Serienstar

»Es ist immer persönlich«

Lior Raz Foto: picture alliance/AP Photo

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»Es ist immer persönlich«

Lior Raz über Grenzerfahrungen als Schauspieler, Trauerarbeit während des Drehs und Israels Innovationsgeist

von Sophie Albers Ben Chamo  21.08.2021 22:00 Uhr

Im Jahr 2015, die Serie »Fauda« war gerade angelaufen, saßen Lior Raz und Avi Issacharoff bei einem Kaffee »Hafuch«, einem Milchkaffee, und sprachen über einen Autounfall in Tel Aviv. Und plötzlich dachten sie, was, wenn es gar kein Unfall war? Das war der Anfang für Faudas Nachfolger Hit & Run, die hochemotionale, actiongeladene Geschichte des glücklich verheirateten Touristenführers Segev Azulai, dessen Frau überfahren wird, während der Täter einfach weiterfährt. Als dann auch noch in sein Haus eingebrochen wird, weiß Segev, dass etwas nicht stimmt. Die Jagd nach den Mördern seiner Frau führt ihn nach New York. Die Trauer und die Frage, ob sie ihn eigentlich jemals geliebt hat, führt ihn zu seinen dunkelsten Ängsten.

Lior Raz (49) ist derzeit wohl der weltweit bekannteste israelische Schauspieler. Im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen verrät er, warum Hit & Run für ihn noch persönlicher ist als Fauda. Und er spricht darüber, was die Filmwelt von Israel lernen kann.

Herr Raz, in »Hit & Run« geht die emotionale Reise des Helden Segev deutlich tiefer als bei Doron Kavillio in »Fauda«, was vielleicht auch den beiden Co-Autorinnen Dawn Prestwich und Nicole Yorkin geschuldet ist. Wie war das für Sie?
Einerseits habe ich es genossen, denn dadurch konnte ich als Schauspieler meine Grenzen austesten – etwas, das in anderen TV-Shows nicht möglich war, auch nicht in »Fauda«. Andererseits war es sehr heftig für mich, weil ich die Emotionen in mir wachhalten musste. Segev trauert die ganze Serie durch, und als Schauspieler habe ich das immer mit mir herumgetragen, ich habe es mit nach Hause genommen, ich habe damit Tag und Nacht gelebt. Ich war ein Jahr lang gleichzeitig im Trauer- und im Kampfmodus. Aber es hat auch Heilung gebracht.

Sie meinen damit die Auseinandersetzung mit der Erinnerung an Ihre Freundin Iris Azulai, die vor 30 Jahren bei einem Terroranschlag ermordet wurde? Segev trägt sogar ihren Nachnamen. Ist Schauspiel für Sie immer persönlich?
Das ist es.

Hat die Arbeit an »Hit & Run« denn etwas gelöst oder abgeschlossen?
Es war extrem persönlich, auch weil ich nach all den Jahren wieder getrauert habe. Es war der Abschluss für etwas, das lange Zeit offen geblieben ist. Ich habe darüber nicht gesprochen, ich habe es vor mir selbst versteckt, weil ich die Wunde nicht anrühren wollte. Aber nun musste ich sie öffnen, ich musste daran arbeiten, ich musste reingehen und das ganze schlechte Zeug herausholen, und am Ende des Tages war es ein guter Heilungsprozess. Das ist das Gute am Schauspielersein, du hast die Möglichkeit, verschiedene Emotionen durchzumachen – was du im realen Leben nicht könntest. Und dazu musst du dich mit Geschehnissen aus deinem eigenen Leben auseinandersetzen, die dich daran erinnern. Ich habe viele Male vor der Kamera gedacht, dass meine Vergangenheit die ganze Zeit bei mir ist.

Was heißt das für Segev?
Ich denke, das kann man an seiner Figur sehen, er ist mental zerstört. Wir treffen ihn in dem Augenblick, als seine geliebte Frau tot ist. Es ist das Schlimmste.

Haben Sie sich jemals gefragt, was Iris wohl sagen würde, wenn sie Sie in »Hit & Run« sehen könnte?
Wahrscheinlich würde sie mich einfach nur in den Arm nehmen und gar nichts sagen.

