverser Schweinereien von Pommer, die der Autor dankbar im Kopf registriert, um sie in seinem nächsten Buch einzubauen (siehe oben unter Inspiration). Und während die letzten Besucher die Lesung verlassen, hört er noch, wie eine Frau zu ihrem Gatten sagt: »Eigentlich hatte ich mir den ganz anders vorgestellt.«

Brüssel

»Gegen EU-Grundwerte«: Kommission verurteilt Festival

Eine Sprecherin der Europäischen Kommission hat den Boykott der Münchner Philharmoniker und ihres Dirigenten Lahav Shani in die Nähe von Antisemitismus gerückt und scharf verurteilt

von Michael Thaidigsmann  12.09.2025

Sachbuch

Aus dem Leben einer Rebellin

Gerhard J. Rekel hat der jüdischen Sozialaktivistin Lina Morgenstern eine lesenswerte Biografie gewidmet

von Gerhard Haase-Hindenberg  12.09.2025

TV

Auch Niederlande drohen mit ESC-Boykott, wenn Israel teilnimmt

Gastgeber Österreich hat sich bereits eindeutig für eine Teilnahme Israels ausgesprochen

 12.09.2025

Belgien

»Ruf unseres Landes beschmutzt«: Premier rügt Gent-Festival

Premier Bart de Wever kritisiert die Leiter eines belgischen Festivals dafür, die Münchner Philharmoniker und ihren Dirigent Lahav Shani ausgeladen zu haben

 12.09.2025

Nach Canceln in Gent

Solidarität in Berlin: Konzert mit Lahav Shani

Der israelische Dirigent und die Münchner Philharmoniker treten am Montag beim Musikfest Berlin auf

 12.09.2025

Belgien

Prosor: Ausladung von Shani »purer Antisemitismus«

Der israelische Dirigent Lahav Shani darf nicht auf dem Flanders Festival Ghent auftreten, weil er sich nicht genug vom Vorgehen Israels in Gaza distanziert habe. Das sorgt international für Kritik

 12.09.2025

Streaming

»Verstehen statt behaupten«

Ein Gespräch mit Dan Shaked über seine Abneigung gegen Petitionen, das Spionagedrama »The German« und den Dreh mit Schauspielkollege Oliver Masucci

von Katrin Richter  12.09.2025

Sehen!

»Humans 2.0«

Die Suche nach dem Moment des perfekten Gleichgewichts – das australische Ensemble »Circa« gastiert in Berlin

von Bettina Piper  12.09.2025

Kino

Für Hermann Göring lernte Russell Crowe Deutsch

Crowe spielt den Nazi-Verbrecher in »Nuremberg«, einem packenden Thriller über die Nürnberger Prozesse

von Manuela Imre  12.09.2025