Neben Verlust ist das große Thema der Serie Vertrauen. Kann man überhaupt jemandem vertrauen? Und wie lebe ich ohne Vertrauen?
Das ist die große Frage der Serie. Die Geschichte fragt nach Vertrauen, das versuchen wir zu verstehen. Können wir unseren Lieben trauen? Unseren Freunden? Können wir unserem Land vertrauen? Kann man dem Journalismus trauen? Überhaupt irgendjemandem? In den letzten Jahren haben die Menschen begriffen, dass man am Ende des Tages niemandem trauen kann. Aber wir müssen uns benehmen, und deshalb müssen wir so leben, als würden wir einander trauen, sonst würden wir innerlich absterben. Du musst deinen Lieben, deinen Freunden und deinem Land vertrauen, aber du musst zweifeln an dem, was dir präsentiert wird.

Der gute jüdische Zweifel.
Oh ja! Aber ich weiß nicht, ob der jüdisch ist. Wenn man außerhalb Israels lebt, dann sehen manche Dinge plötzlich jüdisch aus. In Israel ist es einfach nur israelisch! Und es ist sehr israelisch, die ganze Zeit alles infrage zu stellen. Wir nehmen nichts als gegeben hin.

Segev ist von Rache getrieben. Glauben Sie persönlich an das Konzept Rache?
Nein, überhaupt nicht! Ich denke nicht, dass Rache gut ist, denn du verletzt nur dich selbst, wenn du jemand anderen verletzt. Wenn du Gewalt ausübst, fügst du deiner Seele Schaden zu. Selbst wenn du jemanden verfluchst, der Fluch ist dann in dir. Die Energie des Fluchs bleibt bei dir. Wenn du Rache nimmst, ist es das Gleiche. Als Osama bin Laden getötet wurde – war das Rache? Oder sollte es Schlimmeres verhindern? Es war eine Kombination aus beidem. Ich kann solche Gefühle verstehen. Wissen Sie, als ich jung war, ist Rache mir leichter gefallen.

Was ist an »Hit & Run« typisch israelisch?
Der Hauptcharakter ist Israeli, man sieht die Landschaft Israels in so schöner Weise wie nie zuvor. Und man sieht die Beziehungen der Israelis untereinander, die Kultur, Freundschaft, Sorge, Wärme, all das hast du in Israel, und das spiegelt sich auch in der Show wider.

Haben Sie für sich eine Erklärung gefunden, warum Israel so erfolgreich ist im Export von Filmideen?
Vor zehn Jahren haben die Leute Israel »Start-up-Nation« genannt, heute muss es »Content-Nation« heißen. Wir bringen Inhalte in die Welt. Aber eigentlich ist es das Gleiche. In Israel musst du sehr kreativ sein, um zu überleben. Kreativität und die Fähigkeit, unter Druck zu arbeiten, das lernen wir schon in der Armee. Du musst innovativ sein, um besser zu werden, für eine gute Operation, eine gute Strategie.

In »Fauda« und »Hit & Run« geht es immer wieder um Inside-Storys. Gab es da nie Ärger? Stand bei Ihnen jemals der Mossad vor der Tür?
Ganz im Gegenteil! Die lieben uns! In Israel gibt es keine Zensur, du kannst schreiben, was du willst, solange du dem Land nicht schadest. Wir zeigen Israel von seinen guten und von seinen schlechten Seiten. Und das versteht jeder. Für »Fauda« hat uns die israelische Armee ein Ausbildungscamp zur Verfügung gestellt, das aussah wie Gaza, damit wir da drehen können. Wir arbeiten zusammen. Für »Hit & Run« hat uns die Regierung geholfen, die ganzen Netflix-Leute während des Lockdowns nach Israel zu bringen. Wir bekommen viel Unterstützung.

Was kann das internationale Filmgeschäft von Israel lernen?
Oh, ich kann eine Menge vom internationalen Filmgeschäft lernen! Mehr als die von mir. Aber etwas gibt es doch: beim Schreiben. Da könnten sie lernen, dass es manchmal gut ist, gegen die Regeln zu schreiben. Um die Ecke zu denken, ist gut!

Mit dem israelischen Schauspieler sprach Sophie Albers Ben Chamo.

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